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Herr Mehdorn und die Zugverspätung
B. St. Fjøllfross
Herr Mehdorn tönt! Der Konzernchef
der Deutschen Bahn erklärt den Tausenden verärgerten Fahrgästen
lapidar, in den meisten Fällen sei das doch gar kein Problem, wenn
man „mal“ zehn Minuten später komme.
Die Wetterfühligkeit der Reichsbahn, die suizidalen Saboteure und
all die anderen Störenfriede, die einen pünktlichen Nahverkehrszug
zur Ausnahmeerscheinung erheben, haben im Zusammenhang mit den eklatanten
Fahrpreiserhöhungen zu einem wütenden Aufschrei in allen begleisten
Gauen des Vaterlandes geführt.
Wieder kursiert die alte Geschichte von dem japanischen Reichsbahner,
der im Jahre 1976(?) seinen Shinkansen mit fünf Minuten Verspätung
in den Tokioter Hauptbahnhof einfuhr und ob dieser Schmach gemäß
dem Codex des Bushido Harakiri beging. Nun ja, er soll sich erschossen
haben – aber stellen Sie sich nur vor, Deutschland hinge denselben
rigiden Traditionen an, wie das Reich der aufgehenden Sonne: entlang den
Bahntrassen stünden die Grabkreuze der Reichsbahner – jedes
geziert von einer schönen Mütze mit dem Flügelrad!
Und der vollmundige Meister Mehdorn? Ihm würden wir von Herzen sogar
ein Marmorkreuz gönnen, wenn er denn endlich die Klappe hielte!
In den Zeiten von de facto fünf Millionen Arbeitslosen davon zu schwadronieren,
daß eine zehnminütige Verspätung (z.B. am Arbeitsplatz)
eine Bagatelle sei, zeugt davon, daß dem Manne der Boden unter den
Füßen abhanden gekommen ist.
Wie, wenn seine Sekretärin jeden Morgen zehn Minuten zu spät
das Büro am Potsdamer Platz aufschließt? Wenn ihn sein Chauffeur
einfach mal zehn Minuten später abholt auf dem Weg zum Flughafen?
Nun, quod licet jovi, non licet bovi! (Was für Jupitern gilt, hat
das Rindviech noch lange nicht zu interessieren.) Und spätestens
jetzt kommt natürlich auch das Argument: Aber dann müßt
ihr halt einen Zug früher nehmen, wenn’s pressiert und ihr
wißt, daß es eng wird!
So mit der Freizeit der Menschen umzugehen, ist schlichtweg eine Unverschämtheit.
Fahrplanzeiten zu unkalkulierbaren Richtwerten zu degradieren, kann der
Sinn eines öffentlichen Verkehrsmittels von der Bedeutung der Reichsbahn
nicht sein!
Es ist die schlampige Attitüde, die dahinter steckt. Der Maßstab
der Pünktlichkeit ist die Minute!
Hier aber begegnen wir einem Monopolisten, der glaubt, auf solche Fragen
der Ehre und des Prestiges verzichten zu können. Potentielle Konkurrenten
wie der Connex werden von den Hauptgleisen der Länder einfach mal
heruntergeschmiert, wie wir anderenorts bereits kommentierten. Wozu also
der Kampf um den Kunden, wenn dieser einem ja sowieso ins Haus laufen
muß? So logisch wie diese Haltung ist, so unerträglich ist
sie auch.
Beinahe ungebremst erhöht die Bahn ihre Tarife. Wozu werden denn
die zu erwartenden Mehreinnahmen verwandt? Stellt man dafür fähige
Organisatoren ein, die den Ablauf im Bahnbetrieb optimieren und für
eine exakte Zugfolge sorgen? Oder werden nur wieder Spezialisten für
gehobene Marktschreierei dafür überbezahlt, daß sie dem
Michel auf dem Bahnsteig die neuerliche Tarifanhebung vollmundig als „nur
zu seinem Vorteil“ anpreisen. Mit Slogans und optischen Werbebotschaften,
die an Perfidie kaum noch zu überbieten sind?
Oder spart man aus diesen Mitteln schon mal Herrn Mehdorns Abfindung zusammen,
im Falle er als inkompetenter Spitzenmanager geschaßt wird?
Egal! Fakt ist, daß die Reichsbahn seit jeher eine der wichtigsten
Säulen der deutschen Wirtschaft stellt. Sie ist wohl neben der Reichsautobahn
und den Fernstraßen der bedeutendste Infrastrukturträger für
Personen- und Gütertransport.
Wir verkennen nicht, daß die reibungslose Organisation eines so
gewaltigen und komplizierten, sich ständig in Bewegung befindlichen
und großflächigen Betriebes permanent und tagtäglich einen
enormen Aufwand und ein exorbitant-logistisches Können erfordert.
Was uns stört, sind diese dümmlichen Worthülsen von sogenannten
Leistungsträgern, derer wir seit jenen unseligen Kopper’schen
„Peanuts“ so überdrüssig sind.
Wir verlieren unser Vertrauen in einen solchen Betrieb, von dem auch wir
letztendlich abhängen, wenn wir registrieren, was für Ganzjahreskarnevalisten
dessen Ruder führen.
Was wir wollen, ist eine ehrliche Offenlegung der Schwierigkeiten, mit
denen die Reichsbahn zu kämpfen hat. Und damit ist nicht das gebetsmühlenhafte
Herunterleiern der Schlechtwetterstatistik und der Lebensmüden gemeint.
Verständnis erweckt Verständnis!
Wenn wir die Zusammenhänge erfassen, werden die meisten von uns nachsichtiger
reagieren.
Was uns verprellt, ist der ständige Versuch, offensichtliche Mißstände
abzustreiten, schönzureden, herunterzuspielen, unter den Teppich
zu kehren. Dann noch ein abwiegelnder, stupider Kommentar – und
die Suppe kocht!
Nun lassen sich solche Spitzenvertreter selten etwas raten. Wo kämen
wir da hin? Immerhin sind sie es ja, die es bitteschön an die Spitze
der Gesellschaft geschafft haben. Wenn hier jemand etwas zu sagen hat,
dann sie. Und die anderen haben gefälligst zuzuhören, wenn sich
die erhabenen Großverdiener (besser wäre: Großabsahner!)
sich schon mal vom Olymp herablassen, um den gemeinen Pöbel mit einigen
ihrer Weisheiten zu berieseln. (Das mag die auf oft sehr arrogante Art
vorgetragenen und durch völlige Unkenntnis der realen Sachverhalte
glänzenden, dümmlichen Plattheiten erklären, mit denen
wir dann anläßlich von Pressekonferenzen beglückt werden.
Sollten die Gentlemen allerdings über die Realitäten im Bilde
sein und bewußt ihren Unfug ungestraft zum Vortrag bringen, dann,
ja dann verdiente der Michel nichts als Maulschellen, so er sich das gefallen
ließe.) Nichtsdestotrotz sollten wir es nicht versäumen, diesen
abgehobenen Burschen ihren eigenen Unfug um die Ohren zu hauen.
Damit ihnen mal wieder bewußt werde, was es eigentlich bedeutet,
sich an exponierter Stelle in der Öffentlichkeit zu äußern.
Den alten Römern war das schon klar. Und es war ihnen ein Muß,
sich die Wirkung ihrer Worte im Vornherein zu überlegen, sie gleichsam
dezidiert zu gebrauchen und den Regeln der Redekunst entsprechend aneinanderzureihen.
Nicht umsonst zählte die Rhetorik zu den sieben freien Künsten.
Um so erschreckender ist eben der Anblick eines Blödsinn brabbelnden
Politikers oder Managers, von dessen Entscheidungen möglicherweise
das Schicksal von Hunderttausenden beeinflußt wird – mögen
sie anderenorts ihre Meriten und Fähigkeiten haben, wie sie wollen.
Es war der deutschen Beamtenschaft möglich, einen fähigen Kopf
wie Florian Gerster aus dem Amt des Bundesarbeitsamtspräsidenten
zu kippen, weil er ihnen unzulässig nah auf den fetten, faulen Bojarenpelz
gerückt ist. Dazu reichten ein paar fadenscheinige Vorwände,
die zu Ermittlungen führten. Letztendlich einigte man sich auf die
Sprachregelung, daß das erwähnte Amt ein unbedingtes Vertrauen
erfordere, welches just schon in dem Augenblick unrettbar beschädigt
sei, in dem ein Verdacht geäußert werde. (Merkwürdige
Auffassung von Rechtstaatlichkeit, das!) Wenn aber diese Prämissen
von allgemeiner Gültigkeit sind, dann müßten Leute wie
Herr Mehdorn oder Herr Ackermann knicken wie die Grashalme im Gewittersturm.
Tun sie aber nicht. Sie werden gehalten. Da müßte denn die
Amplitude der nationalen Empörung schon eine satte „8“
auf der nach oben offenen Richterskala zeigen.
Wir sind der Auffassung, daß die von uns so gehaßte Boulevardpresse
wenn, dann hier ihre einzige moralisch gerechtfertigte Existenzberechtigung
besitzt.
Aber machen wir uns nichts vor! Selbst wenn es in Einzelfällen gelingt,
einen solchen Strategen zur Konsequenz des Rücktritts zu zwingen
– was haben wir denn zu erwarten, wenn die Frage des Nachfolgers
gestellt wird? Das Material, aus dem diese Spezies gestrickt ist, ist
immer dieselbe. Austausch an dieser Stelle vermittelt fast immer den Eindruck
von Beliebigkeit.
Es tut also not, die Umgangskultur im allgemeinen wieder den bewährten
Normen anzupassen. Deren Verfall ist ein nur allzu deutlicher Indikator
dafür, wie unendlich scheißegal es den Machthabern der Moderne
geworden ist, welche Resonanz sie in der sie tragenden Bevölkerung
erzielen. Das zu ändern und angesichts dieser Possen nicht in Lethargie
zu verfallen, obliegt ebendieser Bevölkerung! Sonst möchte es
am Ende sein, daß sie zehn Minuten zu spät auf dem Bahnsteig
des Herrn Mehdorn eintrudelt – wenn der Zug nämlich längst
abgefahren ist.
Und wie der Genosse Gorbatschow seinerzeit so treffend formulierte: Wer
zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das gilt im Übrigen auch
für die Reichsbahn, Herr Mehdorn!
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