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Der Diplomat
Hans Otto Bräutigam und die Wendezeit

Dr. Hans-Otto Bräutigam gewährte das Interview am 14. September 2009 in seinem ehemaligen Arbeitszimmer in der ebenfalls ehemaligen Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR in Berlin-Mitte, Hannoversche Straße. Dem Interview hospitierten mit freundlicher Genehmigung Herrn Dr. Bräutigams der Pressestab des Bundesforschungsministeriums und Studenten der Hamurg Law School.

Michael L. Hübner
Nein, aus Brandenburg an der Havel stammt der vorletzte Ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der DDR nicht. Unbekannt ist die Chur- und Hauptstadt dem Juristen, Diplomaten und Justizminister der Brandenburger Landesregierung und Manfred Stolpe dennoch nicht. Im Gegenteil. Schon in seiner Zeit als höchster Vertreter Westdeutschlands besuchte er die Havelstadt des Öfteren und erinnert sich beispielsweise noch rege an die Ausstellungen, die im Dom gezeigt wurden und wahrscheinlich nur dort gezeigt werden konnten. Auch nach der Wende war er ein häufiger Gast in den Mauern der alten Dreistadt. Er, der nach zwei Diktaturen den Rechtsstaat zurück in die Mark brachte und den beliebten und erfolgreichen Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg berief, besuchte das Oberlandesgericht, die Generalstaatsanwaltschaft und – natürlich auch die Justizvollzugsanstalt auf dem Görden. In der Loriotstiftung wirkte Bräutigam mit und engagierte sich an führender Stelle in der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, die sich der jahrzehntelang unterrepräsentierten Belange der Zwangsarbeiter annimmt. Stellt man die lange, unselige Tradition der Zwangsarbeit in Brandenburg in Rechnung, dann finden sich auch hier Berührungspunkte. Der 1931 in Völklingen/ Saarland geborene Bräutigam legte 1950 an einem Benediktinergymnasium in Meschede/ Westfalen das Abitur ab. Heute noch bekennt er sich stolz zu dem liberalen Geist dieser Schule. Nach einem Studium der Staats- und Rechtswissenschaften und erfolgter Promotion, schlossen sich noch zwei Studienjahre an der Sorbonne und an der Harvard Law School an, wo er sich das Rüstzeug erwarb, um ab 1962 ins Auswärtige Amt (AA) einzutreten. Auf den jungen und hochgebildeten, geschmeidigen, doch in der Sache festen Bräutigam warteten hier die ersten Konfrontationen, die sich anbahnten, als überkommene Denkmuster, die teils noch von Vorkriegsmitarbeitern des AA getragen wurden, sich an der neuen Ostpolitik Willy Brandts rieben und stur auf dem harten Kurs gegenüber den Kommunisten beharrten. Bräutigam, zunächst einer der drei persönlichen Referenten des damaligen Außenministers Gerhard Schröder (CDU) und ab 1969 dem Deutschlandreferat zugeteilt, unterstützte den Wandel durch Annäherung, was ihn für seinen späteren Dienst unter dem großen Hanseaten Günter Gaus in der Hannoverschen Straße empfahl. Parteipolitisch ungebunden zählte der knapp Vierzigjährige als Mitarbeiter von Egon Bahr zu den Architekten des Grundlagenvertrags, die, ohne dass man das damals schon ahnen konnte, die Entwicklung zur beinahe zwei Jahrzehnte später sich vollziehenden politischen Wende in der DDR ebnen halfen. Als er dann selbst zum Ständigen Vertreter ernannt wurde, ließ Bräutigam, obgleich einen ruhigen, bedachten und überlegten Kurs gegenüber der DDR-Obrigkeit fahrend, das Ziel der Deutschen Einheit nie aus den Augen. Stetige und beharrliche Verhandlungen, die auch und gerade die Erleichterung der deutsch-deutschen Kommunikation auf der Ebene der einfachen Menschen zum Ziel hatten, aber auch häufige Empfänge in der Ständigen Vertretung (StäV) führten dazu, dass die Mauer immer mehr an der von ihren Erbauern gewünschten Intransparenz verlor. Der zunehmende ökonomische Druck, der seit Anfang der Achtziger auf der DDR zu lasten begann, deren hoher Sozialleistungsanspruch, der exorbitante Unterhalt von MfS und Mauer – all das führte zu einer steigenden Gesprächsoffenheit in Ostberlin. Die zunehmende Abhängigkeit vom ungeliebten großen und wirtschaftsmächtigen Bruder BRD führte zu manchen Zugeständnissen, die zehn Jahre früher dem Politbüro noch nicht abzutrotzen gewesen wären. Dennoch wurde auch Bräutigam trotz des sich abzeichnenden Kollaps der DDR vom Fall der Mauer überrascht. Als dann aber sein Traum, die Wiedervereinigung, Gestalt annahm, setzte er alles an eine erfolgreiche Umsetzung des in der Geschichte einmaligen Szenarios. Auf der Habenseite sieht er einen hervorragend abgeschlossenen politischen Transformationsprozess hin zur Demokratie und ihren Institutionen und speziell auf seiner Strecke, die exzellente Installation der Rechtsstaatlichkeit. Die neuen Bundesländer erfuhren eine unglaublich rasante Erneuerung ihrer Infrastruktur. Dass die Industrie nicht proportional mitwuchs, sieht Bräutigam unter anderem einigen irreversiblen Fehlern während des Wiedervereinigungsprozesses geschuldet. Manche Eigentumsregelungen waren schlichtweg mangelhaft und ungerecht. Unter dem Strich aber wurde für den Spitzendiplomaten, dessen Tätigkeitsfeld sich 16 Jahre lang im Zentrum der deutsch-deutschen Politik befand, ein Traum wahr, an dessen Verwirklichung er nie aufhörte zu arbeiten, obgleich das Ziel der Wiedervereinigung mit jedem Jahr in nebulösere Fernen zu entschwinden schien. Die Geschichte gab Bräutigam und seinen Mitstreitern recht. Alleine das zählt.

15. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
.2009