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Paulus, der Rabbi und ich
S. M. Druckepennig
Ich sag’s lieber gleich: Das wird
ein häretischer Artikel. Keine Schonkost für Orthodoxe und
solche, die es werden wollen. Dennoch postuliere ich an dieser Stelle
keine neuen oder alten Wahrheiten. Ich weiß überhaupt nicht,
ob das, was ich an dieser Stelle ins Gespräch bringe, jeder Prüfung
standhält. Muß es ja auch nicht. Es sind Gedanken, die dem
Grundprinzip der Baaksenseite folgen: Durch Widerspruch zur besseren
Einsicht. Dennoch ist es mir eingangs ein Herzensbedürfnis der
entmachteten Inquisition zu danken, daß sie ihre Feuer zwischenzeitlich
gelöscht hat. Es schreibt sich unbeschwerter, wenn man als Ketzer
nicht immerzu die Torturen gewärtigen muß, mit denen die
alleinseligmachende Mutter Kirche um das Heil der verlorenen, unsterblichen
Seele zu ringen gewohnt war.
Worum soll es hier gehen? Wie der Titel schon verrät, bringe ich
an dieser Stelle ein theologisches Thema zur Sprache. Der Kirchenvater
und Erzapostel Paulus, geborener Saulus, Inhaber des römischen
Bürgerrechtes und gelernter Christenverfolger, später umgeschulter
Apologet und Propagandist des Christentums und Heidenapostel steht im
Mittelpunkt der folgenden Ausführungen.
Sein Name und seine Person stehen vielen christlichen Kirchen Pate,
so unter anderem dem Brandenburger Dominikanerkloster und dem benachbarten
Dom. Einem Dom, der als Gotteshaus sowohl den christlichen Glauben als
auch die Institution der christlichen Kirche repräsentiert.
Hat er das verdient? Meine Antwort lautet: Ja und nein.
Denn diese Kirche ist
keine christliche Kirche in dem Sinne, daß sie sich auf den armen
galiläischen Wanderprediger und Rabbi Joshua (griechisch: Jesus)
bezieht. Sie beruft sich auf ihn. Aber mehr auch nicht. Denn wer den Rebben
nur im mindesten kennt, weiß wohl, daß er so etwas wie diese
Kirche nie im Sinne hatte. Geschweige von der unendlichen Leidensgeschichte,
die von fast allen Völkern dieser Erde im Namen dieser Kirche und
durch sie erduldet wurde. Nüchtern betrachtet haben wir es also hier
mit dem größten Etikettenschwindel aller Zeiten zu tun.
Man halte mich nicht für einen Feind der Kirche. Ihre härtesten
Kritiker waren ihr oft am meisten zugetan. So auch ich. Der arme gekreuzigte
Gottessohn hängt über meinem Bette, wohnt in meinem Herzen,
und an theologischer Literatur leidet meine Bibliothek keinen Mangel.
Aber ich suche eine akzeptable Wahrheit. Ein Wahrheit, die nicht zum Mythos
verklärt wurde. Eine Wahrheit, mit der man leben kann.
Eine der Schlüsselfiguren
der christlichen Geschichte, der Kirche ist Paulus. Man kommt an ihm nicht
vorbei. Daher diese, meine Auseinandersetzung mit seiner Person.
Zunächst einmal, wer war denn Paulus überhaupt? Wo kam er her?
Ein Hebräer war er, ein Jude, ein Pharisäer aus dem Stamme Benjamin,
ein Lehrer des mosaischen Gesetzes, um das Jahr 10 nach Chr. geboren.
Insofern konnte er zunächst einmal kein Freund der neu aufkommenden
Bewegung sein.
Das änderte sich, nachdem Paulus im Jahre 35 n. Chr. auf der Landstraße
nach Damaskus angeblich eine Vision erlebte, die ihn radikal veränderte.
Der Herr erschien ihm und fragte ihn: „Saulus, Saulus, warum verfolgst
du mich?“ Saulus, der sich nach dieser Vision Paulus nannte, war
zunächst geblendet, dann sehr beeindruckt. Von einem der glühendsten
Verfolger der Christen wurde er beinahe über Nacht zu einem ihrer
eifrigsten Protagonisten. Wahrscheinlich im Jahre 64, andere sagen 67,
wieder andere 76 n.Chr. stellten ihm die Römer dafür die Quittung
aus und brachten ihn per Enthauptung um. Er hatte es wohl mit seinen staatsgefährdenden
Umtrieben wohl übertrieben, was bei den in religiösen Fragen
ansonsten sehr aufgeschlossenen und toleranten Römern schon etwas
heißen wollte. Die in Staatskunst, Finanzbeschaffung und Machterhalt
sehr erfahrenen Römer sahen wohl ein Stück weit in die Zukunft
und wußten die Auspizien, die von Paulus ausgingen, richtig zu deuten.
Hier lebte nicht jemand seinen persönlichen kleinen Kult oder Aberglauben,
der ihm half, durch ein beschissen hartes Leben zu stolpern – hier
ging es ums Ganze. Hier war mit Finanzausfällen in mehrstelliger
Milliardenhöhe zu rechnen, wenn das erst auskeimte. Daher wohl die
von christlichen Geschichtsschreibern oftmals als äußerst rigide
dargestellten Christenverfolgungen. Sie werden bis zu einem gewissen Zeitpunkt
jedoch mehr oder weniger Marginalien der römischen Staatsangelegenheiten
gewesen sein.
Anfänglich zählte Paulus natürlich nicht zu den Aposteln
– wie auch. Er lernte den Herren ja erst drei Jahre nach dessen
Kreuzigung und Himmelfahrt kennen. Wenn man aber die Erscheinung des Rebben
als Auftragserteilung akzeptieren will, so ist die nachmalige Zuordnung
zu den Aposteln des Herren durchaus annehmbar.
Und jetzt sage ich es noch einmal: Diese Kirche ist keine christliche
Kirche, auch wenn sie sich hundertmal so nennt. Sie ist eine – paulinische
Kirche. Eine hochgekommene Sekte unter Tausenden aus der Spätantike
unter Leitung eines genialen Chefdemagogen: Paulus.
Dieser Mann, verheiratet
übrigens, der die Frauen hieß, in der Gemeinde zu schweigen,
schaffte es gar, den „Bischof“ von Jerusalem, Jacobus, den
leiblichen Bruder des Herren, so kaltzustellen, daß die wenigsten
Laien heute noch seinen Namen kennen. Nota bene: Den Bruder Jesu! Das
war eine reife Leistung: Zugegeben. Immerhin öffnete Paulus damit
gegen den erbitterten Widerstand der Juden die kleine Sekte einem Millionenpublikum
und schuf damit überhaupt erst die Basis für dieses weltumspannende
Machtimperium. Denn: Reichtum ist: die Ersparnisse vieler in den Händen
weniger. Die Kirche stellte sich zunächst einmal als Kirche der Armen
dar und Arme gibt es zu allen Zeiten naturgemäß weitaus mehr
als Reiche. Also nimm all den Armen ein Weniges, vertröste sie auf
ein postmortales Himmelreich und betreibe mit dem eingesammelten Geld
ganz irdische Machtpolitik. Das ist in Grundzügen das Rezept, dem
die Kirche bis heute folgt.
Auch Paulus hat das so nicht gewollt. Ganz sicher nicht. Aber mit seiner
bahnbrechenden Aufbauarbeit schuf er effizient die Grundlagen für
eine spätere globale Ausbreitung dieser auf irdischen Gewinn spezialisierten
Sekte – und das in einem Maße, von dem selbst die Scientologen
träumen.
Er erkannte mit feinem Instinkt – wer hier ernsthaft etwas kochen,
das Wort Gottes unter die Leute bringen will, der muß von Rom aus
in die Provinzen operieren. Umgekehrt wird das nichts. Heute geht man
nach Hollywood oder nach New York. Wer’s im Big Apple schafft, der
packt’s überall – nun, damals spielte diese Rolle eben
Rom. Nichtsdestotrotz war er, wie schon erwähnt, ständig auf
Reisen um die neu aufkeimenden Gemeinden in seinem Sinne bei der Stange
zu halten. Die Eckdaten oder die Vita Jesu interessierten ihn dabei wenig.
Ebenso die Lehre des Herren. Das klingt gewagt. Aber meine Beschäftigung
mit Paulus ergab, daß er seinen eigenen Mystizismus, sein eigenes
Verständnis von der Materie im Namen des Herren verkaufte und unter
die Leute brachte.
Das Gegenteil von GUT ist nicht BÖSE, es ist GUTGEMEINT! Und eines
steht außer Frage: Paulus hat es gut gemeint. Er war kein Schweinehund.
Er war kein Volksverführer, der die Macht an sich reißen wollte,
er wollte nicht herrschen. Er wollte, daß SEIN Christus herrscht,
so wie er ihn kennengelernt und verstanden hatte. Vielleicht hätte
er sich gar unterfangen, den Rabbi höchstpersönlich in seinem
Sinne zu bekehren, wenn er dazu Gelegenheit gehabt hätte. Aber mit
Sicherheit hätte er sich auf die Zunge gebissen und im Leben keine
Feder und kein Tintenfaß mehr berührt, wenn er geahnt hätte,
welche Büchse der Pandora er da öffnete, als er sich gegen das
Episkopat von Jerusalem mit seiner Meinung durchsetzte, daß diese
kleine jüdische Sekte den Unbeschnittenen in aller Welt offen sein
solle. Paulus wollte die Erlösung für alle Menschen erreichen.
Gottes Wort sollte für alle Kinder seiner Schöpfung vernehmbar
sein, nicht nur für das Alte Volk des Bundes. Das war das wahrhaft
revolutionäre an Paulus’ Idee.
Wir können davon
ausgehen, daß er ein im Herzen gütiger Mann war. Nur wenn es
an den Grundgehalt der Aussagen ging, die Paulus vertrat, dann konnte
er rabiat werden. Das ist solchen energischen Welterlösern gemein:
Alles muß nach ihrem Heilsplan selig werden. Dann sind sie zufrieden.
Und wenn sie zufrieden sind, dann sind solche im Herzen gütigen Menschen
auch außerordentlich angenehm und umgänglich. Das ist es ja
gerade, was sie von Despoten und Tyrannen unterscheidet. Damit aber keiner
auf den Holzweg kommt: Deswegen muß ihr Wirken nach außen
wie nach innen nicht minder tyrannisch und despotisch erscheinen.
Was seine fatale Einschätzung
des Wertes der Frau betrifft, die bis heute furchtbar nachhallt, so können
wir nur vermuten, daß er zum ersten im Kontext seiner Zeit handelte,
die von patriarchalem Gedankengut durchdrungen war und daß er zum
zweiten bei der Ausschaltung der Frau als Macht- und Entscheidungsfaktorfaktor
die 95% hirnlosen Pussen (HLPs) im Sinne hatte, die demographisch gesehen
jede feminine Bevölkerungsschicht dominieren. Das wäre jedoch
insofern ungerecht, als er mit der maskulinen Bevölkerungsgruppe
ebenso hätte verfahren müssen – denn auch diese besteht
zum gleichen Prozentsatz aus hirnlosen Schwanzträgern (HLSTs). Es
gibt keinen vernünftigen Grund, warum die eine der anderen Gruppe
vorzuziehen sei. Es sei denn, Paulus erkannte ganz pragmatisch, daß
eine solche Politik von vornherein genauso zum Scheitern verurteilt gewesen
wäre, wie etwa die Predigt des Matriarchats inmitten des heutigen
fundamentalistisch-islamischen Afghanistans. Damit hätte er mit der
Installation seines neuen Glaubens aufhören können, bevor er
überhaupt begann.
Wir wollen hier die etwas gewagt erscheinende These außer Acht lassen,
daß Paulus von seiner Ehefrau – ja, ja – er war verheiratet
– an der kurzen Leine gehalten wurde und somit aus gewissen Komplexen
heraus seine sehr antifeminine Grundhaltung exponierte.
Wenn er doch nur konsequenter für die Frau gesprochen hätte!
Das unbeschreibliche Elend der Hexenverfolgung kann man ihm durchaus anlasten,
auch wenn er persönlich mit Sicherheit keine dieser unglücklichen
Frauen je so behandelt hätte, wie es seine Successoren in den darauffolgenden
Jahrhunderten taten. Denn wie oft beriefen sich die Kirchenväter
und –lehrer auf Paulus wenn sie aus weiß der Teufel was für
sexuellen Konflikten heraus Gift und Geifer gegen das andere Geschlecht
spieen. In gerader Linie läßt sich der heutige für die
Gesellschaft höchst unproduktive und schmerzhafte Geschlechterkampf
noch direkt zurückführen auf das Unwesen, das aus Paulus’
Gedankengebäude entsprang.
Sodann begann Paulus
der sich schon in den ersten Jahren der Christenbewegung abzeichnenden
Abweichlerproblematik zu stellen. So viele Menschen, so viele Meinungen.
Damit aber läßt sich das Haus Gottes auf Erden nicht errichten.
Es muß einen Gott, wahlweise Häuptling geben, der eine Meinung
kundtut, und dann das Volk der einfachen Indianer, die brav den Weisungen
des Großen Meisters folgen und nicht auf die Idee kommen, zu räsonieren.
Das ist nun einmal Sektenimmanent. Anders läßt sich keine Verwaltung
aufbauen, keine Ordnung schaffen, der Anarchie entgegenwirken. Und so
befleißigte sich schon Paulus als Prototyp aller späteren Inquisitoren,
diese aufkommenden Querschläger und Renegaten energisch zu bekämpfen.
Seine diesem Ziel gewidmeten Briefe sind in jedem Neuen Testament nachzulesen.
Auch darin fand der Apostel höchst unselige Nachfolger. Während
Kirchenväter wie Origenes nur mal eben (wie nach dem Konzil zu Nicäa)
aus dem Kanon gestrichen und ihnen die Kirchenvaterrolle aberkannt wurde,
erlitten die Albigenser und Katharer, die Wiedertäufer ein weitaus
schlimmeres Schicksal. Der Montsegúr ist bis zum heutigen Tage
ein beredtes Denkmal. Und auch die Worte jenes zweifelhaften Heiligen,
der einen Hauptmann seiner Truppe, der ihn während der Katharerkämpfe
fragte, wie er denn die Ungläubigen von den Gläubigen unterscheiden
solle, anwies: Tötet sie alle – Gott wird die seinen schon
erkennen! – spricht Bände über eine Geisteshaltung, die
in dem von Paulus geprägten Monopolanspruch seines Glaubens wurzelt.
Das soll nicht heißen, daß die anderen besser gewesen wären,
hätten sie den Kampf gewonnen und wären zur Macht gelangt. Unter
anderen Farben wäre unzweifelhaft dasselbe Spiel weitergegangen.
Und das eben ist der Knackpunkt. Ging schon des Rebben Heilplan am Wesen
der Menschheit total vorbei, so erscheint Paulus’ Weg zur Erlösung
nun vollends an jeder Realität vorbeigedacht. Paulus war von Beruf
wahrscheinlich Zeltmacher. Notgedrungen hatte er mit vielen Menschen Kontakt.
So verwundert es umsomehr, daß er sein Programm in scheinbarer,
völliger Weltfremdheit, bar jeder Menschenkenntnis verkündete.
Oder hoffte er, die Herzen der Menschen von seinen Gemeinden ausgehend
nach einer Art Dominoeffekt zu gewinnen? Auch das wäre eine zeitlose
Illusion gewesen. Denn wo drei, ach was – zwei Menschen beieinander
stehen, da will einer den Hut aufhaben. Bei Zweien mag es noch seltene
Ausnahmen geben. Bei dreien – das grenzte schon an ein Wunder. Und
die vier demokratischen Musketiere – einer für alle, alle für
einen! – die gibt’s nun wirklich nur in Dumas’ Märchen.
Und Paulus will die ganze Welt einen?
Sicherlich, man darf nicht außer Acht lassen, daß er ein zutiefst
frommer und gottgläubiger Mann war. Und seinem Gott war kein Ding
unmöglich. Hatte der nicht auch die Welt geschaffen, mit allem was
darin kreucht und fleucht? Hatte der nicht vor Paulus’ Augen seinen
eigenen Sohn zu den sündigen Menschen gesandt und ihn um der Befreiung
von den Sünden willen ans Kreuz gegeben? So gesehen, wird des Apostels
Haltung sogar nachvollziehbar. Die Sünde war fort, der Tod war besiegt!
Jetzt konnte Gottes Reich kommen, die Verheißung sich erfüllen.
Die Ungereimtheiten dieser Theorie, an die Paulus so fest glaubte, schienen
ihn nicht in ernsthafte Zweifel zu stürzen. An einen Selbstlauf von
Gottes Erlösungsplan schien er auch nicht recht zu glauben. Wie anders
erklärte sich seine unermüdliche Reistätigkeit zu propagandistischen
Zwecken quer durchs Imperium Romanum. (Hierbei hätte er allerdings
– vor allem in Rom selbst – die Möglichkeit gehabt, zu
erkennen, daß es lange vor seinem Herren und Meister schon viele
andere, ähnlich gestrickte Erlöserkulte gab, die sich wie ein
rotes Tuch durch die Religionsgeschichte der antiken Völker zog:
Ob es der persische Mithraskult war, oder die altägyptische Geschichte
von Isis und ihrem Brudergemahl Osiris, ob die Germanen von Baldur berichteten,
oder die fernen Inder von Shiwa – der Grundtenor war immer der gleiche:
Opfertod und Auferstehung, Sonneuntergang – Nacht – Sonnenaufgang,
Frühling, Sommer, Herbst und Winter und dann wieder Frühling.
Doch Paulus war zu sehr auf seinen Jesus fixiert. Seinen Jesus. Den Jesus,
der den apostolischen Auftrag erteilt hatte: Gehet hinaus in alle Welt
und prediget den Völkern. Dieser war der eine und einzige Messias.
Einen anderen konnte es nicht geben. Dieser Messias konnte weder einen
Vorgänger noch einen Nachfolger haben. So blieb Paulus einem dogmatischen
Denkgebäude verhaftet, dessen starren und unflexiblen Strukturen
er sich nicht zu entziehen vermochte. Die Konsequenzen waren entsprechend.
Die ihm folgten, waren es nicht minder. Die Kirche der Armen, deren Hoffnung
auf Erlösung aus ihrem Elend wurde zu einer machtorientierten Institution,
deren apostolische Grundlagen mehr und mehr an den Spitze der Machtpyramide
zu Lippenbekenntnissen verkamen. Man sehe sich Erzlumpen und Schwerverbrecher
wie Papst Alexander VI. Borgia an und habe keinen Zweifel daran, daß
dieser Höllenhund den Christus ein zweites Mal ans Kreuz geschlagen
hätte, wäre auch nur ein Pfennig Gewinn für ihn dabei herausgesprungen.
Nun gut, für solche Banditen kann man dem Manne Paulus natürlich
keine Schuld anlasten. Die hätte es genausogut ohne ihn gegeben.
Aber die ideologische Vorarbeit hat er ihnen, mit absoluter Sicherheit
unbewußt, geliefert.
Es bleibt die Frage zu
klären, ob Paulus ein klassischer Wendehals gewesen ist. Das, denke
ich, kann man mit absoluter Sicherheit verneinen. Natürlich wandelte
er sich vom Saulus zum Paulus. Aber gegen den Strom! Beim klassischen
jüdischen Establishment war er doch als Christenjäger und Kenner
des Alten Gesetzes ganz gut angeschrieben. Als er seine Auffassungen fundamental
änderte, tat es das Gegenteil dessen, was einen Opportunisten, einen
Wendehals auszeichnet. Er brachte seine Existenz nicht nur in ernsthafte
Gefahr und entzog ihr für eine ungewisse Zukunft jede Grundlage –
er führte fortan das Leben eines Ausgestoßenen, eines Verfemten,
eines kleinen Gewerkschafters.
Daher halte ich seine persönliche Integrität über jeden
Zweifel erhaben.
Doch gerade die makellosesten Leute stiften oft das größte
Unheil. Verlangen sie doch von ihrer Umwelt gleiche Unfehlbarkeit. Und
so kommen wir auch schon zum furchtbarsten Erbe, das uns der Apostel hinterlassen
hat: Der Sünde! Dem ewigen Sündengeschwafel. Dieser Fabrik für
kollektives Schuldbewußtsein und Bigotterie und Minderwertigkeitskomplexe.
Nichts war so gut gemeint um den Menschen zu bessern, wie die Erfindung
der Sünde. Und nichts, nichts, nichts hat auf Dauer mehr Schaden
angerichtet als dieser Unfug. Die Menschen wurden auf das Niveau von unmündigen
Kindern zurückgestuft. Die Sprachregelung, die den Schöpfer
der Welt Gottvater nannte, tat ein übriges in dieser Hinsicht. Gut
gemeint. Natürlich! Mord und Totschlag regierten die Welt. Wer nicht
mithalten konnte, kam erbarmungslos unter die Räder. Für Nächstenliebe
und Barmherzigkeit, die Paulus als christliche Tugenden begriff, blieb
da nicht viel Platz. Aber der Drang nach Reichtum, nach Macht, die eitle
Zurschaustellung von beidem, so man denn dazu gekommen war, ausschweifende
sexuelle Begehrlichkeiten beider Geschlechter führten seit alters
her zu immer neuen Kaskaden menschlichen Leides. Regelwerke menschlichen
Zusammenlebens wurden daher schon sehr früh erstellt und zunächst
mündlich, später auch schriftlich fixiert. Diese Regelwerke,
wie zum Beispiel Hammurapis Säule oder die Sprüche Salomos,
sagten alle das eine aus: Mach das und das! Laß das und das bleiben!
Hältst du dich an die gegebenen Weisungen, soll’s dir gut gehen
auf Erden. Übertrittst du die Gebote, geht’s dir an den Kragen!
Übertretungen dieser Regeln menschlichen Miteinanders wurden fortan
Sünde genannt – und Sünde war, wie gesagt, zu meiden.
So gesehen lagen Paulus und seine Vordenker nicht einmal falsch, wenn
sie die Sünde für den Ursprung allen menschlichen Leides hielten
(abgesehen, davon, daß auch der Heilige an Krebs erkrankt und dann
nach dem Verständnis der Alten völlig unverdientermaßen
zu leiden hätte. Aber welch philosophisches Hintertürchen wurde
da geöffnet: Der Heilige wurde von Gott geprüft – der
Sünder gestraft. Grandios, was?)
Die Menschheit jedoch dahingehend bessern zu wollen, daß sie fortan
sündefrei lebt, war völliger Kokolores. Gene wissen nichts von
Sünde. Sie wissen nicht einmal um die eigene Existenz. Seit der Ursuppe
des Eozäns kennen sie nur ein Gebot: So viele wie mögliche Kopien
von meiner Bauart – und die so weit wie möglich verbreiten.
Sonst nichts! Dafür haben sie sich ausführende „Maschinen“
in den vielfältigsten Formen geschaffen. Pflanzen, Bakterien, Viren,
Tiere. Und alle diese Lebewesen und Halblebewesen führen nur diesen
einen genetischen Befehl aus. Zufall und bessere Anpassung bilden dann
die Evolution. Und die scheißt auf menschliche Werte. Wenn’s
denn sein muß, schließen sich manche Lebewesen zu mehr oder
minder losen Verbänden zusammen, in denen die Chancen des einzelnen
Individuums etwas steigen. Und das impliziert natürlich gewisse Verhaltenscodizes.
Sonst würde der Rudelvorteil recht bald dadurch egalisiert werden,
daß sich die Gruppenmitglieder unentwegt selbst attackieren und
auslöschen.
Doch von all diesen evolutionären Grundbegriffen konnte Paulus nichts
wissen. Er sah den Menschen als von Gott geschaffen und damit sehr wohl
zur Einsicht und zur bewußten Abkehr vom sogenannten „Bösen“
(wie Konrad Lorenz das nennen würde), fähig. In diesem winzigen
aber entscheidenden Punkt lag die Ursache für das totale Scheitern
der christlichen Idee, Paulus’ Vision und im übrigen auch aller
anderer Heilsversprechen und –lehren.
Es ist Paulus somit kein direkter Vorwurf zu machen. Stünde er vor
Gericht, er müßte trotz des Grundsatzes „Dummheit/ Unwissenheit
schützt vor Strafe nicht!“ freigesprochen werden. Oder Bewährung
kriegen. Denn er konnte es nicht besser wissen.
Man darf annehmen, daß er trotzdem ein glücklicher Mensch gewesen
sein muß. Denn sein Glaube erschuf in ihm nicht nur Hoffnung, sondern
Zuversicht. Beides sind unschätzbare Reichtümer, derer wir nüchternen
Menschen bei dem festen Vorsatz, uns nicht illusionieren oder sonstwie
über das Wesen der Dinge zu betrügen, komplett verlustig gegangen
sind.
Die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tode, auf Belohnung eines
enthaltsamen und sündearmen Lebenswandels, ließ viele Menschen
das harte Dasein weitaus besser verkraften, das ihn die paulinische Lehre
zumutete. Und der Bruder Tod war so nett, ihnen mit seinem Kommen gnädig
das Bewußtsein auszulöschen, so daß sie den großen
Betrug nicht mehr merken konnten. Den großen Betrug, der sie um
die wenigen Freuden ihres einzigen und unwiederbringlichen Daseins brachte.
Dennoch, ich betone es abschließend noch einmal, war Paulus kein
Betrüger – denn er hat es nicht besser gewußt und nach
bestem Wissen und Gewissen gehandelt.
Wer also außer der Allmächtige Vater Israels und des armen
Rebben aus Nazareth, der Paulus und den Rest der Welt geschaffen hatte,
wollte bilanzieren! Fluch und Segen gegeneinanderstellen. Beides war gewaltig.
So gewaltig, daß es sich unserem Urteilsvermögen entzieht.
Es ist uns nicht gegeben, die Schreie der gemarterten Hexen gegen den
tiefen Seelenfrieden aufzurechnen, indem Millionen von Menschen klaglos
ein entbehrungsreiches Leben hinnahmen um dann versöhnt mit Gott
und der Welt ihr Leben auszuhauchen. Wir können die Greuel der Konquistadoren
nicht gegen Mutter Theresa abwägen. Nicht den Holocaust gegen das
nicht zu unterschätzende Engagement auch der Institution Kirche für
die Notleidenden dieser Welt.
Ohne Paulus wäre
diese Welt mit Sicherheit eine andere. Der arme Gekreuzigte wäre
nur noch wenigen hochspezialisierten Historikern bekannt. Und wer weiß,
ob die heutigen Zivilisationen das Leben im selben Maße respektierten,
wie sie das nicht zuletzt unter dem Einfluß des paulinischen Christentums
mehr und mehr tun.
Niemand kann sagen, was auf uns zu kommt, wenn diese langsam verblassenden
tradierten Werte einer neuen Ära menschlichen Zusammenlebens Platz
gemacht haben. Die alten Griechen nannten es das eiserne Zeitalter. In
den Favelas von Rio und in Los Angeles South Central ist es bereits angebrochen.
Dort regiert ungehemmt das, was Paulus die Sünde und ein Faschist
Sozialdarwinismus nennen würden.
Paulus wäre entsetzt.
Und das mit Recht. Vielleicht ist es daher letztendlich besser, ihm zu
folgen, als ihn in Bausch und Bogen zu verfluchen!
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