Alternde Barden
J.-F. S. Lemarcou
Es ist rührend. Eine Kirmes
steht an in P., der relativ unbekannten Kleinstadt. So ein Volksgaudi
mit einem kleinen Karussell für die Kinder, einigen Schießbuden
und Bierständen für die Erwachsenen. Und man raunt sich zu:
"X kommt hierher zu uns, tritt bei uns auf - denk mal an!"
Das können die von der Kuhbläke nebenan nicht von sich behaupten.
"Wir sind eben doch wer!"
Denn X war vor beinahe drei Jahrzehnten ein Weltstar. Jedenfalls hielten
wir ihn dafür. Zumindest war er ein national stehender Begriff.
Keine Hitparade ohne ihn. Bei volkstümlicher Musik schunkelten
die miteinander, deren Leiber mittlerweile der Sand deckt, wie sich
der deutsche Poet Günther auszudrücken beliebte. Stadien füllte
er, nicht Turnhallen. Große Konzerte mit mehreren tausend Besuchen
waren Monate im Voraus ausgebucht, wenn er durchs Land und dessen Metropolen
tourte. Nun - tempus fugit!, pflegten die alten Römer zu sagen:
Die Zeit eilt von hinnen und verharret nicht - nirgendwo, niemals! Mit
einem Wort - wir werden alt. Ein jeder von uns. Auch die, die Zeit ihrer
Jugend und Erfolge weit über uns zu schweben schienen.
Zugegeben, hätte man Meister X damals gefragt, ob er denn wüßte,
wo P. liegt, dann hätte er das vielleicht für einen guten
Witz gehalten und ernsthaft gelacht.
Heute aber heißt es vom Ruhm vergangener Tage zehren. Zumindest
von dem, was davon noch übrig geblieben ist. Und weiß Gott
- das ist nicht viel. Heute ist man schon froh - eine Turnhalle vollzubekommen.
Meistens beschränken sich die Arrangements jedoch auf Pausenfüller
oder - etwas ranziger ausgedrückt - Pausenclownerien. Beispielsweise,
wenn der Prinzipal eines mittelständischen Betriebes zu einer Feier
für die Angestellten geladen hat.
Was für ein Absturz, wenn die endlosen Schönheitsoperationen,
die Berge von Geld, die man dafür zum Fenster herausgeschaufelt
hat, nichts mehr bewirken. Da steht man nun und leiert die alten Schlager
herunter, oder man verzieht das Gesicht zu einem launigen Grinsen -
wozu der Garderobenschnaps wohl noch gnädig seine Hand gereicht
haben mag - und versucht, etwas Stimmung in den Saal oder auf die Kirmes
zu tragen.
Die Leute freuen sich - gar keine Frage! Aber es ist nicht mehr dieselbe
Freude, die aus ihren Gesichtern leuchtet. Damals, da war es Euphorie!
Jetzt riecht die ganze Chose verdächtig nach Belustigung, vielleicht
gemischt mit etwas Nostalgie: "Ach waren das Zeiten! Weißt
Du noch.?" Und genau das wird oben auf der Bühne ankommen
- todsicher. Die ganze Peinlichkeit der Situation. Schwer erträglich!
Aber noch heißt es sich zusammenzureißen! Denn wenn erst
die Yellow-Press davon Wind bekommen hat, daß man sich am liebsten
im Klo runterspülen will, dann beginnt die wahre Treibjagd. Sicher,
man kommt noch einmal zurück in die Schlagzeilen, so wie jüngst
Frau Steeger. Aber ist es das, was man sich wünscht? Und das bringt
ja nichts ein! Keine neue Verpflichtung, kein neues Arrangement.
Das durchstandene Leid der Jugend und des Berufslebens, als alle dachten,
denken mußten, daß dieses Idol auf dem Parnaß angekommen
sei - damals wäre die Journaille gelyncht worden, hätte sie
Artikel wie diesen plaziert.
Das wollte keiner hören, damals. Das hätte Zuschauerträume
zerstört. Jetzt ist es das Einzige, was an dem Menschen noch interessant
und somit verkäuflich zu sein scheint. Nicht mehr die lachende,
sexy-naive Ingrid aus Klimbim schaut uns da aus den einschlägigen
Zeitungen entgegen, sondern ein verhärmtes Gesicht einer alternden
Frau, die Augen versteckt hinter einer großen Sonnenbrille. Eine
Tragödie.
Doch Frau Steeger vermeidet einen Kardinalfehler. Und das weist sie
als kluge Frau aus: Als sie merkte, das der Zenit überschritten
war, machte sie sich in der großen Öffentlichkeit rar. Sicher
ist es überzogen, sich so zu isolieren, wie es Frau Marlene Dietrich
in ihren letzten Jahren im Pariser Exil tat. Das ist wiederum eine nicht
eben gesunde Art, dem unvermeidlichen Prozeß des Alterns eine
trotzige Stirn zu bieten. Dennoch liegt sie im Ermessensspielraum des
Einzelnen und ist nicht annähernd so lächerlich, wie der Versuch,
mittels der Haut vom eigenen Hintern die runzligen Gesichtszüge
zu straffen. Entsprechende Karikaturisten werden geradezu herausgefordert,
von einer solchen Vorlage ausgiebigen Gebrauch zu machen. Kein Grund
zur Beschwerde seitens des Herrn Costa C.
Es stellt sich die Frage, können diese Barden nicht mit dem Kreislauf
des Werdens und Vergehens umgehen? Sind sie nie erwachsen geworden?
Denn "erwachsen" sein bedeutet doch wohl sich altersadäquat
zu verhalten. Und - Hand aufs Herz - eine alte Diva, die der Welt auf
nur mühsam von aufgetakeltem Fummel bedeckten Storchenbeinen gestützt
ihr im Übermaß aufgetragenes Lippenrot und die dick bepinselten
Augenbrauen aufzwingt - das ist traurig und lächerlich zugleich.
Vor allem aber ist es abstoßend. Denn aus jedem dieser Farbtupfer
brüllt uns die Angst vor dem Vergehen entgegen. Das kindische Verhaltensmuster
des Nicht-Loslassen-Könnens.
Es waren derer viele Künstler, die uns vormachten, wie man mit
Anstand, Würde, Charakter und Charme, Nonchalance und Reife alt
werden kann. Ustinov und Rühmann, Frau Dönhoff und Herr Heesters
- alle sie gaben ein nachahmenswertes Beispiel. Das sind Menschen, die
zu einer Lebensreife gelangt sind, die es ihnen ermöglicht, zum
Ersten von den Ersparnissen dieses ausgefüllten Daseins den Lebensabend
zu bestreiten anstatt über die Dörfer tingeln zu müssen
und zum Zweiten bei Auftritten in der Öffentlichkeit Haltung und
Achtbarkeit auszustrahlen.
Wenn wir hingegen zu unserem eingangs erwähnten Barden X zurückkehren,
der in P. zu vorgerückter Stunde seinen Auftritt zelebrieren sollte,
so begegnen wir der Antithese des erwachsen gewordenen Menschen: Die
eigene Gitarre, sozusagen sein wichtigstes Werkzeug zum Broterwerb hat
er vergessen, der Meister X und pumpt sich ein Instrument von einer
ebenfalls anwesenden, regionalen Combo. Die beeilen sich, dem Kollegen
mit dem noch immer bekannten Namen auszuhelfen. Der Auftritt selbst
entartet zum Fiasko - selbst mit geschlauchter Gitarre. Das Volk buht
und pfeift. Der Sangeskünstler zieht sich beleidigt zurück
und verkündet in beleidigendem Ton: Schuld an dem Debakel sei dieses
unerträgliche Instrument, was ihm diese Provinzschreihälse
da angedreht hätten.
Ich sage Ihnen, Starallüren sind schon immer ein Zeichen eines
geistigen und kulturellen Vakuums gewesen. Wenn man aber schon längst
kein Star mehr ist und sich noch immer so ekelerregend aufführt,
dann ist man unwiderruflich ganz unten angekommen. Wie dem auch sei
- mit diesen Äußerungen hat X unsere Ausführungen nicht
nur angeregt, sondern Punkt für Punkt bestätigt.
Glauben Sie nur, liebe Festveranstalter kleineren Rahmens, auf solche
Canaille kann sogar die Welt verzichten - wie sehr erst Ihre Kirmes!