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Die Weltoffenheit des Deutschen
Michels – Masochismus, Selbstverleugnung oder erhabene Größe?
Don M. Barbagrigia
Mitten in Berlin: Wir stehen unter
dem Brandenburger Tor und schauen uns um. Ja, ohne Zweifel: Das ist die
Gute Stube der deutschen Hauptstadt. Hinter uns die Straße des 17.
Juni, vor uns die weltberühmten „Linden“, neben uns das
Adlon, das Palais Liebermann, die französische Botschaft. Ja richtig,
die französische Botschaft… Die erinnert uns auch gleich daran,
wie der Platz heißt, auf dem wir stehen. Es ist der Pariser Platz.
Der zentrale Platz der deutschen Hauptstadt Berlin heißt: „Pariser
Platz“. Auf ihm hallten die Tritte der napoleonischen Armee, als
sie unter der Führung des kleinen Korsen mit dem ausgeprägten
Hang zum Größenwahn nach Osten aufbrach und das schwache, nachfriderizianische
Preußen überrannte. Das waren die Truppen des Landes, das seine
hugenottischen Töchter und Söhne in der Bartholomäusnacht
abschlachtete und dann von Zeit zu Zeit und immer mal wieder ins Exil
trieb. Der Brandenburger Große Kurfürst und seine Successoren
nahmen die Verjagten auf. Toleranz, christliche Barmherzigkeit, wirtschaftliches
Kalkül? Vielleicht auch ein Mix von allem. Ist auch egal! Fakt ist,
daß die zugereisten Franzosen in der Folgezeit sehr inspirierend
auf die Märker wirkten, die viel von der romanischen Kultur übernahmen.
Bis hinein in die Sprache der Gosse wurde französisiert was das Zeug
hält. Man saß beim Friseur auf Chaiselongues und wühlte
im Portemonaise, um den Maitre Coiffeur zu bezahlen. Hernach ließ
man sich in der Limousine über die Chaussee nach Hause fahren, um
das Chemisett zu wechseln. Sie sehen, die unselige Anglizismenschwemme,
die Herr Bajun bereits in seinem Artikel „Sprache – über
die geistlosen Kunstwörter“ kritisierte, war in ähnlicher
Form schon des öfteren in deutschen Landen zu Gast.
Neugierig geworden werfen wir einen Blick auf den Stadtplan unserer Heimatstadt
Berlin und werden fündig: Wir entdecken nicht nur einen Pariser Platz
- nein, nein, aus der jüngsten „Franzosenzeit“, der alliierten
Vier-Mächte-Besatzung nämlich, ist uns ein ganzes Quartier Napoleon
überkommen. Können Sie sich in Paris ein „Kaiser-WilhelmII.-Gedächtnisviertel“
als Teil eines Pariser Arrondissements vorstellen? Sie lachen? Wie schön!
Während sich im Berliner Norden gar eine Rue Andre-le-Norte, eine
Rue Ambroise-Pare, eine Avenue Charles-de-Gaulle, eine Avenue Jean-Mermoz
und auch eine Jean-Jaures-Straße tummeln, finden wir im Norden des
Berliner Stadtbezirks Wedding ein ganzes britisches Viertel, das von der
Londoner Straße angeführt den britischen Städten Liverpool,
Glasgow, Belfast, Bristol, Cambridge, ja sogar dem irischen Dublin ein
Denkmal setzt. Die Aufzählung ließe sich beinahe beliebig mit
holländischen, polnischen, dänischen, norwegischen Schweizer,
böhmischen, italienischen und ungarischen Ortschaften bereichern.
Gar kein Problem!
Ist das nun ein Zeichen für deutsche Weltoffenheit?
Dann nehmen Sie doch mal einen Stadtplan von Paris, Budapest, Turin oder
einer x-beliebigen anderen Metropole außerhalb der deutschen Grenzen
in die Hand und suchen sie eine Rue Berlin, eine Berlin utca, ein Berlinvej,
eine Berlin-Road, ein calle de Berlin oder eine via Berlin. Sie werden
lange und vergeblich suchen.
Dieses Phänomen ist nun beileibe nicht auf die Bezeichnung von Straßen
beschränkt. Das ganze Theater wiederholt sich nahtlos in deutschen
Kreißsälen. Die Kinder, die in ihnen zur Welt kommen, tragen
oft Namen, deren Exotik sich häufig umgekehrt proportional zum Intelligenzquotienten
ihrer Eltern verhält. Was wollen diese Leute damit zum Ausdruck bringen?
Was will das Volk, das aus diesen Leuten besteht, zum Ausdruck bringen?
Wie kommt es, daß das deutsche Fernsehen in masochistischer Manier
pausenlos Filme und gar Serien ausstrahlt, die stets und ständig
deutsche Soldaten oder Bürger als böse und sture Deppen darstellen,
während die französischen, englischen, amerikanischen Gegenspieler
(in der ehemaligen D.D.R. waren es sogar Russen) als clevere und ausgeschlafene
Jungs mit Lebensart und Sinn für Witz und Kultur obsiegen. Diese
cineastischen Meisterwerke sind nota bene sogar in die deutsche Sprache
synchronisiert wurden und werden vom deutschen Fernsehpublikum begeistert
aufgenommen. Ich denke da an Streifen wie „Die tollkühnen Männer
in ihren wackligen Kisten“, „Das dreckige Dutzend“,
oder „Ein Käfig voller Helden“. Mal im Ernst –
und ich frage das als Italiener – wäre ein solcher Stoff mit
umgekehrten Vorzeichen irgendeinem Volk außer den Deutschen zuzumuten?
Sicher, die deutschen Nationalsozialisten sind die übelsten Verbrecher,
die je die Luft dieses Planeten geatmet haben. Aber war unser Mussolini
– Duce ein Deut besser? Oder die japanischen Faschisten? Oder der
Caudillo Franko? Oder die Ton-Ton-Maquut auf Haiti? Idi Amin Dada aus
Uganda? Genosse Stalin, der Massenschlächter? Pol Pot und Yeng Sari
aus Kambodscha? Was ist mit den amerikanischen Kriegsverbrechern, die
den vietnamesischen Regenwald entlaubt haben um den „gelben Affen“
im Namen der Demokratie und der internationalen Hegemonie des amerikanischen
Großkapitals ein bißchen Phosphor und Napalm auf den Pelz
brennen zu können?
Können Sie sich bei der ganzen Vielzahl der amerikanischen Fernsehkanäle
auch nur einen einzigen vorstellen, der ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager
als Schauplatz zeigt, in dem die „gelben Affen“ den vertrottelten
amerikanischen Bewachern auf der Nase herumtanzen und gleichzeitig mitten
im Lager eine Kernzelle des Widerstandes etablieren (Ein Käfig voller
Helden)? Tolle Idee, was? Wie wär’s? Füllen Sie die Marktlücke!
Drehen Sie solch einen Schinken und bringen Sie ihn auf den amerikanischen
Fernsehmarkt! Michael Moore wird jubilieren! Denn er wird im selben Augenblick
zu Ihren Gunsten von der Hitliste der von den Amerikanern meistgehaßten
Menschen gestrichen.
Aktualisieren Sie das Thema, und lassen Sie die gefangenen Taliban auf
Guantanamo die Rolle des Colonel Hogan und seiner Getreuen spielen! Es
wird ein Kracher - garantiert.
Zumindest wird ihre Nachbarschaft das der Polizei zu Protokoll geben,
nachdem Ihr Auto explodiert ist.
Woher nur kommt diese kerndeutsche Selbstkasteiung? Herr Fjøllfross
behauptet steif und fest, das habe mit der deutschen Tragödie zu
tun, wie er die Entwicklung von Heinrich VII. über den 30-jährigen
Krieg bis hin zum „Führer - GröFaZ“ nennt. Dort
habe man den Deutschen das Selbstwertgefühl, das gesunde nationale
Empfinden herausgebrannt, -vergewaltigt und -geschunden.
So daß die Deutschen, einmal nach 1870/71 zu Kräften gekommen,
meinten, nun müsse alle Welt am deutschen Wesen genesen. Und nach
dem unvermeidlichen Ende des Größenwahns hieß es: „Ganze
Abteilung kehrt schwenkt, marsch!“ – jetzt werden alle erlöst
vom Gutmenschen aus dem Land zwischen Rhein und Oder. Ob’s denen
paßt oder nicht!
Was bleibt unterm Strich?
Eine Nation, die aus dem Unterbewußten heraus auf Schritt und Tritt
ihre seelische Zerrissenheit offenbart, bis hinunter in die einzelnen
Familien. Eine Nation, die andere entweder überfallen und unterwerfen
oder sie permanent beglücken und nachäffen muß. Eine Nation,
die aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen wurde und nun auf der erfolglosen
Suche nach einer ausgeglichenen, eigenen Mitte ist. Dabei gäbe es
Material genug für solch ein Selbstverständnis. Denn das Volk
der Deutschen war einst als Volk der Dichter und Denker in der Welt berühmt.
Es war ein Volk, dem die Kraft bahnbrechender technischer Innovationen
zu Gebote stand. Ein Volk, das es verstand, dieses Potential auch umzusetzen.
Noch heute benutzen die Neger in Afrika beispielsweise fast einhundert
Jahre alte Schiffe, um den Tanganjika-See zu queren, die Chinesen deutsche
Braukessel, um Tsingtao-Bier zur brauen. Dort, fernab vom Mutterland dieser
Technik, wo die deutsche Misere unbekannt ist, hat der Name „deutsch“
noch immer einen guten Klang.
Doch diese Deutschen nennen ihre Kinder Marcel und Ray, Mandy und Angelique.
Glotzen aus der Budapester Straße sehnsuchtsvoll in eine imaginäre
Ferne, in der alles besser zu sein scheint als hier und vergessen dabei,
sich nach dem Golde zu bücken, das ihnen zu Füßen liegt.
Das ist das wahre „Deutsche Fiasko“!
Wenn es doch nur echte Weltoffenheit wäre, die die Deutschen verleitet,
nach allem Ausländischen zu schielen und es auf die ein oder andere
Weise zu hofieren. Das wäre dann ein Zeichen von Souveränität.
Von Stärke. Von Ehrerbietung den andersgearteten Nachbarn gegenüber.
Aber leider Gottes ist dem nicht so. Wären nicht viele Deutsche bereit,
einen Polen auf der Warschauer Straße anzuspucken und einen Neger
in der Togostraße scheel anzuschauen?
Der Preußische Hinkende Landbote übrigens residiert in der
Chausseestraße. Nein, nicht in der, die die Friedrichstraße
von Berlin-Mitte übers Oranienburger Tor hinaus verlängert.
Auch in der Provinz folgt man traditionell und schon immer den Vorgaben
aus der Hauptstadt. Hätten wir eine Pariser Geschäftsadresse,
so müßte es schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir beispielsweise
"Rue Landstraße" als Absender auf unsere Couverts schreiben
könnten.
Da dieser Herr jedoch wahrscheinlich keinen deutschen Paß besitzt
und wir zu arm für eine Pariser Agentur sind, brauchen wir uns zumindest
mit diesem Gedanken nicht weiter zu befassen.
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