Die Marienkirche auf dem Harlunger Berge

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Die Marienkirche im  Model von 1722

 

Weithin sichtbar ruht der Marien- oder Harlungerberg zu Brandenburg über dem Flußlauf der Havel. Seiner exponierten Lage versuchte die jeweils ortsansässige Bevölkerung seit anderthalb Jahrtausenden Rechnung zu tragen, indem sie ihn seit alters her mit Bauwerken von ebenso herausragender Bedeutung krönte. Die Germanen kränzten den Berg mit einem Heiligtum, das der höchsten Göttin des nordischen Pantheons, Frigga, gewidmet war.

Nach der Völkerwanderung errichteten die nachrückenden Slawen auf der Kuppe des Berges dem dreiköpfigen Gott Triglaf einen Tempel.

Als dann die christlichen Sachsen unter König Heinrich die mächtige Brennabor im Winter 928/929 zu Fall gebracht hatten, begann man unter dem "christianisierten" Wendenherzog Pribislaw-Heinrich einen Vorgängerbau der Marienkirche auf den Platz des geschleiften Tempels des besiegten Wendengottes zu stellen. Das war allgemein gebräuchliches Vorgehen. Wer also zur alten Kultstätte wollte, konnte nicht umhin, die neue zu betreten. So wurde der neue Glaube gründlich verankert. Mit Fest- und Feiertagen tat man im übrigen dasselbe.

Um das Jahr 1220, als in Frankreich schon die Gotik in voller Blüte stand, führten unsere Vorfahren unter Leitung von Bischof Gernand und mit dem Segen und Support des Heiligen Stuhls, auf dem Harlunger Berge eine wunderschöne romanische Basilika auf. Deren Gestalt muß durch das natürliche Podest des Harlunger Berges dem sich nähernden Wanderer gewaltig erschienen sein. Ihr Grundriß entsprach einem gleichschenkligen (griechischen) Kreuz, in dessen Ecken jeweils vier Türme in den Himmel aufragten. Nach Westen zu wurde später, ähnlich wie beim Aachener Dom, ein gotischer Chor angefügt.

Sicherlich hatte die Marienkirche bei weitem nicht die Ausmaße von Kathedralbauten wie Reims oder Chartres. Aber, wie schon erwähnt, wurde das Manko der begrenzten Baukapazität durch den visuellen Effekt mehr als ausgeglichen, den ihr der einsame Berg inmitten einer ebenen Landschaft verschaffte.

 

Der Marienkirche angeschlossen war ein Prämonstratenserkloster. Derselbe Orden war auch in dem unterhalb des Berges, auf der Dominsel gelegenen und dem Dom angeschlossenen Domkloster vertreten. Die frommen Brüder des Heiligen Norbert von Xanten stellten in Brandenburg das Domkapitel.

Es ist nicht anzunehmen, daß das Leben der Prämonstratenser auf dem Berge von Armut und Dürftigkeit gekennzeichnet war. Denn die Marienkirche war eine überregional und weitbekannte Wallfahrtstätte. Und Wallfahrtskirchen, wie zum Beispiel das Wunderblut zu Wilsnack, konnten sich im allgemeinen weder über mangelnden Zulauf noch über knappe Einnahmen beklagen.

Die Marienkirche vom Turm der Gotthardt-Kirche aus gesehen, gemalt von Bürgermeister Simon RotherBlick vom Gotthardtkirchturm vierhundert Jahre später

Die Reformation, die im Jahre 1556 im Land der Kurfürsten von Brandenburg Einzug hielt, setzte dem Zulauf der Pilger ein jähes Ende. Reliquienverehrung und damit verbundenes Pilgertum war katholischer Usus und daher in reformierten Ländern obsolet.

Das Kloster wurde "leergezogen", die Anlage und mit ihr die wunderschöne Kirche dem Verfall preisgegeben. Für die Stadt Brandenburg sollte sich der Übertritt zum Protestantismus als fatale Entscheidung erweisen. Wurde doch die Stadt eines weithin sichtbaren Werbeträgers beraubt, der Jahrhunderte lang das markanteste Wahrzeichen im Weichbild der Stadt war. Sozusagen das Empire State Building Brandenburgs.

Beinahe jeder Brandenburger wird wohl bejahen, daß der Anblick dieses wunderschönen und aus der gewöhnlichen Form abstechenden Gotteshauses weit sehnsüchtigere und begehrlichere Blicke von vorüberfahrenden Reisenden, beispielsweise von der nahen Autobahn aus, auf sich ziehen würde, als dieses architektonisch verunglückte Gestell von "Friedenswarte".

Doch ehe an Autobahnen zu denken war, nämlich im Jahre 1722, dachte König Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, erst einmal an das Nächstliegende. Die Kirche stand fast zweihundert Jahren leer, war im Laufe der Zeit zu einer trostlosen Ruine verkommen und wurde heimlich von der Brandenburger Bevölkerung als Steinbruch benutzt. Zudem war sie zum Unterschlupf für lichtscheues Gesindel geworden und für die Seelsorge standen der Brandenburger Stadtbevölkerung ausreichend anderer Kirchenraum zur Verfügung. Der König brauchte in Potsdam ein Militairwaisenhaus. Oberst von Massow, seines Zeichens Chef der königlichen Leibgarde "Lange Kerls", reklamierte für sich in der Altstadt eine repräsentatives Wohnhaus. Im Zeichen dieser denkbar ungünstigen Konstellation gab ein Oberst von Pini - der Teufel soll ihn holen- dem König den Rat, die Kirche vollends abzubrechen und die Steine zu verwenden, ehe ihm seine Untertanen die Steine vor der Nase wegschnappten. Für solche Vorschläge hatte der Alte immer ein offenes Ohr und so gab er kurzerhand Order, die Kirche niederzulegen und die gewonnenen Steine über die Havel nach der Residenz zu schaffen.

Am 20.April 1722 (der Tag verdiente es wahrlich, aus dem Kalender entfernt zu werden) wurde der Abbruch begonnen.

Ein paar Steine wurden denn auch der Stadt Brandenburg zugestanden. Von Massow verwandte sie spornstreichs zum Bau des Frey~Hauses, welches so heißt, weil es seines Bewohners wegen von Grundsteuern befreit war. (Es ist das heutige Museum in der Ritterstraße.) Keine Steuern, billiges Baumaterial - von Massow verstand es, in guter Funktionärstradition zu leben. Aber dennoch - die Mehrzahl der noch brauchbaren Steine - soviele sollen es gar nicht gewesen sein - gingen per Lastkahn nach Potsdam.

Und so kommt es, daß noch einmal fast zweihundert Jahre später mir im Angesicht des Großen Potsdamer Militairwaisenhauses die Tränen in den Augen stehen. Die Kirche war ein Juwel. Und um dieses Juwel betrogen zu werden, das hat Brandenburg nicht verdient.

Hätte der hochlöbliche Magistrat zwanzig Jahrzehnte hindurch auf die Kirche und die angrenzenden Klosterbauten ein Auge gehabt, sie in der Zeit nach der Reformation einer Nutzung zugeführt, der Abriß wäre ihr sicherlich erspart geblieben. Denn an intakten Gotteshäusern vergreifen sich höchstens Kommunisten, keine preußischen Könige von Format.

Selbst Hohenzollern von geringerer Bedeutung, wie der Romantiker auf dem Thron Friedrich Wilhelm IV. verhielten sich dem kulturellen Erbe gegenüber moderater. Dieser König trug sich mit dem Gedanken, die Marienkirche wieder auferstehen zu lassen. Hätte er mal...So aber wurde der Kölner Dom unter eben diesem Herrscher vollendet. Die Marienkirche zu Brandenburg jedoch blieb was sie war - verschwunden!

Für Brandenburg eine Katastrophe: Denn gerade heute hätte dieses Kleinod, richtig ins Licht gesetzt, Geld in die Brandenburger Stadtkasse gespült.

 

Resümierend läßt sich sagen, daß der Marien- oder Harlungerberg, seit seine Anlieger auf die Idee kamen , ihn zu bebauen, zum Tummelplatz derer wurde, die meinten, die architektonischen Zeugnisse ihrer Väter und Mütter restlos vernichten zu müssen, um ihren eigenen Kram draufzusetzen. (Emanzipationsbestrebungen der nachfolgenden Generationen?) Gleichviel. Man ließ fortwährend eine neue Zeit anbrechen in der alles, alles besser werden sollte:

  • Der Triglaftempel mußte einer christlichen Kirche weichen.
  • Diese ließ man verfallen, weil der Weg zum Himmelreich plötzlich andersherum verlief.
  • Dann krönten ein Kriegerdenkmal und eine Bismarckwarte den Berg. Letztere paßte sich unaufdringlich in die Landschaft ein.
  • Und als die Ausgebeuteten nun im Besitz der Macht waren und ungestraft feststellen konnten, daß die toten Krieger und die Bismarcks den Klassenfeind repräsentierten, siehe - da mußte auch die Bismarckwarte weichen und Brandenburg wurde dieses trostlose Turmmonster übergeholfen.

Es ist wohl nicht zu ändern. Aber von all den Bauwerken, die diesen eminenten Punkt in der Landschaft je besetzten, war wohl die Marienkirche das gelungenste, das schönste, das anziehendste.

Die Marienkirche von Süden

 

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003