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Zur Wiederauferstehung der Dresdener Frauenkirche


K. K. Bajun
Dieser fürchterliche Trümmerberg! Ein Mahnmal gegen den Krieg sollte er sein. Aus ihrer bettelnden Armut versuchten die Kommunisten aufrichtig eine Tugend zu machen und mit diesem haushohen Schutthaufen im Herzen Dresdens ein Zeichen zu setzen gegen die schrecklichste Ausgeburt der menschlichen Dummheit – den Krieg.
Genutzt hat es wenig. Die die Frauenkirche in den Tagen des Dresdener Untergangs sterben ließen, zogen froh und munter um die halbe Erdkugel, um sich mit den Argentiniern um ein paar gottverlassene Eilande im Südatlantik zu balgen. Die, denen die Frauenkirche zerstört wurde, bejubelten im sozialistischen Wehrkundeunterricht und auch sonst bei jeder Gelegenheit jedwede militärische Aktion gegen die Zionisten und alle anderen Handlanger des aggressiven Weltkapitalismus unter Führung der U.S.A. Sie jauchzten über die brüderliche Hilfe, die die unbesiegbare Sowjetunion den um ihre Freiheit vom imperialistischen Joch ringenden Völkern Afghanistans leistete. Und so weiter, und so weiter.
Was blieb, war dieser gigantische Schutthaufen, gerahmt von einigen traurigen Mauerstümpfen. Jedem, der Dresden liebte, blutete das Herz. Denn hier lag unbestritten die Seele der Stadt. Canalettos weltberühmter Blick vom anderen Elbufer auf die Altstadt – was war er ohne Baers gewaltige Kuppel?
Einer der schönsten, liebenswertesten, kulturträchtigsten Städte Europas war eine grauenhafte Wunde geschlagen worden. Die verschloß sich nicht. Die schwärte, die wühlte, die tat weh.
Vielleicht sogar noch ein wenig mehr als die Vernichtung unseres Berliner Stadtschlosses, als Monbijous, als des Potsdamer Stadtschlosses, der Leipziger Augustinerkirche oder der Brandenburger Innenstadt – wenn ein solch quantitativer Vergleich überhaupt zulässig ist. (Alle Städte, die in Folge des letzten Krieges ebenfalls schreckliche Verluste erlitten, mögen sich an dieser Stelle repräsentiert fühlen.)
Nach der politischen Wende in Mitteldeutschland wurde nun erneut die Frage eines Wiederaufbaus der Frauenkirche diskutiert. Kontrovers, heftig, heißblütig. Doch das Volk der Sachsen, das einst den zuverlässigen und linientreuen Parteikader der SED stellte und in dieser Eigenschaft die ehemalige Hauptstadt der D.D.R. wie eine biblische Heuschreckenplage überflutete, Leute, die heute noch die Bemühungen Herrn von Boddiens hinsichtlich des Schloßaufbaus zu Berlin hintertreiben helfen – diese Sachsen machten mobil. Sie zeigten, aus was für Holz sie geschnitzt sind – wie tatkräftig, wie agil, wie strebsam. Während in Preußen das große Lamento anhob, das aus einem Schloßneubau einen Zombie machen wollte, zog der kleine große Trompeter Ludwig Güttler schon mit Blasinstrument und Sammelbüchse durch die Lande und begeisterte viele für die Idee des Wiederaufbaus. Selbst unser Alter, der Fjøllfross, diese lebende Antithese eines Krøsus, suchte seine paar Spargroschen zusammen und kaufte eine Frauenkirchen-Armbanduhr (Jahrgang 1993).
Ein Symbol begann aufs Neue Stein um Stein emporzuwachsen. Ein Symbol – nein, dieses Mal nicht für idiotischen Zerstörungswillen, dieses Mal für die dem Menschen immanente Kraft, das Böse zu überwinden, immer wieder zum Schönen zurückzufinden, Verlorengegangenes nicht einfach aufzugeben – sondern zu bewahren, zu ersetzen, sich der Dummheit zu erinnern, die es verloren gehen ließ und unermüdlich nach Wegen zu forschen, dieser Urdummheit künftig besser die Stirn zu bieten.
Kein Besuch der „Landboten“ in Dresden, ohne daß der Alte nicht als erstes riefe: „Zur Frauenkirche!“ Dort angekommen, wurde die Höhe der neu aufgerichteten Mauern getaxt, zum letzten Besuche ins Verhältnis gesetzt – Glückstränen, Freude, ja – dieses Bauwerk ist sogar mehr als nur ein Symbol!
Manchmal erscheint es so, als würden Städte erst durch ihr Weichbild ein Gesicht gewinnen. Man vergleiche die oft drögen und gestaltlosen Ansiedlungen des amerikanischen Mittelwestens mit den Silhouetten von Lübeck, Köln oder Erfurt. Selbst Chicago, New York oder San Francisco können noch mit einer unverwechselbaren Identität aufwarten.
Insofern ist natürlich die Wiederherstellung des geschändeten Antlitzes Dresdens ein unverzichtbares Moment zur Rückerlangung von Identifikation. Diese hingegen ist unabdingbar für ein gewisses Lebensgefühl für die Bewohner. Identifikation ist unbestritten ein Energiequell, ein Geschäft, von dem alle Beteiligten profitieren.
Man zieht das in Zweifel? Was glauben Sie wohl, woher eine Stadt wie Rothenburg ob der Tauber ihre enorme Attraktivität bezieht? Selbstredend vermittelt dieser mittelalterlich getrimmte Ort eine Illusion. Aber genau diese Illusion zielt ab auf alle urbanen Spielarten der Identifikation: Vertrautheit, Gemütlichkeit, Geborgenheit in einer überschaubaren Gemeinschaft, Familiarität mit Stadt und Gemeinde. Das ist der Lockstoff, der Amerikaner und Japaner in Scharen nach „merry old Germany“ zieht. Das ist der eigentliche Auslöser an den ungezählten Kameras dieser Touristen, die versuchen ihre Sehnsüchte und Träume auf Zelluloid zu bannen.
Und das ist es auch, was die Menschen in Warschau, Danzig und Dresden verstanden haben.
Hier mußte kein Disney-Land errichtet werden als Reminiszenz an das Trugbild, welches historisch ungebildete Ausländer von einer mittelalterlichen europäischen Metropole pflegen. Hier mußte nicht mit Gewalt Neues in die Stadtlandschaft geprügelt werden, als Monumente der Selbstbeweihräucherung von durchgeknallten Architekten. Hier wurde wieder erschaffen, was die Augen von Generationen von Müttern und Vätern erfreut hatte. Bewährtes, Gewohntes, Vertrautes – von Barbarei und Dummheit zerstört, von Könnern und Begeisterten ins Leben zurückgerufen. Das Warschauer Schloß, die Danziger Rechtstadt mit ihrem prächtigen niederländischen Manierismus, die Dresdner Frauenkirche, mit ihrer alles überragenden Baer’schen Kuppel.
Was nun sollen wir angesichts dessen in Preußen verkünden? Vielleicht nur das: Wacht doch endlich auf, ihr Schlafmützen!
Als zu Beginn der Siebziger Jahre Touristen aus Westdeutschland Erfurt besuchten, wurden sie in ganzen Busladungen durch Erfurts Neubaugebiete gekutscht, um ihnen die Errungenschaften des Sozialismus vorzuführen. Die Mehrzahl der Devisenbringer wandte sich enttäuscht ab. Dafür waren sie nicht in die Thüringer Landeshauptstadt gekommen! Mit seelenlosen Trabantenstädten hatten sie schon lange vorher ihre Erfahrungen gemacht – Wohnungsnot nach dem Kriege hin oder her! Was sie sehen wollten, war das weltberühmte Dom-Ensemble, der Anger, die Krämerbrücke, die Predigerkirche.
Darin besteht die grundsätzliche Lehre, die aus dieser fatalen Fehleinschätzung der vernagelten kommunistischen Reiseführer und ihrer heutigen Apologeten zu ziehen ist: Ein neuen Glaswürfel an die Stelle des im Kriege zerstörten Rathauses/ Schlosses zu setzen, ist ein programmiertes Fiasko, liebe Brandenburger/ Berliner. Potsdam kämpft wenigstens um sein Stadtschloß und seine Garnisonkirche, setzt Zeichen mit dem neuen Fortunaportal. Berlin ist auf dem richtigen Wege mit der Schinkelschen Bauakademie.
Brandenburg? Na, lassen wir das – es ist ein zu trauriges Thema!
Doch würde es den Brandenburgern, die ihre Marienkirche dem Verfall preisgaben, ja, die es noch im Jahre 1974 zuließen, daß man sie einer kleinen Perle – der Bismarckwarte auf dem Marienberge nämlich – beraubte – es würde also diesen Brandenburgern nicht schaden, mit einem guten Fernglas in der Hand auf diesen unästhetischen Aluminiumturm zu klettern, der ihnen an die Stelle der Bismarckwarte gepflanzt wurde. Oben angekommen sollten sie den Blick nach Dresden richten und angestrengt nach der Kuppel der Frauenkirche suchen. Und während sie suchen, sollten sie nachdenken, nachdenken, nachdenken!
Denn es gab da mal einen der Ihren aus einem Brandenburg umliegenden Dorfe. Ziemlich dummer Mensch, ein Ignorant und Windbeutel. Hatte von nichts Ahnung, aber vom Großvater einen großen Haufen Zinnware, Krüge und Becher, geerbt. Altes Gelumpe, das. Auf die Müllhalde hat er das Zeug geworfen um Platz zu schaffen für ein paar modische bunte Plastebecher im Stile der Fünfziger. Jahre später hat der Depp in der Dorfschänke von seiner furiosen Tat erzählt und sich gewundert, daß Minuten später die Kneipe leer war: Das halbe Dorf war mit Hacke und Spaten nach der Müllkute unterwegs. Da endlich hat es wohl dem Deppen gedämmert, daß er sich um Tausende von Mark gebracht hat mit seinem Unverstand.
Liebe Brandenburger, liebe Berliner, liebe Mitpreußen! Gedenkt dieses hirnlosen Dämlacks und schaut nach Dresden! Sie sind euch ein paar Schritt voraus, die Sachsen. Und sie werden die Früchte ihres Mutes und ihrer Mühen ernten, während ihr noch immer diskutiert und jammert.
Seht zu, daß ihr nicht zu weit zurückbleibt: Wer nicht investiert, kann auch nicht gewinnen. Wer in Windbeuteleien investiert, kann viel verlieren. Wer aber klug und verständig mit selbst sparsamsten Mitteln umzugehen weiß, der wird sich am Ende gratulieren dürfen.
Das ist die frohe Botschaft, die ausschließlich und nur für uns vom Kuppelkreuz der Frauenkirche herunterblinkt.

2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004