Gesundheitsreform
- eine Replik -
von Herrn
Fjöllfross
Da
hören wir am 14. Oktober 2003 morgens im Radio, wie sich Frau Schmidt
ereifert. Ja, Frau Ulla Schmidt, die Gesundheits- und Sozialministerin.
Und worüber? Über Herrn Vetter, der da konstatiert, daß
die geplante Gesundheits- und Sozialreform die kleinen Leute unter die
Räder kommen läßt. Sie werden, so Vetter, so peu a peu
von den Segnungen der Medizin ausgeschlossen, weil sie sich die nicht
mehr leisten können und die Kassen die Bezahlung in den privaten
Bereich delegieren. Sie streichen also die teuren Behandlungsmaßnahmen
und Verordnungen aus ihren Katalogen und sagen: „Lieber Patient,
du darfst zwar weiterhin dieselben Beiträge zahlen – wenn
du Glück hast – aber der im Gegenzug dazu von uns getragene
Leistungsumfang nimmt ab!“
Daraus folgt ganz simpel, so Vetter, daß die Leute halt früher
unter die Erde kommen. Unter uns Pastorentöchtern nennt man das
wohl "sozialverträgliches Früh-Ableben". Und das
ist der wunde Punkt, an dem die Frau Gesundheitsministerin getroffen
aufheult. Ein Skandal! Wie der Herr Vetter nur so etwas behaupten könne!
Um Himmels Willen! Das ist ja ein völlig ungerechtfertigtes Horrorszenario
und Panikmache! Das Gegenteil wäre der Fall. Das Reformpaket werde
geschnürt, damit auch weiterhin jedermann versorgt werden könne.
Ja, glaubt eigentlich die Frau den Blödsinn, den sie da zum Besten
gibt? Natürlich, davon bin ich überzeugt. Frau Schmidts Kommentar
entbehrt ja auch nicht jeder Grundlage. Die Geldtöpfe, die zur
Begleichung der Versicherungsleistungen vorgesehen werden, sind beinahe
leer. Und so wie es ist, kann es nicht weiter gehen. Keine Frage. Es
ist hier nicht der Ort, detailliert nach den Ursachen zu fragen. Die
finden wir in der Mentalität, die alle Bereiche der Gesellschaft
in den fetten Jahren der Nachkriegskonjunktur aus dem Vollen schöpfen
und alle glauben ließ, es gehe ewig so weiter. Dieser Raffke derjenigen,
die bis zu den unermüdlich sprudelnden Geldquellen vorgestoßen
sind. Dieses Hantieren mit öffentlichen und nichtöffentlichen
Geldern, als wär’s Monopoly-Geld. Und dieses Geschrei, daß
eine moderne Volkswirtschaft ohne großzügige Kreditvergaben
und – aufnahmen nicht überlebensfähig sei und überhaupt
die ganze Nationalökonomie auf Krediten basieren müsse. Nun
gut, der Karren sitzt fest.
Die großen Pharmakonzerne haben sich nun mal an ihre Umsatzzahlen
gewöhnt, die gesetzlichen Kranken- und Gesundheitskassen an ihre
unüberschaubare Anzahl und ihre meistenteils gewaltigen Verwaltungsapparate,
Paläste und Gehälter. Das alles muß bezahlt werden.
Und wenn man denn auch gezwungen ist zu sparen, dann doch bitte am einzigen
Posten, der ernsthaft zur Disposition steht – nämlich an
den Ausgaben für die Versicherten. Halten die aufgrund dessen im
„teuersten Alter“ nicht ganz so lange die Hand auf –
qui bono? Das klingt zynisch? Na jetzt mal die Frage: Wem ist denn mit
Augenwischerei geholfen? Mit einlullenden Gutenacht-Geschichten? Zum
Teufel mit dem Gefasel! Vetter hat recht! Die Alten und Kranken haben
keine mächtige Lobby. Das ist das Hauptsymptom, an dem sie leiden.
Sie können niemand ernsthaft unter Druck setzen – es sei
denn unter moralischen. Aber wo der Dollar ein Machtwort spricht, da
hat die Moral zu schweigen.
Und Frau Schmidt? Die hat natürlich auch recht. Keiner soll ohne
Almosen von den Türen der Ärzte und Krankenhäuser abgewiesen
werden. Ein Pflaster und eine Aspirin für jeden. Das Händeschütteln
und die Frage des Doktors: „Na, was fehlt uns denn?“ mit
inbegriffen. Aber wenn’s an die wirklich teuren Medikamente geht,
an die aufwendigen und langwierigen Behandlungen, die Kuren und teuren
Diagnostiken – dann, ja dann sieht’s schon anders aus. Da
ist dann die Eigeninitiative gefragt. Zahl oder vergiß es!
Damit die Pharmakonzerne auch weiterhin die Ärzteschaft mit Tonnen
von Werbegeschenken überhäufen und Einladungen zu „Fortbildungen“
aussprechen können, die zumeist nichts anderes sind als gehobene
Kaffee-, Verkaufs- und Werbefahrten.
Damit die Kassen auch weiterhin Parkinsons Law gerecht werden und ihren
Verwaltungsapparat ausdehnen können und schon die mittleren Chargen
sich nicht mit den Alltagssorgen ihrer geringverdienenden Klientel herumschlagen
müssen.
Natürlich
gibt das für die Pharmakonzerne einen häßlichen Einschnitt
in der Gewinnbilanz, wenn gerade die vorzeitig wegfallen, die naturgemäß
der Medikamente am dringendsten bedürfen. Aber seien Sie unbesorgt!
Deren Reserven und Anlagen sind so gut gestreut, daß die wenigsten
schon aus einem gewissen Eigeninteresse heraus anfangen werden, die
Belange der Geringverdiener zu verfechten.
Es
gibt ein gutes Einschlafmittel, das man eher am Kiosk als in der Apotheke
beziehen kann: Einen Groschenroman beispielsweise. Zum Aufwachen empfehle
ich dagegen Heine und Tucholsky und die gelegentliche Benutzung des
eigenen Verstandes. Und es tut bitter not, aufzuwachen. Denn breite
Kreise der Gesellschaft profitieren noch immer vom Dauerdämmer
des Deutschen Michel.
Wenn
nichts mehr da ist, gibt es nichts mehr zu verteilen. Keine Frage. Aber
die Verantwortlichkeiten müssen geklärt und die Schuldigen
gebrandmarkt und – darauf aufbauend – Sicherungssysteme
geschafften werden, die es verantwortungslosen Profiteuren und Schmarotzern
in Zukunft schwer machen, eine solche Misere herbeizuführen. Das
ist das Gebot der Stunde. Und den Leuten reinen Wein einschenken, wie
Herr Vetter. Und nicht dummes Zeug erzählen, wie Frau Schmidt.
Wo man nicht weiß, ob die Frau grenzenlos naiv oder grenzenlos
unverfroren oder gar am Ende beides ist.
(Natürlich
bin auch ich nicht naiv genug, um Frau Schmidt für gelinde gesagt
weltfremd zu halten. Ich bin es gewohnt, hinter der Person auf das Wesen
des Menschen zu achten.) Frau Schmidt ist Politikerin und als solche
hat sie es ziemlich weit gebracht. Zu weit, um jetzt noch politischen
Selbstmord zu begehen. Hauptziel eines formatlosen Politikers ist es,
etwas zu verwalten, nicht zu bewegen. Und wenn das zu Verwaltende nicht
schön ist, dann muß es ums Verrecken schöngeredet werden.
"Die Leute wollen das halt so". Und man will ja schließlich
für die nächste Legislaturperiode wiedergewählt werden.
Großer Gott, wie lange noch gibt sich Deutschland mit einem so
unwürdigen Kasperletheater auf Ohnsorg-Niveau zufrieden...?)
Ihr Fjøllfross