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Rente und Recht

B. St. Fjøllfross
Dem Staat und allen seinen nachgeschalteten Institutionen geht es schlecht. Das Geld ist ausgegangen. Spät, sehr spät verfällt man auf die Idee des Sparens im großen Stil. Wo man vorher verschwenderisch mit vollen Händen das Geld zum Fenster hinauswarf – wir hatten’s ja, wo man auf Teufel komm raus kreditierte und spendierte – da soll jetzt eingespart werden, daß es nur so kracht im Gebälk. Systematisch wird dabei der Wirtschaft der Hahn abgedreht.

Als der Soldatenkönig 1712 im hochverschuldeten Staate Preußen ebenfalls ans Eingemachte zu gehen gezwungen war, stand für meisten der über Nacht banquerotten Gewerbe wenigstens die Armee als auffangender Abnehmer zur Verfügung. Hier hingegen ist dunkeltuten. Die Wirtschaft kollabiert ungebremst und zusehends. Man verfällt also auf das altbewährte – oder eben nicht bewährte – Patentrezept, und „spart“ auf breiter Fläche bei denen, die schon eh nichts mehr haben. Der Restkonsum wird unterminiert und reißt alles, was am Warentausch mit dran hängt, in die schwindelnden Tiefen einer Rezession.

Ein Thema des umfangreichen Sparmaßnahmenkataloges ist beispielsweise die Rente zukünftiger Generationen. So lautet ein Vorschlag, das Renteneintrittsalter auf 67 Lebensjahre, perspektivisch auf 70 Jahre zu erhöhen.

Heutigentages, das dürfte allgemein als bekannt vorrausgesetzt werden, wird man schon als Mitte Vierzigjähriger in vielen Berufen zum alten Eisen gezählt. Man ist also nur noch in den seltensten Fällen auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar.
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint diese Gesetzesnovelle sehr fragwürdig. Die Lebensarbeitszeit soll verlängert werden, auf daß wieder Geld in die Kassen kommen. Watt’n Blödsinn! Es ist ja nicht einmal Arbeit für die jungen Leute da, geschweige für die Alten. Großer Gott, in den strukturschwachen Gebieten Ostelbiens sind 20 und mehr Prozent Arbeitslosigkeit keine Seltenheit und da kommt einem die Idee, die Leute länger im Arbeitsprozeß zu belassen, doch schon etwas realitätsfern vor.

Ist sie aber nicht!

Denn die Geschichte hat einen völlig anderen Hintergrund. Jedem, der eins und eins zusammenzählt, müßte das völlig klar sein.
Wir erinnern uns: Es geht um Einsparungen. Sparen läßt es sich am Besten, wenn man nichts ausgibt. Man spart also bei den Rentnern, indem man ihnen weniger Rente auszahlt. Die Rente kürzen? Nee! Das gibt Krawall. Geh den Leuten an den Geldbeutel und es raucht im Karton. Wer sich als Politiker ernsthaft Hoffnungen macht, in der nächsten Legislaturperiode wieder Amt und Würden zu bekleiden, wird diesen Schritt nicht in Erwägung ziehen.
Aber was dann? Richtig. Schick die Leute später in Rente! Das heißt, zahl Ihnen ihre Renten später oder gar nicht aus. Die Alten, die es erleben, werden länger auf den Renteneintritt warten müssen. Aber nicht nur das. Denn da sich die meisten von ihnen zu diesem Zeitpunkt in einem Alter befinden, in dem sie wahrscheinlich schon definitiv aus jeglichem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind, werden sie ihre Altersbezüge zunächst vom Sozialamt beziehen – und das ist dann zum Großteil der Mindestsatz nach der Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialbehörde. Insofern wird von dieser Behörde für die einzelnen Personen auch nur ein geringer Betrag an die Rentenkassen überwiesen, was zur Folge hat, daß die Rentenanwartschaften ebenfalls geringer ausfallen. Welch eine Entlastung der Rentenkasse!

Aber es kommt noch schöner. Das von Herrn Vetter gegenüber Gesundheitsministerin Ulla Schmidt angemahnte „Soziale Früh-Ableben“, das unweigerlich aus der Gesundheits- und Sozialreform resultiert, wird ebenfalls dazu führen, daß die Rentenkassen tief durchatmen können. Viele Leute zahlen über Jahrzehnte zwangsweise ein, kommen aber nie in den Genuß, sich auch nur eines müden Cents an Pension oder Rente zu erfreuen. Na wunderbar. Der staatliche Rentenbeutel wird sich trotz demographischer Altersverschiebung rasch wieder füllen.
Und dann gibt’s wieder mehr für alle... Eine Ausschüttung... Den Segen wenigstens für die nachfolgende Generation... Aber nein! Wenn der Deutsche Michel sich erst einmal an die neuen Preise gewöhnt hat, dann läßt man ihn getrost weiter blechen und wirtschaftet sich den Überschuß in die Tasche. Und wenn er sich erst mit den vollendeten Tatsachen des späteren Eintrittsalters arrangiert hat, dann wird man dieses freiwillig wohl so schnell nicht wieder absenken. Man wäre ja von allen guten Geistern verlassen.
Darin besteht meiner Auffassung nach die eigentliche Bedrohung durch diese Pläne. Transienter, das heißt vorübergehender Charakter ist in diesen „Reformen“ nicht festgeschrieben oder auch nur vorgesehen. Das sind Veränderungen auf Dauer. Da ist nirgendwo die Rede davon, daß der Spuk sich mit einsetzender Konjunktur in Wohlgefallen auflösen werde. Ganz im Gegenteil. Dieser unselige, rezessionsfördernde Wechsel auf die Zukunft wird nachgerade festgeschrieben.
Es wird nicht in Abrede gestellt, daß die öffentlichen Kassen leer sind und die privaten sich nun massiv zu lehren beginnen. Dringender Reformbedarf besteht. Gar keine Frage.
Aber der Masse der Menschen immer nur das Wenige wegnehmen, was sie noch haben und in den Wirtschaftskreislauf einbringen könnten, bringt keine Nationalökonomie zum Laufen. Es tötet sie ab. Was not tut, sind grundlegende Veränderungen des Wirtschaftssystems, die Entbürokratisierung des Verwaltungsapparates (man nehme Parkinsons Law endlich mal ernst und setze die daraus resultierenden Erkenntnisse um, sofern das auf Dauer überhaupt möglich ist), die Überschaubarkeit und Handhabbarkeit des Rechtes und der behördlichen Bestimmungen für den Einzelnen. Dann, wenn diese Prämissen erfüllt sind, kann man über eine Staatsneuverschuldung reden. Eine neue Nettokreditaufnahme um die Wirtschaft anzukurbeln. Ansonsten verlaufen alle solche gutgemeinten Investitionen im Sande.
Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003