Baaks

zurück zum Landboten

 

Wo einst der Runde Tisch stand
Pfarrer Richard Rupprecht und die Wendezeit

Michael L. Hübner
Die einen glaubten an Gottes Güte, die anderen an die Wissenschaftlichkeit ihrer Weltanschauung. Leztere hatten in der DDR vierzig Jahre lang den Hut auf. Die Diener Gottes aber, wie Pfarrer Richard Rupprecht, behielten den längeren Atem. Geboren wurde er 1939 noch vor dem Ausbruch des Krieges im oberschlesischen Glatzer Bergland. Flucht und Vertreibung erlebte der junge Richard hautnah mit. In Belzig hielten die Viehwagen das erste Mal, mit dem die Heimatlosen aus Schlesien hinaus gekarrt wurden. Sein Bruder hatte nicht so viel Glück. Er war 18 Jahre alt und Deutscher – das reichte damals für 15 Jahre polnisches Zuchthaus. Sechs Jahre musste er absitzen und dann noch eine Weile in Polen bleiben. Das war also die neue Weltordnung. Richard, aus einer katholischen Familie stammend, wollte Pfarrer werden in einer Zeit, als die Kommunisten, welche die endgültigen Antworten auf alle Fragen der Welt aus dem Ärmel schüttelten, mit dem alten „Aberglauben“ aufräumten. Eine seiner Ausbildungsstätten war das Kloster Neuzelle. Im Hauptgebäude ein kommunistisches Lehrerseminar – die Geistlichen waren in einem Nebenflügel untergebracht. Die Lehrer hatten Umgangsverbot mit den „Pfaffen“, bis auf ein Fußballspiel. Rot gegen Schwarz. Rot gewann. Fröhlich lacht der Pfarrer. Ein Miniaturbild aus einer Zeit, die alles andere als einfach war. „Ihre Religion ausbaden mussten meist die einfachen Gläubigen. Uns Pfarrer ließ man in Ruhe“, sagt er. Trotzdem füllten sich drei Aktenordner der Stasi mit Beobachtungen des Geistlichen und seiner Gemeinde. Die katholischen Soldaten aus Hohenstücken besuchten ihn. Der Geheimdienst wurde nervös. Verpasste gar den Treffen den Namen „Weiße Friedenstaube“. Staatsgefährdend sei das wohl nicht, was da im Pfarrhaus der Dreifaltigkeit ablief – aber man sollte auf der Hut sein! Zumal die katholische Kirche in ihrer Mehrheit die größere Konzilianz der Protestanten vermissen ließ. Doch die Gefahr kam nicht von den Katholiken, sondern vom staatlichen Selbstbetrug und der mit ihm verbundenen Misswirtschaft. Schon in den Achtzigern stand die DDR so sehr unter Devisendruck, dass sie dem verachteten Klerus ganz gegen die eigene Doktrin den Neubau von Kirchen gestattete. Limex hieß das Zauberwort: In Westdeutschland wurden harte D-Mark eingezahlt. Dafür gab es Bauleistungen in Ostberlin. In Marzahn beispielsweise. In der damaligen Gemeinde des Richard Ruprecht. Stolz sah er seine Kirche „Maria Königin des Friedens“ wachsen, gestaltete einen Anlaufpunkt für Katholiken in einem betont atheistischen Stadtbezirk. Bis ihn der Bischof, dessen Jugendhaus er schon in Grünheide, in der Nachbarschaft des geächteten und bespitzelten Dissidenten Prof. Robert Havemann, geleitet hatte, nach Brandenburg an der Havel sandte. Der alte Pfarrer Semrau war in den Ruhestand getreten. Richard Rupprecht und sein Kaplan Bernd Krause nahmen die Herausforderung in der Stahlwerkerstadt an. Man ließ sie in Ruhe, solange sie mit der Gemeindearbeit unter sich blieben. Schikanen, wie die angedrohte Schließung des Grünheider Jugendhauses, blieben der Dreifaltigkeitspfarre erspart. Dennoch, um ihre Ansicht der Welt scherte sich im politischen Machtapparat der Havelstadt niemand – bis es im Jahre 1989 zu brodeln anfing. Das waren die Tage, als die katholische Kirche neben dem Paulikloster vor Besuchern bis in den Hof hinein überquoll und nach dem „Gebet für unser Land“, das dem Leipziger Friedensgebet entsprach, die Besucher als Demonstranten durch die Stein- und Hauptstraße nach St. Gotthardt zogen, wo eine Informationsveranstaltung des Neuen Forums stattfand. Jetzt kamen auch die kommunistischen Entscheidungsträger an den Runden Tisch der Domstadt. Der stand im Pfarrbüro der Dreifaltigkeitsgemeinde. Der Runde Tisch war keine Körperschaft de jure, wohl aber de facto. Mit einem Mal hörten die Vertreter der SVV genau zu, was am von Norbert Zimny moderierten Runden Tisch gesprochen wurde. Und man versuchte, die Empfehlungen dieser Institution bürgerschaftlichen Engagements tunlichst umzusetzen. So z. B. die bezüglich des Umgangs mit den Waffen, vor denen wohl jeder Demonstrant nicht unbegründet Angst hatte. Richard Rupprecht erfüllten diese Vorgänge mit Freude und Zuversicht. Der feste Glaube an den allmächtigen Vater Israels hatte gesiegt. Nun war es für die Gläubigen kein Berufshindernis mehr, sich zur Heiligen Schrift zu bekennen. Was der Pfarrer an der neuen Zeit bedauert? Das Überangebot an Zerstreuungen verführt Viele zu einer Oberflächlichkeit und einer Vereinsamung, die den Menschen nicht gut tun. Es wird stiller in den Gotteshäusern. Dennoch bleibt er auf seinem Posten. 71 Jahre, die man dem stattlichen Mann nicht ansieht, sind für Pfarrer Rupprecht kein Grund, in Pension zu gehen. Er wird noch gebraucht – also dient er. Seinem Gott und seiner Gemeinde. Ein Urgestein des Katholizismus in einem protestantischen Land – einer der sich bewährte und ein lebendiges Zeugnis gegeben hatte in einer Zeit, die Mut und Zuversicht erforderte, den christlichen Glauben zu bekennen.

15. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
29.09.2009