Mit ganzem Einsatz
OB Dr. Dietlind Tiemann ging nach der Wende
neue Wege
von Michael L. Hübner
Sie ist kein Brandenburger Urgestein, die 1955 in Genthin geborene Oberbürgermeisterin
der Chur- und Hauptstadt. Dass sie aber diese, ihre Stadt aus der Seele
heraus liebt, das sieht man ihr an, wenn sie von ihr zu sprechen beginnt.
Eng verbunden ist Dr. Dietlind Tiemann Brandenburg an der Havel spätestens
seit der Zeit, als sie auf der EOS ihr Abitur ablegte, mit Auszeichnung
übrigens. Außenwirtschaft wollte sie studieren. Der Arbeiter-
und Bauernstaat lehnte ab, obgleich sie dessen Ideen als Heranwachsende
treu vertreten hatte. Stattdessen sandte man die junge Frau auf die
Hochschule für Ökonomie in Karlshorst, ließ sie ein
völlig neues Fach studieren: Arbeitsökonomie nannte sich das.
So recht wusste niemand, was man sich darunter vorzustellen hatte. Dennoch
glänzte sie auch hier, zählte wiederum zu den Besten. Die
Absolventenlenkung stimmte zu, als sie vom Brandenburger Landbaukombinat
angefordert wurde. Es dauerte nicht lange, bis die tatkräftige,
zielorientierte, konsequente und hochintelligente Dietlind Tiemann zur
Abteilungsleiterin im Kombinat und später zur ökonomischen
Direktorin berufen wurde. Zwischenzeitlich arbeitete sie mit ihrem Mann
an der gemeinsamen Dissertation. Ihr Direktor hatte nichts dagegen.
Aber eine adäquate Unterstützung – damit brauchte sie
nicht zu rechnen. Das Gerücht, sie sei in dieser Zeit Kampfgruppenkommandeur
gewesen, quittiert die heutige Oberbürgermeisterin mit einem traurigen
Lächeln: „Es ist abenteuerlich, was viele Menschen über
mich zu wissen, gar meine Gedanken und Ansichten zu kennen glauben.“
Nur mit der Realität hat es selten etwas gemein. Ja, sie war Mitglied
der SED. Als Studentin in Karlshorst war sie beigetreten. Die Idee von
einer Gesellschaftsordnung, die den Menschen von Ausbeutung und Krieg
befreien wollte, klang überzeugend. Als leitender Kader in der
Vorwendezeit aber sah sie dann die Staatsbilanzen, und was sie da sah,
das weckte Zweifel. Wo waren die Devisenhaushalte? Warum musste sie
mit Naturalien im PKW quasi als Türöffner durch die Lande
von Betrieb zu Betrieb tingeln, um dringend benötigtes Material
für ihren Betrieb zu akquirieren? „Wir waren dicht davor,
den zementlosen Beton zu erfinden“, sagt die Stadtchefin lakonisch.
Ihre Firma war nicht in die Devisenwirtschaft eingebunden und konnte
somit auch nicht mit hartem Gelde rechnen, was einige Probleme vereinfacht
hätte. „Wie es weitergehen sollte – davon machte sich
niemand von uns eine Vorstellung. Von der Marktwirtschaft hatten wir
keine Ahnung. Alles, was wir wussten, war, dass es so nicht weiterging,
nicht weitergehen konnte. Aber das sagte beinahe jeder. Nur gangbare
Alternativen konnte niemand aufzeigen. Wir beobachteten die Entwicklung
teilweise regelrecht paralysiert.“ Der Bruch kam, als der Parteisekretär
auf der Direktorenkonferenz verkündete, die Kampfgruppen würden
in Zivil eingesetzt um die für die Staatsführung immer bedrohlichere
Situation unter Kontrolle zu bringen. „Ob er die Truppen gegen
die eigenen Leute einsetzen würde“ fragte ihn Dietlind Tiemann.
Eine Antwort erhielt sie nicht. „Bin ich freiwillig eingetreten,
so kann ich auch freiwillig wieder quittieren“, sagte sie sich
und gab ihr Parteibuch ab. Obwohl sie Jahre später als erfolgreiche
Unternehmerin bereits höchste Ämter in CDU-nahen Wirtschaftsverbänden
bekleidete, trat sie dennoch der Partei, deren Kreisvorsitzende sie
heute ist, erst im Jahre 2001 bei. Für das Oberbürgermeisteramt
aber kandidierte Dr. Dietlind Tiemann erst, als einige CDU-Parteifreunde
im Jahre 2001 beschlossen, mangels eines eigenen Kandidaten die SPD-Kandidatur
zu unterstützen. Sie, die zeit ihres Lebens mit Politik nichts
mehr zu tun haben, die sich ihre Authentizität von keinen politischen
Vorgaben einschränken lassen wollte, gab jedoch einer Sache den
Vorzug: dem Kampf um „ihre“ Stadt, die in Lethargie zu versinken
drohte. Brandenburg an der Havel sollte sich des eigenen Potentials
endlich bewusst werden, es ausschöpfen, es umsetzen. Das begriff
sie als ihre vordringlichste Aufgabe. Mit Stolz verweist sie auf die
über 900 Beschäftigten der Stadtverwaltung, auf ihren exzellenten
Mitarbeiterstab, deren qualifizierte Zuarbeit entscheidend ist für
eine erfolgreiche Kommunalpolitik auf dem Weg zur attraktivsten Stadt
im Lande. Und auf diesem Wege sieht sie „ihre“ Stadt. Ein
Verdienst auch der Wende vor zwanzig Jahren, die einer langsam verfallenden
Stahlwerkerstadt neue Perspektiven eröffnete. Perspektiven vor
allem für die Menschen, die in ihr wohnen. Für diese Menschen
will sie da sein, die Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind Tiemann.