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Dieter Bohlen –
ein multikulturelles Trauma

K. K. Bajun
In Ermangelung unserer Stadtmitte, die uns zum Ende des letzten Krieges hinweggebombt wurde, trafen wir Mitarbeiter des Landboten uns jüngst in einem Einkaufszentrum vor den Toren B.s. Wir hatten einige Materialien – Tinte, Federn, Schreibpapier – zu besorgen und einige Zurüstungen für den Abend zu erstehen, den wir in gemütlicher Runde zu verbringen trachteten.
Unser Anliegen brachte es mit sich, daß wir an einem Makro-Markt passierten. Einem Zerberus gleich bewachte ein widerlich grinsendes, lebensgroßes Abbild des Barden Bohlen den Eingang. Es war uns, als sei einer Hexe ein Drudenfuß auf die Schwelle gemalt worden. Unser arabischer Gast Jussuf ibn Salah aus Kairo, der soeben von seiner Hadsch aus Mekka zurückgekehrt war, erklärt uns, dies sei eine der Säulen, die den Schaitan verkörperten und man müsse sie mit Steinen bewerfen. Was ihn einzig wundere, sei der Umstand, diese Säule hier im Norden zu finden, statt in Mekka, wo sie eigentlich hingehöre.
Herr Druckepennig, der nach Art seines Volkes unverzüglich mit seinem Gotte in bestem Jiddisch zu hadern begann und sich dieser neuerlichen Prüfung wegen beschwerte, unterbrach sein: „Wai, wai, was machst ein armes Jiddel wieder meschugge!?“, und erklärte seinem arabischen Vetter umgehend, sein Vergleich Bohlens mit dem Teufel sei theologisch nicht haltbar – man täte dem von Gott verstoßenen Erzengel bitter Unrecht, wollte man ihm diese Hypothek auch noch anlasten. So habe Gott den abtrünnigen Stellvertreter nun auch wieder nicht maßregeln wollen.
Während dessen vermißten wir Signore Barbagrigia. Er, der aus alter sizilianischer Familie stammend bestens mit den morgenländischen Traditionen unseres Gastes vertraut war, hatte dessen Bewirtung und Führung übernommen. Wir fanden ihn in einem nahegelegenen Schuhgeschäft, soeben damit beschäftigt, seinen Füßen ein paar dunkle Halbschuhe anzupassen. Don Miquele erklärte entschuldigend, das Bildnis Bohlens hätte ihn daran erinnert, daß man für spezielle Kundschaft in seiner sonnigen Heimat schon mal Fußbekleidung aus Beton fertige. Diese bitte man dann die Träger auf dem Grunde des Meeres einzulaufen. Über diese Assoziation wäre ihm dann eingefallen, daß er noch dringend eines neuen Paares Schuhe bedürfe, wofür er Herrn Bohlen sehr dankbar sei. Don Miquele sollte im Laufe des Abends nicht der Einzige sein, der sich wohlwollend über den Proleten-Dieter zu äußern vermochte.
Währenddessen nahm mich Herr Fjøllfross beiseite und raunte mir ins Ohr, ob denn Rußland nicht groß genug sei, daß die penetrant quäkende und schnarrende Stimme Bohlens darin ungehört verhallen könnte. Die unendlichen Weiten der Taiga, die gigantischen Ströme und hohen Berge, nun, ich wüßte schon… Was hier im übervölkerten Europa unerträglich sei, da man sich der ständigen Konfrontation mit diesem Troll kaum zu entziehen vermöchte, müßte doch in den Weiten Sibiriens zu aller Zufriedenheit durchaus lösbar sein. Nun, ich mußte unserem verehrten Herrn Schriftleiter zu meinem Bedauern erklären, daß ich das russische Volk nicht für einfältig genug hielte, Herrn Bohlen überhaupt die Grenze passieren zu lassen. Die Russen haben nicht den Mongolensturm überlebt, nicht Napoleons Armee auflaufen lassen und nicht unter unsäglichen Opfern die Deutsche Wehrmacht aus dem Lande zurückgeschlagen, um nun erneut durch einen heimtückischen Angriff von deutscher Seite in die Knie gezwungen zu werden.
Im übrigen erschauere jeder Russe sofort bei dem Namen „Bohlen“. Bedeute „?????“ doch im Russischen schlicht und ergreifend „krank“! Und wer wolle sich schon eine solche Krankheit ins Haus holen! So leidenssüchtig sei das russische Volk nun doch nicht. Selbst Dostojewskij hätte nicht die Stirn, das zu behaupten.
Mittlerweile hatten wir uns vor der Damentoilette versammelt und warteten geduldig, bis sich die Tür auftat und unsere geschätzte Frau Lektorin Katzentraum etwas grünlich-bleich und unsicheren Schrittes auf uns zu wankte. Besorgt wollten wir sie unterhaken, doch bedeutete sie uns zu unserem Erstaunen mit zitternder Stimme, daß auch sie einen Grund habe, Herrn Bohlen die Papp-Präsenz vor seinem Elektronikmarkt zu danken. Sie hätte sich bei unserem Diner zu Ehren von Herrn ibn Salah etwas zu sehr übernommen und brauchte sich nun dank des lebensgroßen Bohlen-Abbildes nicht mehr nach Art bulimischer Damen den Finger in den Hals zu stecken. Der Brechreiz war so elementar, daß sie sich nun um mindestens vier Pfund erleichtert fühle. Sie hätte nie geglaubt, daß Herr Bohlen einer echten Dame doch noch zu einem befriedigenden Gefühl tauge. Mag er ein paar hirnlose Weibsbilder beseligen! Sie, Frau Katzentraum jedoch, hätte nie anders als angewidert von diesem Subjekt Kenntnis genommen – bis zum heutigen Tage! Nun, da sie um die magische Wirkung seines Konterfeis wisse, werde sie die Pilgerreise ins Einkaufszentrum antreten, wann immer sie sich die letzte Mahlzeit noch einmal durch den Kopf gehen lassen wolle. Worauf sie nach einem kurzen Blick auf die Pappfigur wieder eilends in der Damentoilette verschwand, bevor ihr eine andere Vertreterin des weiblichen Geschlechtes den heiß begehrten Platz über der Porzellanschüssel streitig machen konnte.
Wir staunten lebhaft über die immense Wirkung, die ein einzelner Mann ganz multikulturell zu entfalten in der Lage war.
Ehe wir gedankenverloren den Heimweg antraten, besorgte Herr Fjøllfross noch ein paar Flaschen alten schottischen Hochlandwhiskys. Er meinte, es gäbe nichts besseres, um ein solches Trauma hinwegzuspülen. Herr Salah nickte und meinte, Allah würde in diesem Falle mit Verständnis reagieren. Herr Druckepennig kritzelte ein paar Zeilen in hebräischer Schrift auf einen kleinen Zettel, den er, wie er uns erklärte, bei seinem nächsten Jerusalem-Aufenthalt in die Ritzen der Klagemauer stecken wolle. Es heißt, der auf dem Zettel geäußerte Wunsch würde sich dann erfüllen.
Niemand von uns war des Hebräischen mächtig. Niemand wußte, was Herrn Druckepennig da zu Papier gebracht hatte. Dennoch drückten wir ihm alle die Daumen…


2. Volumen
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