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Gedenken an den Runden Tisch
Pfarrer Christian Löhr moderierte Podiumsgespräch zum 20. Jahrestag des Brandenburger Runden Tisches

Kotofeij K. Bajun
Der Fall der Mauer riss die vor zwanzig Jahren bereits am Boden liegende DDR endgültig in den Abgrund. Was man mit ihrem Bau 1961 verhindern wollte, die Abstimmung mit den Füßen nämlich, die hunderttausende oft gut ausgebildete Facharbeiter und Intellektuelle die Heimat gen Westen verlassen ließ, brach sich nun Bahn. Doch nicht jeder wollte dem Land den Rücken kehren. Die, welche sich zum Bleiben entschieden, mussten das weitere Zusammenleben organisieren. Ein sechsundfünfzig Jahre lang entmündigtes Volk, dem jeder Schritt von der Wiege bis zur Bahre von der einen und später von der anderen, jeweils aber der alleinseligmachenden Partei vordiktiert wurde, musste nun quasi über Nacht seine Geschicke selbst in die Hand nehmen. Noch dazu unter Vorraussetzungen, die alles andere als günstig waren. Neue Wege waren zu erschließen, wie den Problemstellungen des Alltags zu begegnen sei, welche Verfahrenswege entwickelt werden mussten, wie man einen demokratischen und von der Mehrheit getragenen Konsens erarbeitet. Zunächst aber galt es überhaupt erst ins Gespräch zu kommen und das über ehemalige ideologische Gräben hinweg. Dafür dienten die legendären Runden Tische. Sie waren in Polen schon en vogue, als, wie der deutsche Volksmund sarkastisch witzelte, die Feuerwehren der DDR an der Oder zusammengezogen wurden um zu verhindern, dass der revolutionäre Funke der Solidarnosc überspringt. Erfunden hatte sie wohl einst Britanniens König Artus mit seiner Tafelrunde, deren Sinn darin begründet lag, dass niemand dieser Tafel präsidieren könne – nicht einmal der König. Alle an diesem Runden Tische sollten mit gleichen Rechten begabt sprechen dürfen. In Brandenburg an der Havel wurde der erste Runde Tisch im Pfarrbüro der Dreifaltigkeitsgemeinde aufgestellt. Im Herbst 1989 nahmen die Vertreter der alten, der abgewirtschafteten Macht an ihm Platz, denen de jure noch die Verwaltung der Kommune oblag. In administrativen Angelegenheiten geschult, wurden sie jedoch in keiner Weise mehr von der Bevölkerung akzeptiert. Neben ihnen saßen die Delegierten der Bürgerrechtsbewegung. Sie waren die Sieger der historischen Ereignisse des Wendeherbstes, in der Verwaltung und Organisation einer Gesellschaft jedoch völlig unerfahren. Ihre Situation glich für einen Außenstehenden ein wenig der Misere Dschingis Chans und seiner Nachfolger, die zwar ein Weltreich aus dem Sattel erobern, aber auf Dauer nicht zusammenhalten und regieren konnten. Doch so weit brauchte man gar nicht zurückzuschauen: 1945 stand man in beiden Teilen Deutschlands vor einer ähnlichen Herausforderung... Wie dem auch sei – man saß also am Runden Tisch, der keine wie auch immer geartete eingetragene Körperschaft war, der keine Handlungskompetenz besaß und dessen Gesprächsergebnisse lediglich empfehlenden Charakter hatten. Diese Empfehlungen jedoch wurden von Verwaltung und Exekutive sehr ernst genommen. Viele Brandenburger Runde Tische gab es nicht in der Zeit des Übergangs. Sieben waren es wohl an der Zahl. Die wenigen aber, die übrigens von der damaligen Dompfarrerin Radeke-Engst und dem Dreifaltigkeits-Kaplan Krause in der Art von primae inter pares moderiert wurden, dürfen dennoch bis zum heutigen Tage einen gewichtigen und bleibenden Platz in der jüngeren Stadtgeschichte beanspruchen. Dem Rechnung tragend, lud Gotthardt-Pfarrer Dr. Christian Löhr am 12.11. in den Gemeindesaal der Dreifaltigkeitskirche zu einem Podiumsgespräch ein, das der Erinnerung an die Zeit des Runden Tisches vor 20 Jahren gewidmet war. Im Podium selbst hatten bedeutende Veteranen der Brandenburger Bürgerrechtsbewegung Platz genommen, die allesamt aus dem christlichen Umfeld kamen. Da war Kuno Pagel, der den Rekord der meisten auf eine einzige Person angesetzten Stasi-IM hält. Ekkehard Gottschalk und Wolfgang Rudolph, Christina Dishur und Michael Geiersberg stellten sich den Fragen des um die Wendezeit aus dem Erzgebirge nach Brandenburg gekommenen Pfarrers Löhr. Löhr selbst gab zu Beginn der Veranstaltung noch einmal einen Überblick über die Chronik der turbulenten Ereignisse, die auch in der alten Stahlwerkerstadt Brandenburg an der Havel zu der epochalen Machtverschiebung weg von der SED-Alleinherrschaft führten. Seine sich vor 28 Zuhörenden erinnernden Podiumsgäste ließen darüber hinaus die gesamte Entwicklung der sich zunächst als innerkirchliche Bewegung formierenden Opposition seit Beginn der Achtziger Revue passieren. Gestartet war diese Gruppierung als Friedensarbeitskreis, der sich exponiert um Umwelt-, Abrüstungs- und Wehrdienstverweigerer-Probleme kümmerte. Ihre Appelle an staatliche Organe wurden im Allgemeinen repressiv und mit einem verlogenen Unterton beantwortet. Die SED beschied die Aktivisten beispielsweise, die DDR wäre per se ein Friedensstaat und bedürfe daher nicht der Arbeit solcher Leute, denen sie schon einmal prophylaktisch eine „feindlich-negative Grundhaltung“ attestierte. Sollten die Arbeitskreisler sich nicht zurückhalten, werde die Arbeiter- und Bauernmacht ihre Zähne zeigen. Allein mit dieser vorgetragenen und bösartigen Haltung dokumentierte die SED ihre wahre Einstellung zum Frieden und führte sich quasi selbst ad absurdum. Dabei war es den vielen Bürgerrechtlern nicht einmal zur Gänze darum zu tun, den Sozialismus als Idee abzuschaffen oder die Teilung Deutschlands aufzuheben. Ihnen schwebte ein besseres Gesellschaftsmodell als das des Raubtierkapitalismus vor, für das sie in der DDR die Saat ausbringen wollten. Doch die in den letzten Jahren der Gerontokratie in den Untergang geführte DDR vertrug keine Reform mehr. Zu verbittert war der Großteil des Volkes. Noch einmal aber lebte die nonkonforme und oft sehr teuer erkaufte Opposition in den Beiträgen der Wendeaktivisten auf, welche letztendlich einen Sieg in Form von Freiheit und Demokratie auch für diejenigen Landsleute erstritten, die es nicht wagten ihren Unmut über das System vor Ort und offen zu artikulieren. Noch einmal nahm die wilde, beinahe anarchische Ära Gestalt an. Insofern hätte die Veranstaltung eine weitaus größere Resonanz verdient.

15. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
14.11.2009