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Alte Bonzen im neuen Deutschland
S. M. Druckepennig
O Götter, was seid ihr für
ungerechte Canaillen! Da schwimmen sie wieder obenauf, die Peiniger von
gestern, die man doch hoffte, mit dem letzten Umsturz hinweggefegt zu
haben. Das bringt die Seele des Volkes zum Kochen. Und wie!
Als hätten die Erfahrungen mit der Nachkriegszeit nicht gereicht,
in der sich nach kurzer Zeit die alten, höherangesiedelten PG's und
exponierteren Chargen wieder gesellschaftlich etablieren durften, nachdem
sie ihres persönlichen Persilscheins teilhaftig geworden sind.
Jetzt finden sich adäquat dazu auch die ehemaligen Genossen der SED
und Vorkämpfer für Frieden und Sozialismus erneut auf den oberen
Rängen und dirigieren und kujonieren noch ärger, als vor dem
Fall der Mauer.
Nicht die "armen Würschte" von damals, die kleinen Zuträger
und Blockwarte, FDJ-Sekretäre und BPO-Leiter, die DSF-Kassierer und
FDGB-Funktionäre vor Ort. Die GST-Ausbilder und Kampfgruppen-Hundertschaftsführer
- nein, die nicht. Die gehen heute für Vier fuffzich, 'n Appel und
'n Ei auf Streife in völlig lächerlichen Uniformen, als amerikanische
Sheriffs verkleidet, im kümmerlichen Sold für ausbeuterische
"Security-Dienste". Oder verkaufen Curry-Würste und Bouletten
mit Pommes an der Straßenecke oder malochen in Gebäudereinigungsfirmen.
Aber die anderen: Die damaligen Hundertprozentigen, die ganz Überzeugten,
die Blutegel und Parteipaladine bis hinauf zur Nomenklatura, die haben's
meist irgendwie geschafft. Sitzen wieder auf irgendeinem Aufsichtsrats-
oder Geschäftsführerposten, haben wieder Leute unter sich, denen
sie diesmal nach kapitalistischen Erwägungen das Leben zur Hölle
machen. Oder verfressen ihre satte Rente auf ihren Grundstücken und
beobachten schadenfroh das zunehmende Elend der Arbeitslosen. Hat's doch
nicht anders gewollt im November '89, der dumme Michel. Da hat er seine
Quittung. Von Schnitzler hat's ihnen doch lange genug vorgebetet in seinem
"Schwarzen Kanal", was mit ihnen passiert unter dem Diktat des
Kapitals. Aber sie wollten ja unbedingt die Westmark und die Öffnung
der Mauer, koste es was es wolle.
Jetzt haben sie beides und haben es doch nicht. Denn gleichwohl sie ihre
Miete in harter Währung entrichten dürfen, kommen sie nicht
mal mehr bis zum Tierpark, weil die U-Bahn und der Eintritt in den zoologischen
Garten auch mit Euro und Cent zu bezahlen ist. Und die sind halt nicht
mehr übrig am Ende des Monats.
Und ganz unten sind die, die damals, vor der Wende das Maul aufgemacht
haben und womöglich noch im Stasiknast eingesessen haben. Die dürfen
um ein paar Pfennige Haftentschädigung und Anerkennung betteln, die
Helden von gestern.
Aber die Bonzen von damals fahren mit dem dicken Daimler vor. Die Schurken,
die damals schon in Tschaika, Wolga und stasiblauem Lada saßen.
Die den einfachen Facharbeiter 15 Jahre auf seinen Trabant warten ließen
und endlose Schikanen ersonnen, wenn jemand zu Tante Elfriedes Geburtstag
in den Westen wollte. Die den Leuten mit ihren Wahlurnen auf die heimische
Stube gerückt sind, wenn die sich nicht an den Wahlfarcen der D.D.R.
beteiligen wollten. Die unentwegt brüllten: "Heraus zum 1.Mai!"
Und Zählappelle an den Sammelpunkten veranstalteten und Listen anlegten,
von denen, die sich vor dem offiziellen Ende der "Demonstrationen"
verpißten. Und wer zu diesem Kasperletheater keine Lust hatte und
damit klassenfeindliche Tendenzen bekundete, dem haben sie schon gezeigt,
wer die Macht hatte im ersten und letzten Arbeiter- und Bauernstaat auf
deutschem Boden. Und die sind jetzt wieder obenauf? Man versteht die Welt
nicht mehr.
Weil man sie nicht verstehen will! Es geht alles mit rechten Dingen zu.
Ganz sicher. Denn der Mensch ist eben kein gesellschaftspolitisches Wesen
mit Verantwortung für seine Klasse, wie es die Kommunisten in ihrem
Wahn über Jahrzehnte salbaderten. Schon in den Zeiten des "real
existierenden Sozialismus" galt: "Privat geht vor Katastrophe!"
Die Leute, die es damals in Führungspositionen geschafft hatte, bewiesen
vor allem eines: das sie intelligent und anpassungsfähig waren. Sie
konnten das vorherrschende Dogma mit Inbrunst vortragen und gleichzeitig
den Eindruck vermitteln, daß sie eben nicht stumpfsinnig genug waren,
den Nonsens auch wirklich zu glauben, den man sie auf endlosen Parteiversammlungen
vortragen ließ. Wie der besoffene Nachrichtensprecher und Publikumsliebling
Herr Ackermann von der "Aktuellen Kamera" eines Abends so schön
und treffend formulierte: "Den Scheiß glaubt mir doch sowieso
kein Aas!" Der geschniegelte Herr Ackermann, der nach einer Zeit
der inneren Einkehr und bezeigten Buße wieder in den Schoß
der alleinseligmachenden Partei aufgenommen wurde (auf sanften Druck des
Volkes hin), mag als Prototyp für unsere Ausführungen gelten.
Angepaßt bis an die Erbrechensgrenze. Und so seinen Weg gemacht.
Der hat bewiesen was er kann und aus welchem Holz er ist. So was brauchen
wir. An jeder Ecke der Gesellschaft! Keine Überzeugungstäter
in Sachen Weltverbesserung.
Frauen und Männer, die damals unter härtesten Bedingungen das
Maul aufgemacht haben, lassen ernsthaft befürchten, sie machen so
weiter. Für solche Leute haben wir bestenfalls bei nationalen Gedenkfeiern
Verwendung, auf denen wir in ihnen gerne das edle Phantomgebilde beweihräuchern,
daß wir von uns selber haben. Aber nach dem ganzen rituellen Mummenschanz
müssen wir ja auch wieder zum Alltag zurückkehren. Der sieht
naturgemäß ganz anders aus.
Da haben wir dann nur noch Bedarf an den schleimigen, aalglatten und knallharten
Typen, die schon früher als Staatsbürgerkundelehrer keine Skrupel
hatten, nonkonformen Schülern den Lebensweg zu verlegen. Als Wachhunde,
respektive Geschäftsführer absolut ideal, die Burschen. Die
verstehen es, eine rebellische Belegschaft in Schach zu halten.
Je schneller sich diese Leute von ihren martialischen Lippenbekenntnissen
für den Kommunismus und die "unbesieglichbare" Sowjetunion
losgesagt hatten, desto höher ihr Kurs an der Anstellungs-Börse.
Weil man bei denen voraussetzen kann, daß man aus ihnen in Nullkommanichts
auch gute katholische Pfründen- und Hexenjäger, protestantische
Konsistorialmucker und marktwirtschaftlich orientierte Erzgauner machen
kann. Sozusagen die embryonalen Stammzellen der Gesellschaft. Weil sie
ihr persönliches Fortkommen den jeweilig herrschenden Bedingungen
optimal angleichen. Das sind doch die Maximen der Evolution, oder? Was
soll der Schmonzes von Ehre, Charakter und Aufrichtigkeit? Schnee von
gestern! Possen aus dem Märchenbuch! Alles Tinnef! "Vorwärts,
und schnell vergessen.!" so oder so ähnlich lautete eines der
kommunistischen Kampflieder. Sie halten sich daran. Und fahren gut dabei.
Was lernen wir daraus? Das die Prinzipien Machiavellis nie an Gültigkeit
eingebüßt haben. Das sie die einzige ernstzunehmende Gesellschaftswissenschaft
darstellen, die dem irrwitzigen Anspruch der marxistischen Pseudoreligion
hohnlächelt.
Das alles zu wissen heißt nicht, es zu billigen oder gutzuheißen.
Aber wie uns die Araber schon lehrten: Die Hand, die du nicht abschlagen
kannst, solltest du schütteln! Das ist nicht schäbig, das ist
weise - auch wenn wir uns schwertun, das zu glauben.
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