zurück
zum Landboten
|
Gesundheit und Medizin
-
das kostbarste und das teuerste Gut des Menschen
Betrachtungen über einen deutschen Treppenwitz
B. St. Fjøllfross
„Sei schlau – geh zum
Bau!“ hieß es noch vor wenigen Jahren. Warum? Weil man auf
dem Bau so richtig Geld machen konnte. Na ja, zumindest das, was Nicht-Rechtsanwälte,
Nicht-Ärzte oder Nicht-Industrie-Magnaten unter Geld verstanden.
Nun konnte ja nicht alles auf den Bau strömen, obwohl der Motor der
Nachkriegskonjunktur in beiden deutschen Staaten kräftig brummte.
Mancher hatte einfach nicht die Statur oder andere Vorraussetzungen, um
Hucker oder Polier zu werden.
Und irgend jemand mußte ja auch den Bus steuern, mit dem die Maurer
morgens zur Arbeit kamen. Irgendwer den Müll abfahren, der in deren
Haushalten so anfiel. Und wenn dann dem Anputzer eine Kelle auf den unbehelmten
Kopf fiel, wer brachte ihn ins Krankenhaus? Richtig – die Sanitäter
vom Roten Kreuz, vom Rettungsamt, den Johannitern oder Maltesern. Vielleicht
war es auch der Arbeiter-Samariter-Bund, der sich in helfender Absicht
zum verletzten Kollegen begab. Es ist wurscht! Fakt ist, daß selbst
der Hilfsarbeiter auf dem Bau schon in einer tiefen Bewußtlosigkeit
liegen mußte, um sich nicht krank zu lachen über die Lohnzettel
der Sanis. Der Leute, die ihn gerade vor möglicherweise irreparablem
Schaden bewahrten, oder sogar das Leben retteten.
Busfahrer und Müllmänner durften ruhigen Gewissens in das dröhnende
Gelächter einstimmen, selbst wenn sie mit ihrem Bus umgekippt oder
ihnen dutzendweise gefüllte Mülltonnen auf die Füße
gefallen waren. Denn, die da in Sani-Uniform vor ihnen standen um ihnen
qualifizierte Hilfe zu bringen, bis der Notarzt oder das Krankenhaus übernahmen,
waren die ärmsten Schweine unter der lichten Sonne Gottes. Weniger
als sie bekamen eigentlich nur noch die Arzthelferinnen oder Rechtsanwaltsgehilfinnen.
Merken Sie’s? Wir sprechen ganz bewußt von „bekommen“.
Denn an dieser Stelle das Wort „verdienen“ zu erwähnen,
wäre völlig verfehlt. Denn was „verdient“ jemand,
der an exponierter Stelle, sozusagen an vorderster Front des „Menschen
kostbarstes Gut“ zu bewahren versucht. Und dabei oftmals selbst
Leib und Leben riskiert. Denn schon die Anfahrt mit Blaulicht und Sondersignal
potenziert die schon alltäglichen Gefahren des Straßenverkehrs
ins Aberwitzige. F = m*a, lehrte uns Meister Newton: Kraft ist gleich
Masse mal Beschleunigung. Greifen Sie selbst zum Taschenrechner und vollziehen
Sie nach, welche enormen Kräfte spielen, wenn ein Rettungstransportwagen
(RTW) von mehr als zwei Tonnen Gewicht und einer Geschwindigkeit von 70km/h
auf ein Hindernis prallt, weil irgendein anderer Verkehrsteilnehmer das
Martinshorn überhört, die Blaulichter übersehen hat. Hier
wird in einem Bereich gearbeitet, der für die Beteiligten um einiges
gefährlicher sein dürfte als ein Job in der Senatsverwaltung
von Groß-Berlin. Und trotzdem wird letzterer vergleichsweise fürstlich
entlohnt.
Selbst angestellte Krankenschwestern, obwohl ebenfalls nicht dem Hochlohnsektor
zuzurechnen, können sich im Allgemeinen noch über ein Gehalt
freuen, welches gut ein Drittel über dem eines deutschen Sanitäters
oder Rettungsassistenten liegt. WARUM?
Wie ist es zu rechtfertigen, daß sich die Bosse der Krankenkassen
auf Kosten der Versicherten die Taschen vollhauen und die Männer
und Frauen im Erstversorgungsbereich am Hungertuche knabbern lassen? Ist
es der schrankenlose Zynismus der Leute an den Hebeln der Macht? Ohnmacht
oder das schlichte Nicht-Vorhandensein staatlicher Kontrollorgane?
Daß man uns nicht mißverstehe: Dies ist kein Aufruf zum Barrikaden-
und Klassenkampf. Wir würden es tun, wenn es denn zu etwas nutze
wäre. Aber es funktioniert nicht! Schon der deutsche Nationalökonom
Roettger hat anfangs der vierziger Jahre mit mathematischer Präzision
nachgewiesen, daß eine Umverteilung der in der Gesellschaft kursierenden
Werte a la Robin Hood nichts bringt. Natürlich kann man einigen Reichen
alles nehmen und den Armen dafür geben. Was ist das Ende vom Lied?
Jeder vormals Arme hat 4 Euro 50 mehr im Beutel. Und? Kann sich nun dem
gehobenen Mittelstand zurechnen?
Die Verteilung der Gelder innerhalb des mittleren medizinischen Sektors
jedoch unterliegt einer unerträglichen Schieflage und steht in keiner
vernünftigen Relation mehr zu den dort erbrachten Leistungen und
der permanenten Verantwortung, die auf den ambulanten Erstversorgern lastet.
Der Kardinalfehler der deutschen Rettungsdienstler und Krankentransporteure
besteht unserer Ansicht darin, daß sie sich nicht entsprechend organisieren,
einen gemeinsamen Dachverband bilden, der mit einer Stimme spricht und
der es versteht, die Mitarbeiter entsprechend zu mobilisieren.
Während Busfahrer und Müllmänner getrost in den Ausstand
treten können um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, werden
die Ambulanzfahrer mit dem Ethos erpreßt, daß man kranke Menschen
ja unmöglich um solch banaler Anliegen willen liegen lassen könne.
Es wird Ihnen eine Pflicht zur Hilfe auferlegt, die sie in der Durchsetzungsfähigkeit
ihrer Forderungen lähmt. Das sind moralische Daumenschrauben. Ihre
Anwendung aber ist im höchsten Maße unmoralisch. Denn niemand
aus dem Gewerbe käme auf den Gedanken, sich über einen Ausstand
Gedanken zu machen, wenn denn die Entlohnung auch nur halbwegs mit der
erbrachten Leistung und der dahinter stehenden Verantwortung korrelieren
würde.
Und natürlich können wir nicht verschweigen, daß dieses
Gewerbe naturgemäß kaum Juristen oder zumindest andere studierte
Leute beschäftigt. Die Möglichkeiten, den Verhandlungspartnern
auf Seiten der Krankenkassen knallharte und fähige Repräsentanten
gegenüberzustellen, die für ihre Klientel ähnlich erfolgreich
agieren könnten wie die Gewerkschaftsbosse der Ver.Di sind sehr begrenzt.
Nein, das ist Quatsch! Diese Möglichkeiten sind schlichtweg nicht
vorhanden.
Und so kann man beispielsweise in Berlin regelmäßig erleben,
wie die Krankenkassen ihre Partner im Transportgewerbe gegeneinander ausspielen,
um die Preise ins Bodenlose zu drücken – natürlich im
„Interesse der Versicherten“.
Und da liegt der Hase im Pfeffer! Welche Qualität haben die Versicherten
denn zu erwarten von Leuten, denen nichts anderes mehr möglich ist,
als ihre Arbeitskraft zu solch jämmerlichen Bedingungen zu verkaufen.
Aber so denken, heißt langfristig denken. Und diese Kunst scheint
der heutigen, auf das schnelle Geld ausgerichteten Gesellschaft abhanden
gekommen zu sein.
Im übrigen müßte man schon sehr blauäugig sein, um
den Scharwenzeleien der Kassen auf den Leim zu gehen. Es geht ihnen nicht
um den Menschen und seine Gesundheit. Sie sind Wirtschaftsunternehmen,
also geht es Ihnen um Gewinn. Und damit um möglichst viele Beitragszahler
– um nichts sonst!
Beitragszahler aber wollen geködert werden. Mit Kampfpreisen und
–beiträgen. Und die lassen sich nur durchhalten, wenn man gnadenlos
einspart.
• Bei den Magnaten der Kassen und deren Subalternen? Gott bewahre!
• Bei den unteren Schichten der eigenen Verwaltung? Das gibt Ärger
mit deren Gewerkschaft. Und man darf nicht vergessen – die können
streiken.
• Bei den Ärzten? Zu gefährlich. Die sind im Allgemeinen
betucht, organisiert und mächtig. Die können auch schon mal
kraft eigener Wassersuppe der Frau Gesundheitsministerin den Hahn abdrehen
und in einer Kraftprobe die Praxen geschlossen lassen. Grundversorgung
gefährdet? Das tut weh. Da können die Kassen noch sehr mit dem
Entzug ihrer Zulassungen drohen. Das sind doch im Endeffekt Papiertiger.
Und auf das Ärztliche Ethos in Bezug auf den hippokratischen Eid
rechnen zu wollen, ist völlig verfehlt. Die Zeiten sind vorbei. Zumindest
beim Gros der Ärzte.
• Beim Versicherten? Na ja, dem werden halt die Leistungen gekürzt,
das die Schwarte kracht. Aber das reicht noch nicht.
Also bei den Rettungsdiensten und Krankentransporten mit Ausnahme der
verbeamteten Feuerwehr. Die sind ideal zum Pressieren. Wie oben schon
erwähnt – zu desorientiert und zu ungeschult. Denen kann man
diktieren. Und entweder sie schlucken die Kröte oder der Konkurrent
erhält den Zuschlag. Sie werden schlucken, denn sie sind oft arme
Knauser, denen das Polster fehlt zum langen Atem. Die brauchen die Verträge
oder sie gehen unter.
Und diesen Druck geben die privaten Inhaber dieser Dienste an ihre Mannschaften
weiter. Es bleibt ihnen nicht viel anderes übrig. Von den Männern
vorm Mast hingegen werden sie als die einzig augenscheinlichen Repräsentanten
der geldgebenden Seite wegen der miserablen Bedingungen gehaßt,
unter denen die paar Mark zusammenmalocht werden. Wer wird auch von einem
einfachen Krankenfahrer verlangen können, daß er hinter die
Kulissen schaut und das dahinterstehende System begreift. Und selbst wenn:
In dem Augenblick, in dem er das täte, würde er seiner Ohnmacht
erst recht gewahr werden. Nein, da erfüllt ein Popanz weitaus bessere
Dienste, selbst wenn er in Gestalt des Chefs einherkommt.
Nein, auch hier gelten die alten Regeln:
- das Unglück nicht symptomatisch bekämpfen! Ausstände
mittels Krankenschein sind verfehlte Maßnahmen. Zum einen ist der
Chef in der Regel auch nur ein armer Teufel, dessen Gehalt und Privilegien
(Firmenwagen, -telephon, etc.) etwas höher sein mögen, der dafür
jedoch keine geregelte Arbeitszeit, diese jedoch oft bis nach Mitternacht
hat. Wenn sein Betrieb den Bach runter geht, sieht es für die meisten
Bosse eng aus. Da geht es dann richtig zur Sache. Und – deren Nerven
liegen angesichts der sehr angespannten Situation ebenfalls blank –
davon kann man getrost ausgehen. Da sie sich schlecht gegen „ihre“
mächtigen Brötchengeber, die Krankenkassen wehren können,
werden auch sie den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Es ist nicht
schwer, aus einem täglich größer werdenden Reservoir an
Arbeitslosen einen Kader zu schöpfen, der bereit ist, sein Fell noch
unter lausigsten Bedingungen zu verkaufen. Es gibt keine arbeiterfreundliche
Gesetzsprechung mehr in einem Lande, das sein Tafelsilber bereits vor
Jahren veräußert hat. Wer in den siebziger Jahren der Bundesrepublik
stehen geblieben ist, wird sich schneller unter einer Brücke finden,
als er bis Drei zählen kann.
- Veränderungen lassen sich nur mit konzertierten Maßnahmen
erreichen. „Mann der Arbeit – aufgewacht! Und erkenne deine
Macht: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm das will.“
So sagten die Sozialdemokraten am Anfang des letzten Jahrhunderts. Und:
„Einigkeit macht stark“, oder „in concordia robur!“,
wie die alten Römer postulierten. Es läuft alles auf dasselbe
’raus. Wenn das fahrende Proletariat im Krankentransport, Rettungsdienst
und die Arzthelferinnen der Arztpraxen geschlossen den Hammer fallen lassen
und durch Großdemonstrationen auf ihre Anliegen bundesweit aufmerksam
machen, sozusagen öffentlichen Druck aufbauen, dann kann man mit
Sicherheit davon ausgehen, daß auch die Verbände der Krankenkassen
alsbald einknicken werden.
Nur dieses eben zu organisieren, dürfte eine Sisyphusarbeit werden.
Dazu sind die entsprechenden Unternehmen bis hinunter zu der Praxis mit
einer Angestellten zu kleinteilig, der einzelne zu exponiert. Solche Unterfangen
erfordern nämlich auch – und dieser Umstand ist nicht zu unterschätzen
– daß der einzelne Arbeitskämpfer in der Lage ist, sich
halbwegs anonym in die druckaufbauenden Masse zu integrieren, bzw. daß
er die Unterstützung der ihn umgebenden Gefährten spürt.
Das unterliegt einer ganz ähnlichen Dynamik wie eine antike Schlachtordnung.
Die moderne Guerilla- und Einzelkämpfertaktik ist für den Bereich
des Arbeitskampfes noch nicht entdeckt worden. Sie wäre sicherlich
auch wenig produktiv und kurzsichtig. Denn in ihr könnte es bestenfalls
um die Interessen des Einzelnen gehen, nach dem Motto: „Jeder verkauft
sich so gut als er kann.“ Aber billiger Merkantilismus wird auf
Dauer keinen Topf Milch zum Säuern bringen. Er wird den „Sich-Selbst-Verkäufern“
nicht auf lange Sicht dienlich sein. Denn in dem Maße, in dem sich
die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse zum Negativen kehren, wird
auch der Einzelkämpfer mehr und mehr Abstriche an seinen Forderungen
machen müssen.
Wer aber heute noch nicht begriffen hat, daß die fetten Jahre der
Bundesrepublik definitiv der Vergangenheit angehören, der lebt in
einem Glashaus. Auf eine großflächige Konjunktur und Erholung
der wirtschaftlichen Situation, die für alle eine Entlastung und
einen Aufschwung mit sich bringt, brauchen nur noch Phantasten zu hoffen.
Die öffentlichen Töpfe sind leer, die meisten öffentlichen
wie privaten Haushalte sogar verschuldet. Verteilungskämpfe haben
quer durch die Gesellschaft begonnen.
Und diese nach Darwins Prinzipien ausgefochtenen Auseinandersetzungen
begünstigen nun mal die Starken, Durchsetzungsfähigen, finanziell
Gutgestellten, Gesunden.
Der Rest, die Hilfebedürftigen, die Altersarmen, die chronisch Kranken
Behinderten und Unfallopfer durften so lange die Aushängeschilder
einer fetten Gemeinschaft sein, wie diese sich in einer humanistischer
Wohltäterei suhlte, die sie sich gleichsam als Spielzeug zulegte.
Nun besinnt man sich auf das Wesentliche. Und das heißt: Geld zusammenhalten!
Da ist nur noch Platz zum abgreifen für die „Leistungsträger“.
Das Rennen macht, wer das Wenige noch Verfügbare auf besonders raffinierte,
rücksichtslose oder gewalttätige Art und Weise von seinem Nächsten
oder der Gemeinschaft ergaunert. Die da nicht mithalten können, bleiben
naturgemäß auf der Strecke. Das sind auf der einen Seite die
Kranken und Maladen und auf der anderen Seite deren Betreuer und Ansprechpartner
im medizinischen Versorgungsbereich.
Die Cracks der Gesellschaft braucht das vorerst nicht zu interessieren,
denn sie sind ja mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens durchaus
ausgelastet: Kohle machen!
Und wenn es sie wirklich mal erwischt, dann werden sie die zehn Minuten
auf dem Weg in eine First-Class-Klinik auch noch überstehen. Über
die Zustände in diesem Tätigkeitsbereichbereich nachzudenken,
lohnt also nicht. Und wenn sie denn wirklich mit der Dramatik und ihren
Auswirkungen zu ihrem Schaden konfrontiert werden, dann gibt es ja immer
noch Rechtsanwälte, mit deren Hilfe man sich welche Art von Genugtuung
auch immer beschaffen kann.
Schon einmal trugen die Europäer ein solches Denkgebäude vor.
In der klassischen Antike galt der Arzt nicht mehr als ein Bader. Diese
nicht sehr prestigebehaftete Ansicht hat sich mit den entsprechenden pekuniären
Folgen auf das heutige, dem Arzt nachgeordnete, ihm zuarbeitende Personal
übertragen.
Der Bumerang wird nicht lange auf sich warten lassen. Es wird vorerst
immer nur Einzelne treffen. Wollen wir hoffen, daß diese Einzelnen
letztendlich zu einer gemeinsamen Stimme finden um die Veränderungen
durchzusetzen, die in unserem kranken Gesundheitswesen nicht nur den Bedürfnissen
Patienten sondern auch denen der Abertausenden Mitarbeiter eine entsprechende
Anerkennung verschaffen.
Sie haben es verdient.
|