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Müll aus der Röhre J. - F. S. Lemarcou Nun, wir sprechen hier von Fleiß, Ausdauer, Beharrlichkeit, zielfeste Strebsamkeit...vielleicht so ein klein bisschen Spießbürgertum. Die echten Spießbürger, wir erwähnten es im Landboten bereits einmal, waren sicher nicht die Schlechtesten. Sie waren bescheiden, gottesfürchtig und dankten an der Abendtafel ihrem Gotte dafür, dass ER sie einen weiteren Tag am Leben gelassen hatte. Doch damit scheint es nun endgültig vorbei zu sein. Es ist ja nicht nur so, dass sich die am Spiel beteiligten Kinder kaum noch ordentlich in ihrer Muttersprache zu artikulieren wussten – wie oft man aus „unschuldigem“ Kindermund das Wort „Scheiße“ vernahm, spottet jeder Beschreibung – selbst die erwachsenen Spielleiter hatten als edukativ oder pädagogisch wertvolle Bezugspersonen nicht einmal Schrottwert. Da führten sie die Kinder beispielsweise zu deren nächster „Challenge“. Es ist erbärmlich, wenn ein deutscher Erwachsener nicht einmal das Wort „Herausforderung“ über die Lippen bringt. Vielleicht, weil er es gar nicht kennt? Wollten diese Heinis am Ende einfach nur „cool“ „rüberkommen“? Das war alles andere als „cool“. Diese Entgleisungen blieben jedoch nicht auf das dinglishe Gestammel begrenzt: Die Kinder wurden angeregt, mit einer Präzisionsarmbrust auf Eier zu schießen. Haben die Veranstalter noch alle Latten am Zaun? Sind die noch ganz dicht? Haben die überhaupt noch einen Rest Realitätsbezug? Kinder rennen schwer bewaffnet durch deutsche Schulen und morden Mitschüler und Lehrer und der Nachwuchs wird im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Waffen vertraut gemacht, die jeder Pistole an Schussgenauigkeit und Durchschlagskraft weit überlegen sind! Gleichsam als Anleitung für alle jungen Nachwuchs-Irren draußen an den Bildschirmen, es doch mal mit dem Kreuzbogen zu versuchen. Wir folgen dem Flug des Bolzens und sehen in begeisterte Kindergesichter, die sich fatal darüber freuen, dass sie soeben ein Ei quasi zur Explosion gebracht haben. Eier, das sind Produkte lebender Tiere, das sind bestenfalls Lebensmittel. Das Schießen auf sie ist widerlichste Dekadenz. Man sagt, Vineta wäre in den Fluten der Ostsee versunken, weil seine unermesslich reichen Bewohner ihre Schweine aus goldenen Trögen hätten fressen lassen. Dieses Exempel galt den Alten, die tagtäglich einen harten Überlebenskampf zu führen hatten, den sie oft genug mit furchtbaren Konsequenzen verloren, schon als der Gipfel des Verwerflichen.
Von der geschmacklosen Lumperei, anders geartetes Leben so gering zu schätzen, wie es mit dieser Handlung zum Ausdruck kommt, wollen und können wir nicht schweigen. Die Alten dankten bis in die Steinzeit hinunter dem Vieh, das sein einziges gottgegebenes Leben opfern musste, damit der Nackte Affe weiterexistieren durfte. Sie dankten mit Inbrunst, sie redeten mit den Seelen der Viecher – die herrlichen Höhlen von Lascaux bestätigen diesen Fakt eindrucksvoll. Die vollgefressenen und gedankenlosen Trottel von heute ballern zum Spaß auf die Eier. Zielscheiben aus Stroh tun's ja nicht. Das lockt ja keine Egoshooter-Blagen mehr vom Rechner weg, wenn man nicht in einer Zeitlupe die Explosion eines Eis, eines Lebewesens in seiner Hülle effektvoll darstellen kann.
Es kostete ein gerüttelt Maß an Agitation, dem Kinde klarzumachen, worin die für ein geschultes Erwachsenenauge sofort ersichtlichen Gefährdungspotentiale lagen. Ähnlich muss es wohl aufgeklärten Geistern vor fünfundsiebzig Jahren gegangen sein, als sie begeisterte Pimpfe und HJler aufforderten, ihre idiotischen Fahrtendolche, Trommeln, Fähnlein und Uniformen wegzulegen. Wenigstens sind wir bereits bei dieser Erkenntnis angekommen. Es steht nur zu befürchten, dass nach der alten Weisheit, denen, die in die Kirche kommen, brauche man nicht zu predigen, an der Umfrage beinahe ausschließlich solche Leute teilgenommen hatten, die über den intellektuellen Horizont verfügen, sich auch adäquat und suffizient ihres Nachwuchses anzunehmen. Die unterbelichtete Mehrheit, die dem unappetitlichen Fernsehen sogar Dank dafür sagt, dass es die noch unterbelichtetere Brut vor der Glotze fesselt und denen es darüber hinaus völlig wurscht ist, welcher Mittel sich das Fernsehen dabei bedient, würde wahrscheinlich zu einer anderen Einschätzung gelangen. Darüber mögen sich die Macher dieses Schundes freuen – ihre Klientel wächst täglich. Doch Vorsicht! Das Ding hat einen Pferdefuß: Werden die kleinen Konsumenten der Zukunft heute zu stumpfsinnigen Einzellern erzogen, sind sie morgen mit Sicherheit nicht wirtschaftsmächtig genug, die GEZ zu bezahlen, oder die Werbe-Abonnenten mit ihrem bezeigten Verbrauch zu animieren, weiterhin in solche Sender zu investieren. Dann schlägt das Pendel böse zurück. Aber das sind Prognosen, die über den Tellerrand hinausreichen. Nichts für eine schnelllebige und kurzsichtige Gesellschaft, die bereits vor über 200 Jahren mit den legendären Worten an den Start ging: Nach uns die Sintflut! |
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 18.11.2009 |