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Industriemuseum Brandenburg
Michael L. Hübner
Hier wurde die Brandenburger Erfolgsgeschichte fortgeschrieben, die
einen gelungenen Strukturwandel von der Tuchmacherei zur metallverarbeitenden
Industrie vorweisen konnte, einhundert Jahren bevor das Ruhrgebiet ins
Schleudern kam. Und doch...
Diese ganze Danteske Hölle ist erloschen. Und es tut weh. Noch einmal nimmt man die überdimensionalen Bohrer in die Hand, die man einst als Lehrling anschliff, noch einmal die riesigen Schraubenschlüssel und Zangen aus der Werkstatt des Hephaistos. Und dann – dann steht man vor dem Ofen, seinen drei Klappen, eine hochgezogen, den Blick gewährend in das kalte, tote Maul. Zwei blaue Helm-Brillen übereinander, und der etwa 1600°C warme Stahl im Ofen erweckte damals den Eindruck eines gemütlich schwappenden Teiches, angeblasen von den beiden Oelbrennern an den Giebeln im Osten und im Westen. Das Gesicht glühte, aber der Hintern wollte schier abfrieren in den lausig-kalten Wintern. „Kommt in Gange, ihr hohlen Braten“, überbrüllte der Erste Schmelzer den Chargierkran und die Bühnenlok, und ein Lehrling mit seinem weißen Helm mit dem blauen Streifen in der Mitte und dem roten Schriftzug „BBS“ an der Seite, sowie ein kubanischer Kollege schossen wie die geölten Blitze durch den Zwischenofen,
griffen sich zwei Schippen und warfen bereitgelegtes Bauxit, Magnesium und weiß der Teufel was noch in die gewaltige Pfanne unter ihnen. Verwaist ist der Leitstand des Ersten, die Meesterbude – es sieht aus, als wären die Stahlwerker nur mal eben raus gegangen, da stehen die Milchflaschen und Brausepullen auf dem Tisch, der "Rote Stahl" liegt aufgeschlagen, ein Notizheft herum.
„Kletter mal rein“, sagt der Mann zu seiner neunjährigen Tochter und weist auf den Führerstand der Bühnenlok. Er war der Lehrling, der damals durch den Zwischenofen stob, mit seinem kubanischen Kumpel zusammen. Er war kein „AZUBI“, wie das in Westdeutschland so völlig bescheuert heißt. „Kletter mal rein“, sagt er also und das Kind dreht an dem Triebrad der Lok. Das ist gut, denn so kann es nicht sehen, dass sein Vater mit den Tränen kämpft.
Hinter seiner Familie laufen drei junge Leute über die Ofenbühne – einer hat die Stöpsel eines Audioführers im Ohr. Die drei sind lange nach dem schlimmen Tag geboren, als hier der letzte Ofen abgeschaltet wurde und sie erklären sich gegenseitig die DDR, bzw. das Wenige, was sie von ihr hörten und es ist so herzig unbedarft, so naiv, so unwissend. Es ist nettes, hohles Geplapper. Der DDR unseligen Angedenkens weint der Mann keine Träne nach, sie mag sicher auch ihre Meriten gehabt haben – aber dieser Ort hier oben, dessen gewaltige Betonwand im Osten sein Stahlwerk gleichsam amputiert, den Phantomschmerz der nicht mehr existierenden 11 Öfen, der Gießbühne, der Tieföfen, der Brammenversandhalle, der Walzstraßen fühlen lassend – das war doch eine Welt für sich. Das war etwas, worauf man stolz war. Ja, man war stolz ein Stahlwerker aus Brandenburg zu sein – dazuzugehören, dabeizusein, zu helfen den tobenden Elementen Ziel und Richtung und Gestalt zu geben. Man verlässt dieses Museum in der Stimmung, wie man sich von einem Sarge abkehrt, in den ein geliebter Mensch gebettet ist. Noch einmal die Nase gehoben, noch einmal die nach all den Jahren noch immer ölig duftende Luft eingesogen. Und dann, dann macht man leise die Tür auf und geht ins Freie. Ach ja, man wollte der Tochter noch das Foucault'sche Pendel erklären.
Es steht schon beinahe still über dem Mittelpunkt seiner Bodenscheibe, kaum bewegt von dem schwachen Luftzug in der Halle, in der einst die Geleise lagen, welche die Tieföfen versorgten. Also, was soll's. Möglicherweise wird das Mädchen das Prinzip, dass die Erde sich unter dem Pendel hinwegdreht, eh noch nicht begreifen, so wenig wie sie verstehen wird, warum der Vater so stille ist, seit er das Industriemuseum verlassen hat. Wie sollte sie auch. Wenn sie eines Tages mit kundigeren Augen zurückkehrt, dann wird sie in diesem Museum eine hervorragende Dokumentation einer Welt sehen, die zu den Dinosauriern des Industriezeitalters zählte, sie wird den Funkenregen auf den großen Fototafeln mit der Halle assoziieren, in der sie gerade steht und vielleicht wird sie von ganz ferne, ganz leise, ein wenig von dem infernalischen Lärm erahnen, den einstigen Lärm des schlagenden, stählernden Herzen eines Betriebes, der den meisten seiner Arbeiter weit mehr war als nur ein Arbeitsplatz. Der ihnen eine zweite Heimat war, der Ort, an dem sie etwas galten, ein Platz im Leben, an dem nur richtige Männer bestanden – Kerls, die es nicht nötig hatten, Freuen mit blöden Sprüchen an LKWs zu langweilen und trotzdem begehrt waren. Das war das Stahl- und Walzwerk Brandenburg, das SWB, die Schmiede Mitteldeutschlands, das Beste, was einem Mann passieren konnte.
Öffnungszeiten: März bis Oktober 10.00 - 17.00 Uhr Führungen: 10.30, 13.00 und 15.00 Uhr November bis Februar 10.00 - 16.00 Uhr Führungen: 11.00 und 14.00 Uhr * mit Führung: 6,00 € ermäßigt
3,00 € Internetpräsenz des Industriemuseums
Fotos: Preußischer Landbote (Aufnahmen mit freundlicher Genehmigung des Industriemuseums Brandenburg an der Havel) |
15.
Volumen |
©
B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 25.11.2009 |