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Die Bild-Zeitung
– eine Reminiszenz an
den Todfeind
B. St. Fjøllfross
„Wenn die Narren zu Markte
gehen, so lösen die Krämer viel Geldes!“ So lautet ein
altes deutsches Sprichwort.
In unserem Falle sollten wir jedoch nicht von Krämern sprechen, sondern
von Journalisten und Redakteuren. Sehr fähigen Journalisten und sehr
fähigen Redakteuren. Leuten, deren Intellekt und Geschmack sich reziprok
von dem ihrer zahlenden Narren-Kundschaft abhebt. Aber das weiß
diese Klientel nicht. Und das bekümmert sie auch nicht. Sie wollen
nach ihrer Fasson bedient werden, und dafür sind sie bereit zu zahlen.
Nicht eben viel, aber das Wenige stetig, Tag für Tag, Jahrein, Jahraus.
Und da wir es hier mit einem ganzen Volk voller Narren zu tun haben, reden
wir im Endeffekt über gewaltige Summen.
Doch besteht die Macht dieser Gazette nicht nur in den finanziellen Mitteln,
über die sie verfügt. Sie ist die fleischgewordene vox populi.
Und wie wir alle wissen: vox populi vox Dei est. Jedenfalls solange das
Volk Geld in der Tasche hat. Das Geschrei der Bettler zählt nichts.
Die Bild-Zeitung ist die ungekrönte Königin der Boulevardpresse,
der Yellow-Press!
Niemand hat es wie sie zu derart überregionaler Bedeutung gebracht.
Sie ist in der Lage Minister zu stürzen, Regierungen zu Fall zu bringen,
die Meinung des „Wählers“ nachhaltig zu beeinflussen.
Kluge und ausgewogene Stimmen müssen neben ihrem mächtigen Dröhnen
verstummen. Hier spricht der Schwachsinn, geformt in den Köpfen ausgesprochen
cleverer Leute – und die Nation lauscht ergriffen!
Diese Zeitung, die sich so gern als Anwalt der „kleinen Leute“
präsentiert und diese wie ein bissiger Hofhund pathetisch gegen den
Vorwurf der Unmündigkeit und geistigen Insuffizienz in Schutz nehmen
würde – die intellektuelle Armut des Pöbels wird gern
mit den Euphemismen „gesunder Menschenverstand“ und „Mutterwitz“
übersetzt – macht genau aus dieser Volksdummheit Geld. Das
ist der Grundstock ihres Kapitals! Nichts sonst.
Der alte Witz: „Schweres Zugunglück. Bild sprach zuerst mit
den Toten!“ ist bei rechtem Lichte betrachtet gar keiner. Das ist
die nur unwesentlich karikierte Wahrheit. Bild schreibt es, das Volk kauft
es ab! Alles wahr. So stand es ja in der Zeitung. In der Bild-Zeitung!
Das alles baut im Grunde genommen nur auf ein einziges Erfolgsrezept:
Mit vielen Bildern und wenig Text gespickt verkündet dieses Blatt
peitschenknallartig seine Interpretation der Weltgeschichte. Die „Leser“
honorieren das. Lesen, das ist geistige Arbeit. Und das Volk hat mit keiner
Arbeit viel am Hut. Sie sehnen sich alle nach dem ewigen Sonnenschein
auf einer Karibikinsel, Getränke an den Liegestuhl, kostenlos die
Wanne vollschlagen, bedient von knackigen und leicht oder gar nicht bekleideten
jungen Mädchen und Männern. Die wenigsten von ihnen kommen jemals
in den Genuß dieser Annehmlichkeiten. Aber Bild hilft!
Diese Zeitung versteht es mit jeder neuen Ausgabe, die Fata Morgana dieser
Sehnsüchte über die Köpfe ihrer Abkäufer in den blauen
Himmel zu malen. Und die glotzen. Und zahlen, und zahlen, und zahlen!
Ein paar kurze Bemerkungen zum politischen Aus- und Inlandsgeschehen,
ein paar Kunstbeiträge, viel Sport – das brauchen sie seit
den Tagen des Alten Rom, viel Klatsch und Tratsch und natürlich Pogromstimmung,
Anheize, Aufheize! Da, der Kinderschänder, die Bestie, den müßte
man… Und die „kleinen Leute“ auf der Straße wüßten
sofort und ganz genau, was man mit dem machen müßte. Denn sie
würden es auch tun, wenn man sie nur ließe! „Bild“
vollendet den Gedanken nicht. Spricht keinen Klartext. Wie schon gesagt:
Hinter jeder Bildzeile stehen verdammt clevere Leute, die das so
natürlich niemals gemeint haben. Da wären sie ja schön
dämlich, denn sie würden den Straftatbestand der Volksverhetzung
erfüllen.
Nach demselben Schema werden Anschuldigungen unter die Leute gebracht.
Immer mit einem Fragezeichen. Aber dieses Fragezeichen verliert in den
Hirnen der Dummköpfe ruckzuck seine Kurven und wird zu einem schönen,
strammen Ausrufezeichen. „Bild“ ist aus der journalistischen
Verantwortung raus und der Plebs hat seine neue „Wahrheit“.
Das Gerücht fand seine Bestätigung.
Nein, diese Schreiberlinge sind entfernt den Dichtern eines guten Haikus
zu vergleichen. Der wirft auch nur drei Zeilen hin und läßt
sie vom Kopf des Genießers ausmalen. Nur, das Letztere ist die Kunst
der Poesie, das Erstere die Kunst der Beutelschneiderei.
Also weiter mit den Brandmarkungen! Zum Henker mit dem Kinderschänder!
Das wissen wir nun.
Und der Richter erst, der diesen Strolch schon nach acht Jahren wieder
auf freien Fuß setzen will! Der gehört doch gleich mit weggesperrt!
Genau wie der verantwortliche Justizminister! Und Photo daneben, Photo
darüber, Photo darunter! Strolch, Richter, Justizminister –
sie kriegen alle ihr Fett! Das „natürliche Rechtsempfinden",
das wir alle aus dem Kindergarten kennen, hier wird es kanalisiert; hier
wird ihm Ausdruck verliehen.
Aber wer wird denn immer nur zanken wollen! Wir brauchen doch noch was
für’s Gemüt. Ein bißchen heile Welt. ’Was
zum träumen.
Also wird das geduldige Papier ewig an der gleichen Stelle mit ein paar
nackten, weiblichen Rundungen versehen, die von einem Text begleitet werden,
der an Schwachsinn nicht mehr zu überbieten ist.
Ja, das ist es, wonach die Volksseele verlangt, was sie eben– beseligt.
Sie lechzt danach. Sie fleht. Deutschland ohne die „Bildzeitung“
ist nicht mehr denkbar.
Ohne die „Süddeutsche“ schon. Die „Frankfurter
Allgemeine“ fehlt am Kiosk? Na und wenn schon. Die „Zeit“?
„Spektrum der Wissenschaft“? Führ’n wa nich! Macht
nischt! Völlig uninteressant! Hauptsache, die „Bild“
ist da. Na dann geben Se mal eine, und noch ’ne „Bunte“
dazu und für den Nachwuchs eine „Bravo“.
Da haben wir dann das deutsche Zeitungsvolk. Das Herrenvolk. Das legitimiert
ist, billige Kulis am anderen Ende der Welt für sich malochen zu
lassen. Wodurch legitimiert? Durch überlegene Kunst? Kultur? Errungenschaften,
an denen die armen Schweine dieser Erde auch mal partizipieren können?
Nee, weit gefehlt. Die „Bildzeitung“ macht aus diesem Volk
ein Herrenvolk. Denn dort bekommt es täglich das kostbare „Wir“
eingehämmert: wie wertvoll „Wir“ doch sind, wie einzigartig,
wie sehr im Recht!
„Wir“ – das ist die Volksseele. Die ewig geknechtete
– von denen da oben. Denen, die zwischen „Uns“ und unserem
Glück stehen. Die sind doch sowieso an allem Schuld, die da oben!
Die machen doch mit „Uns“, was sie wollen. „Wir“
können doch gar nichts dagegen tun… Doch, können „Wir“!
Denn „Wir“ haben „Bild“! Die zeigt für „Uns“
die Zähne! Die weist mit dem Finger auf den wunden Punkt. Die gibt
denen da oben Saures! Daß die mal wissen, was los ist und wo Bartel
den Most holt.
Und wenn „Bild“ mal so richtig Dampf macht, dann können
die da oben ihre Koffer packen. Ätsch! Von wegen mächtig. Dank
„Bild“ lachen wir zuletzt!
Und hier haben wir auch die Lösung eines Kuriosums: Selbst Leute,
die sich schämen würden, die Bildzeitung in der Öffentlichkeit
zu kaufen oder zu lesen, werden in diesem Aspekt die Existenzberechtigung
der Schundgazette akzeptieren. Denn hier ist ja anscheinend ein demokratischer
Kontrollfaktor am Werke, der dort noch Effizienz beweist, wo alle anderen
Mechanismen längst versagt haben.
Aber der Schein trügt. Denn das Volk ist ein schwachköpfiger
Tyrann. Wir haben weiter oben schon festgestellt, daß das Volk jeglicher
Arbeit und damit auch geistiger Tätigkeit abhold ist. Einen Gegenstand
aber ausgewogen zu beurteilen und das Handeln entsprechend auszurichten,
verlangt nach geistiger Arbeit. Sogar nach viel geistiger Arbeit. Da ist
Oberflächlichkeit und geistige Rasenlatscherei absolut fehl am Platz.
Da heißt es das „Für“ und „Wider“ gegeneinander
abwägen. Da heißt es sich mit der Materie gründlich befassen.
Verstehen. Durchdringen. Das ist noch nie des Pöbels Sache gewesen.
Der Plebs verlangt nach schnellen Urteilen, einer raschen, möglichst
grausamen Umsetzung, bei dem ihm auch noch ein Logensitz vorbehalten sein
sollte – das Colosseum ist sein Tummelplatz und seine Bühne.
Aber das Colosseum ist ein Theater, das von Diktatoren geschaffen wurde,
um den Anschein einer Demokratie zu erwecken. Hier soll das Volk das Gefühl
haben, mitzubestimmen. Mehr nicht. Das Rezept ging zu Neros Zeiten auf.
Es ist auch heut noch probat. Nur, daß man das Colosseum nicht mehr
für alle Zeiten in Stein baut, sondern modernerweise jeden Tag aufs
Neue aus der Druckerpresse heraus unters Volk schleudert. Es heißt
jetzt auch nicht mehr „Colosseum“, sondern „Bild“.
Dem „Bild“ – Konsumenten soll in erster Linie dabei
geholfen werden, mit Phantasien und irrealen Träumereien die Zeit
totzuschlagen. Da geht es nicht um Erziehung oder Bildung. „Edel
sei der Mensch, hilfreich und gut!?“ Quatsch, Schnee von gestern!
Und wenn man früher seinen unvermeidlichen Lastern noch im Geheimen
frönte, weil der Druck der öffentlichen Moral das gebot, so
führt „Bild“ jetzt den Rundum - Befreiungsschlag im Namen
des von moralischen Erwägungen und Kant’schen Imperativ eingekerkerten
Pöbels. Niemand braucht sich seiner hemmungslosen Sensationsgier
mehr zu schämen, mit der er sich am Elend seines Nachbarn weidet.
Öffentliche und zur Schau gestellte Nacktheit ist kein Tabu mehr.
Oberflächlichkeit ist salonfähig. Schlechtes Deutsch? Bißchen
dröge im Kopf? Kein Problem: „Bild ist mit Euch!“
Natürlich werden die kurzen Textstellen und die ausgiebigen Bilddokumentationen
anders begründet. Es geht um die Mangelware „Zeit“. Es
ist doch gesellschaftlicher Konsens, daß im geschäftigen „Heute“
kein Mensch mehr Zeit hat. Haben darf! Denn wer hat denn noch Zeit?
Natürlich nur die „Müßiggänger“, die
„Arbeitslosen“, die „Sozialhilfeempfänger“,
die „Rentner“, das „arbeitsscheue Gesindel“. Die
das machen, was die von Arbeit Geknechteten gerne täten – nämlich
bärenhäutern!
Aber das ist Selbstbetrug, der den „Bild“ - „Lesern“
schöngeredet wird. Die ungeschminkte Wahrheit ist eine andere: Hier
wird ein Kotau vor der Oberflächlichkeit gemacht. Vor dem Rasenlatschertum
der Allgemeinheit. Tiefgründigkeit und Fleiß bei der Sache,
Ausdauer und angestrengte geistige Arbeit werden als Tugenden systematisch
demontiert. Schnell, schnell, schnell muß es gehen; husch, mal die
Zeilen so eben überflogen. Daß man im „Bilde“ ist,
sich seine Meinung „bilden“ kann. Hintergrundinformationen
sind da völlig überflüssig.
Was mit der so gewonnen Zeit sinnvolles angefangen werden soll, danach
fragt niemand.
Das ist auch der Kern der Sache. Denn wer viel fragt, wird am Ende noch
feinsinnig, überlegt und aufmerksam. Um Jesu Willen! Solche Leute
kaufen am Ende dann die „Zeit“ oder ein anderes seriöses
Blatt. Und geben ihre sauer verdienten Groschen nicht mehr für jeden
billigen Schund aus. Und lassen sich vor allen Dingen nicht mehr leicht
lenken. Denn solche Leute entdecken früher oder später, daß
sie einen eigenen Kopf auf den Schultern haben, der sich ganz gut dazu
eignet, eigene Gedanken zu entwickeln. Dann werden sie am Ende noch rebellisch
und wollen selbst bestimmen, wohin ihre Groschen wandern sollen. Das wäre
dann die Apokalypse. Das Schreckgespenst vom mündigen Bürger.
Das gilt es um jeden Preis zu verhindern.
Keine Sorge, liebe „Bild“ – Redakteure! Das wird nicht
passieren. Das Volk war doof, ist doof und wird immer doof bleiben. Und
es wird nach Doofheit brüllen, bis die Sterne verlöschen. Und
ihr werdet ihm geben, wonach es brüllt. Weil es Euch dafür bezahlt.
Und gut bezahlt.
Der „Landbote“ und die „Weltbühne“, die „Zeit“
und die „Süddeutsche“ werden immer Marginalien im deutschen
Blätterwald bleiben. Die beiden ersten, weil sie zu brutal sind und
die Wahrheit im günstigsten Falle demjenigen nutzt, der sie gesagt
bekommt, und die beiden anderen, weil es bestenfalls unter den distinguierten
Kreisen „très chic“ und „en vogue“ ist,
sich diese Zeitungen zu halten. Und weil sie natürlich und ganz selbstverständlich
auch ihrer Leserschaft nach dem Munde reden.
Aber diese kann wenigstens lesen und ist zu kritischer Reflexion befähigt.
So wäre es denn unter Verfechtern von Moral und Anstand eine letzte
Betrachtung wert, ob das Verhalten der Bildzeitung ethisch zu rechtfertigen
sei. Der „Landbote“, der sich der philosophischen Grundhaltung
des Kynismus verschrieben hat, beantwortet diese Frage mit einem klaren
„Ja“! Ja, es ist in Ordnung, Idioten, die es nicht anders
wollen, die unbeschulbar, unbelehrbar und therapieresistent sind, auszunehmen
wie Weihnachtsgänse. Wir halten die Ideen der Aufklärung für
nobel aber weltfremd und gescheitert. Und halten uns zumindest in der
Theorie an den auf der Titelseite des „Landboten“ zitierten
Ausspruch des Zürcher Landsknechtes: „Geld soll man nehmen,
wo es eben kommt!“ Wir selber können das nicht. Wir müßten
uns prostituieren und die Seele verkaufen. Wir müßten in Kauf
nehmen, daß wir jedesmal das Kotzen kriegten, wenn wir in den Spiegel
schauen.
Dafür, daß sie gegen derartige Anwandlungen gefeit sind und
ihre ganze Klugheit in bare Münze zu prägen imstande sind, bewundern
wir die Kollegen der „Bild“ von Herzen.
Doch möchten wir nicht mal neben ihnen begraben sein. Denn wir sind
stolz darauf, als Ehrenmänner zu gelten. Dabei bewahre uns der Liebe
Gott! Amen
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