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Ingenieur aus Berufung
Thomas Götze und die Wende


Michael L. Hübner

„Wenn man so'n bisschen abseits steht, muss man eben gut sein“, sagt Thomas Götze, Professor für Maschinenbau an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Der 51-Jährige, der aus einem christlichen Brandenburger Elternhaus stammt, war in seinem Leben mehr als nur gut. Zunächst durfte er trotz Konfirmation das Abitur machen. Maschinenbau wollte er von Anfang an studieren. Dafür ging er, rückblickend politisch ziemlich naiv, auch drei Jahre zur Armee. Die Zeit war bitter, aber zum Nachdenken lang genug. Als man ihn dann zu Beginn des Studiums für den Reserve-Offiziersdienst verpflichten wollte, war für Götze Schluss. Nicht mit dem Kopf durch die Wand – das hatte wenig Sinn, aber alles machte der Student, der zwischenzeitlich zur evangelischen Studentengemeinde gefunden hatte, nun nicht mehr mit. Kürzung beim Leistungsstipendium? Na und? Käuflich war Götze nie gewesen. Mit seinem Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ brachte er die Genossen zur Weißglut und erst als es hieß: „Wer ihn am Montag noch trägt, fliegt“, gab er nach. Es war einfach eine Abwägung von Aufwand, Gewissen und Nutzen. Dann aber wollte der junge Ingenieur seinen Doktor machen. Flugs hielt man ihm die Verpflichtung wieder unter die Nase: Ohne Offizierspatent keine Promotion. Na dann eben nicht. Götze fing beim Brandenburger Ingenieurbüro für Schiffbau in der Packhofstraße an. Man hatte ihn an der Absolventenlenkung vorbei direkt von der Uni geworben, denn Götze war ein Ingenieur nach Wunsch. Wenn er sich doch bloß nicht geweigert hätte, an NVA-Aufträgen mitzuarbeiten! Statt Reserveoffizier wollte er nun auch noch Spatensoldat werden, falls man ihn zöge. Und dass er dem FDGB nicht gleich beitrat, schlug dem Fass den Boden aus. Einer der beiden Leiter des Büros wurde deutlich: „Sie gehen in den FDGB oder wir stellen Sie gar nicht erst ein!“ Die Alternativen waren so üppig nicht gesät. Im Getriebewerk sondierte er einen Job für sich. Da ging es in der Personalabteilung erst einmal statt eines fachlichen Gespräches nur um die Haltung zum Marxismus-Leninismus. Die Mitgliedschaft in der Einheitsgewerkschaft schien dann doch das kleinere Übel. Solche Attitüden und ein von ihm mitunterzeichneter Brief an Honecker, der eine offenere Gesellschaft anmahnte, ließ das Volumen seiner Stasiakte anschwellen. Der Brief lag übrigens eher auf Honeckers Schreibtisch, als er in Drübeck abgesandt wurde... Hätte man jede Konfrontation jedoch konsequent betrieben, so hätte das früher oder später den unweigerlichen Ausreiseantrag bedeutet. Die DDR verlassen, das wollte Götze nicht. Hier wollte er etwas ändern und sich engagieren, so unterzeichnete er auch den „Aufruf 89“, obwohl die ständig präsente Polizei im Pflegerdorf für ein sehr mulmiges Gefühl sorgte, die das Haus des Initiators des Brandenburger Neuen Forums, Jan Herrmann, und seine Gäste observierte. Die Zeit nach der Wende brachte Götze als gewählten Volksvertreter für das Neue Forum auf einem Listenplatz der Neustadt in die SVV. Das war die Zeit, als Politik noch Spaß machte. Entscheidungen wurden sachbezogen getroffen, über Fraktionsgrenzen hinweg. Man stritt um den besten Weg und nicht um Machtpositionen. Das neue kommunale Recht hatte sich noch nicht etabliert. Man beschloss einen Tagesordnungspunkt und das wurde dann eben umgesetzt! Im Stasiuntersuchungsausschuss der Stadt arbeitete Götze mit und leicht fielen Personalentscheidungen wie die über Ekkehard Prophet, Brandenburgs einstigen grandiosen Theaterintendanten, nie: Zu genau kannte Götze die prekären Situationen, in die man unversehens hineingeraten konnte, ohne deswegen gleich ein Gesinnungslump zu sein. Für ihn zählt nur, wie der Mensch sich seiner Vergangenheit stellt. Was trieb den Betreffenden damals in die Arme des MfS und wie steht er heute dazu? Objektivität statt Verklärung, das ist sein Maßstab. „Jemand, der mit der Karriere des eigenen Kindes erpresst wurde, unterscheidet sich in der Fallbeurteilung sehr wohl von dem, der um des eigenen Fortkommens willen in Eigeninitiative unterschrieb. Wer heute mit dem schwarzen Fleck auf der eigenen Weste ehrlich umgeht, verdient eine andere Beurteilung als derjenige, der die Sache am liebsten unter den Teppich kehrt und, wenn das nicht geht, sie schönzureden versucht.“ Doch Götze richtet nicht. Die Kommunalpolitik verließ er, als sie unschöne Züge annahm. Sein geliebter Beruf war im wichtig, seine Frau, eine Physikerin, mit der er schon 28 Jahre verheiratet ist, seine zwei Töchter und der Sohn. Sich selbst sieht er dankbar als ein Kind glücklicher Fügungen: Die Promotion konnte in Karlsruhe nachgeholt werden, Traumberuf, die Kinder wuchsen in Freiheit auf, schönes selbstrestauriertes Haus, Mitglied bei den Grünen, Engagement im Kirchenchor ... Ohne die Wende würde er sicher noch als Ingenieur im Büro in der Packhofstraße bei Feierabend die Zeichnungen vom Reißbrett abdecken müssen, damit der Klassenfeind sie nicht aus der Luft auszuspähen vermag. Stattdessen kann er heute als Hochschullehrer die Jugend zu Nachwuchsingenieuren ausbilden und auch von seinen Erfahrungen erzählen. Obgleich er nie ausreisen wollte, kam die Bundesrepublik am 3.10.1990 über Nacht zu ihm. Für Thomas Götze hat der politische Umbruch in jedem Fall viele positive Möglichkeiten eröffnet.

15. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
11.09.2009