Ein Mann verschwindet
Keine Spur von Professor Dr. med. Georg-Hans
Großmann
B. St. Fjøllfross. Brandenburg
an der Havel. Sic transiet gloria mundi, pflegten die alten Römer
leicht melancholisch angehaucht zu sagen, wenn Dinge, die noch gestern
ehern und festgefügt schienen, nur um ein Weniges später den
Weg alles Vergänglichen beschritten. Wehmütig klagte das Barock
der glanzvollen Pracht des untergegangenen römischen Imperiums
hinterher, von dessen einstigem Glanze nur noch triste Ruinen zeugten.
Dieses Schicksal scheint ubiquitär zu sein. Selbst große
Namen, wie die Goethes, Bachs oder Einsteins werden wohl über kurz
oder lang im Orkus des Vergessens verschwinden und nichts wird es sein
mit Faustens frommer Idee, sein Name könne nun nicht mehr in Äonen
untergehen. Er kann, er kann. In der Zeit der allgemeinen Verblödung
kann er das allzumal und mit behender Leichtigkeit. Informationszeitalter?
Im Internet wäre das Gedächtnis der Welt gespeichert? Die
Menschen würden untilgbare Spuren hinterlassen?
Zweifel überkommen uns.
Da wirkte am Brandenburger Bezirkskrankenhaus einst ein Mann, der hieß
Georg-Hans Großmann. Das war nun nicht irgendein Mann. Er war
zu dem Zeitpunkt seines Ausscheidens Ärztlicher Direktor des Hauses,
Chef der Frauenklinik und – so heißt es, er sei im Nachkriegsbrandenburg
ein ranghoher Funktionär des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes
gewesen. Prof. Dr. Großmann habe das Gesundheitswesen nach dem
Kriege in der Chur- und Hauptstadt wieder aufgebaut. Ein respektabler
Mann. Eine große Persönlichkeit. Letzter Wohnsitz in der
Hochstraße, keine hundert Meter von seinem Büro im ersten
Stock des Walter-Ausländer-Flügels des Bezirkskrankenhauses
von 1928 entfernt. Im ersten Stock dieses schönen Spätjugendstilbaus,
südlich der Station F3 residierte der Professor. Er muss sogar
ein Reisekader gewesen sein, denn kurz vor seinem Tode im Jahre 1973
oder 1974 war er noch einmal auf Zypern, in Nikosia, zu einem Kongress?
Das ist auch alles, was der Preußische Landbote vage über
den einstigen Chef des bedeutenden märkischen Krankenhauses in
Erfahrung zu bringen vermochte. Es gibt noch eine Dienstanweisung für
seine Ärzte, maschinenschriftlich geschrieben von seiner 1971 verstorbenen
Chefsekretärin Heidi Hübner, handschriftlich von ihm unterzeichnet
… und das war's dann auch schon.
Die Archive wissen nichts mehr von Prof. Dr. Georg-Hans Großmann.
Er gehörte nicht zur Nomenklatura, deren Personalakten über
die gewöhnliche Aufbewahrungsfrist eingelagert werden. Sein Grab
ist unbekannt. Es soll wohl auf dem Neustädtischen Friedhof gewesen
sein. Mittlerweile ist es wohl auch schon eingeebnet oder neu belegt
worden. Er ist verschwunden aus den Akten und aus dem Gedächtnis
der Menschen. Kein Hahn kräht mehr hinter dem verdienstvollen Manne
hinterher, während große Schurken im weißen Kittel,
wie die berüchtigte Oberärztin Dr. Friederike Pusch (1905-1980)
ein munteres Nachleben im „Weltgedächtnis“ führen.
Der chirurgische Oberarzt des städtischen Krankenhauses Dr. Rudolf
Bimmler, SS-Mitglied, der nach dem Kriege in Cuxhaven weiterpraktizierte,
kann sich noch so la la in der Literatur behaupten. War er doch Leiter
des berüchtigten „Ausländerkrankenhauses“ Brandenburg
an der Havel, eines erbärmlichen Baracken-Lazaretts für die
in Brandenburg eingesetzten Zwangsarbeiter, und Initiator der Methode,
den Geköpften des Zuchthauses Brandenburg das Blut für die
Aufbereitung von Blutkonserven abzunehmen.
Der Name eines verdienstvollen Gynäkologen aber, eines großartigen
Menschen, ist schon sechsunddreißig Jahre nach seinem Tode nicht
mehr präsent, seine einstige Existenz verweht. Sic transiet gloria
mundi. Wenigstens dieser Artikel soll erinnern an Prof. Dr. med. Georg-Hans
Großmann, einen Mann, der das Gedächtnis seiner Mitmenschen
und Nachfolger verdient und nicht bekommen hat.