Robert tot – Michel
traurig
zur Trauerhysterie um Robert Enke - Wahnsinn
einer parasozialen Beziehung
B. St. Fjoellfross
Ein Fußballfeld ist vielen Europäern ein heiliger Ersatzkriegsschauplatz,
wo all die aggressiven Emotionen ein Ventil finden, die das Archencephalon
des Nackten Affen seit den Tagen bestimmen, als er noch in Rudeln über
die Kontinente zog, jederzeit bereit, dem Nachbarclan den Nüschel
einzuschlagen. Es ging heute wie damals um die Weibchen der Nachbarn,
um seine Nahrungsressourcen und Jagdgebiete – und letztendlich
galt das Ziel, die „Anderen“ von der Bildfläche verschwinden
zu lassen. Die einschlägigen Arbeiten von Lorenz, Morris und Goodall
haben uns viel über das Wesen des gemeinen Nackten Affen gelehrt,
der sich zwar neuzeitliche Armani-Anzüge überhelfen mag und
trotzdem immer die alte Bestie bleibt.
Nun stehen wir dem Fußball nicht grundsätzlich ablehnend
gegenüber. Aus den vorgenannten Gründen ist es uns lieber,
wenn in diesem Geschäft Milliarden dafür verpulvert werden,
dass Hunderttausende Augenpaare den Weg einer Lederkugel zwischen den
Beinen von zweiundzwanzig Spielern hindurch verfolgen, als dass „draußen“
Mord und Totschlag herrsche. Dennoch – der jüngst stattgehabte
Freitod des Nationaltorhüters Robert Enke stimmt uns nachdenklich.
Nicht einmal so sehr das tragische Ableben des jungen Menschen an sich.
Das ist immer ein Grund zur Betroffenheit. Das Gejaule und Geheule aber,
das nun durch die Nation geht, das Brimborium, das sie veranstaltet
um sich über diesen Verlust hinwegzutrösten, das ist doch
bedenklich. Es ist ein Indikator, welchen Stellenwert Fußball
mittlerweile in dieser Gesellschaft einnimmt, die sonst keine Sorgen
zu haben scheint. Oder derer am Ende zu viele? Tatsache ist: Ein Götze
hat die Menschen verlassen – und sie gebärden sich wie unsinnig.
Hat dieser Abgott ihnen Reichtum, Wohlstand und Gesundheit gebracht?
Einigen wenigen vielleicht. Die meisten aber wurden lediglich mit einer
Illusion abgespeist. Dem Gefühl, zu den Siegern zu gehören
ohne auch nur einen Finger krumm machen zu müssen, ohne ihren Hintern
auch nur einen Zoll breit über die Fernseh-Liege zu heben, und
das nur, weil dieses Idol den selben Personalausweis in der Tasche trug
wie all die deutschen Couch-Kartoffeln. Für das erhabene Gefühl
eines in seinem Namen ausgefochtenen Siegs sind der Michel und seine
internationalen Leidensgenossen bereit, das letzte Hemde wegzugeben.
Es ist so erschreckend. Da muß eine Landesbischöfin eine
Trauermesse für einen Selbstmörder zelebrieren – nein,
nicht eigentlich für ihn, sondern für die trauernde Gemeinde,
die des Hokuspokus' der Religion bedarf, um sich solchermaßen
in weihevolle Worte eingelullt vor der Realität verstecken zu können.
Hat die hohe Geistliche aber ein Wort über die armen Fahrer des
Eisenbahnzuges verloren, die womöglich Albträume habt, nachdem
ihr Zug einen Menschen überrollte. Nein, natürlich nicht.
das gehört da nicht hin. Das sind ja nur „ganz gewöhnliche“
Leute. Wen interessieren die schon? Die locken kein Couch-Potatoe von
seinem Diwan herunter. Nein, die Kirche folgt dem Willen der trauernden
auf der Straße: Gewohnt obrigkeitshörig bauchstreichelt die
evangelische Kirche mit enormem Aufwand die tumbe Masse um eines Toten
willen, anstatt sich zu den wirklich leidenden Lebenden zu bekennen.
Der Witz dabei ist, dass es nicht einmal um den Kern dieses Toten, seine
private Persönlichkeit geht. Es ist nur seine öffentliche
Hülle und sein Name und das wofür dieser Sportler steht. Recht
eigentlich ist also die Institution des Nationaltorhüters gemeint,
die nun wacklig vakant geworden ist. Michel bekommt es mit der Angst,
dass er bei der bevorstehenden Fußballweltmeisterschaft –
also dem mehr oder weniger friedlichen Ersatzweltkrieg – wieder
mal auf die Fresse bekommt. Dass der Tommy ihn hämisch angrinst,
während er sein Handtuch auf die Pool-Liege in Malle wirft. Hat
er nicht schon so viel verloren? Muss ihm der Gott seiner Väter,
der einst Eisen wachsen ließ, nun wiederum dem Gelächter
der Nationen preisgeben? Treibt sie das um, wenn sie sich in ihren Briefen
an einen Toten ihren Kummer von der Seele schreiben? Ihn, den phantastischen
Menschen Robert Enke hätten sie dabei im Sinne? Wann wären
denn die meisten der Briefeschreiber und von trauerndem Schmerz Überwältigten
jemals diesem Manne so nah gekommen, dass sie einen Grund hätten,
seinen Verlust so zu beklagen, als sei ein naher Verwandter gestorben?
Das ist doch alles Blödsinn. Zur selben Zeit rutscht vielleicht
ein pubertierendes Mädchen in die Drogensucht ab, weil sie sich
von niemandem mehr angenommen fühlt, ein Mädchen mit einem
vielleicht tadellosen und liebenswerten Charakter, aus der viel hätte
werden können. Um die Ecke springt eine alte Frau aus dem Fenster,
die noch half, die Bundesrepublik zu enttrümmern und jetzt, nachdem
der Mann gestorben ist, Angst hat, in ein anonymes Altersheim abgeschoben
zu werden, wo man ihr den Rest der Selbstbestimmtheit und die Würde
nimmt. Landesbischöfin – wir vermissen deine donnernden Worte
von der Kanzel! Oder sind das Mädchen und die alte Frau vor Gott
weniger wert als ein junger Mann, nur weil sie keiner Nation zur Hebung
des Selbstgefühls dienlich sind? Wenn aber diese beiden vor Gott
ebenso viel zählen wie der unproduktive Fußballspieler, der
lediglich verhindert, dass eine Lederkugel in sein Tor gelangt, interessiert
sich seine Kirche auf Erden am Ende gar nicht mehr für Gottes Standpunkt?
Stellt sie das Volksinteresse über das ihres Chefs? Ist der ALTE
am Ende selbst in den Augen seiner Diener nur noch ein Popanz? Welch
bezeichnendes Licht der Aufklärung da plötzlich durch die
klerikalen Buntglasscheiben schimmert. Doch Aufklärung wurde in
Teutonien schon immer zu denen Giften gezählt – es ist gefährlich,
den Michel mit seiner Dummheit zu konfrontieren. Das ist der Punkt,
an dem er zur reißenden Bestie wird. Das lässt er sich nicht
gefallen. Da beißt er um sich. Und dann gibt es am Ende jede Menge
Opfer, nach denen keine Landesbischöfin kräht. Uns zum Beispiel.