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Taiko
Yoshikawa Eiji
Akinokawa Michi san
„Ein Roman“ steht auf
dem Umschlag dieses 860 Seiten starken Wälzers geschrieben. Nun,
„Roman“... irgendwie haben wir Westeuropäer eine andere
Vorstellung von einem Roman. Lyrisches Geschichtsbuch von immenser Detailfreudigkeit,
Biographie, Lehrbuch für Politik und japanische Geschichte der Zeit
der kämpfenden Reiche – diese Attribute könnte man dem
epochalen Werk von Herrn Yoshikawa eher zuschreiben.
Wer es von der ersten bis zur letzten Seite durchgeackert hat, der kann
sich selbst wohl einen Samurai der Literatur nennen – denn er hat
fürwahr einen harten Kampf gekämpft.
Nicht das es sich trocken lesen würde. Dennoch, die endlose Aufzählung
historischer Personen, Burgen, Schlachtfelder, Truppenbewegungen, Verhandlungen
– das alles hat wenig Romanhaftes und ist etwas ermüdend, wenn
man im Lesen Kurzweil und Zerstreuung sucht.
Ganz hervorragend aber ist das Buch geeignet, wenn man die zwischenmenschliche
Dynamik erforschen möchte, die man gemeinhin „Politik“
nennt. Sie ist wahrhaft ubiquitär! Gemessen an ihren Regeln und Mustern
sind die regionalen Unterschiede zwischen dem Feudalismus Alt-Japans und
dem anderer Länder und Erdteile vernachlässigbar. Ganz im Gegenteil
mutet das historische Szenario, welches Herr Yoshikawa vor unseren Augen
entwirft, erstaunlich modern an. Mit anderen Worten: Wer den „Taiko“
gelesen hat, der versteht, wie es zugeht in Politik und Wirtschaft. Der
versteht, wie unsinnig das pseudowissenschaftliche Geschwafel der Kommunisten
von den zukünftigen Weltordnungen der Gleichheit unter den Menschen
ist. Der Nackte Affe organisiert sich immer und immerdar nach feudalen
Grundprinzipien und selbst der Kapitalismus und der Imperialismus sind
nur Spielarten dieser Gesellschaftsordnung. Sicher, die Faktoren, welche
das Wesen der jeweiligen Gesellschaft determinieren, ändern sich.
Land wird als Zahlungsmittel gegen Geld ausgetauscht, Geschenke gegen
Vergnügungsreisen.
Koalitionen, Verträge und Vertragsbrüche, Unterstützung
und Bekämpfung – all das mag heutzutage in etwas sublimeren
Gewändern einher kommen. Aber es doch ewig dasselbe. Eben darin liegt
die große Bedeutung des Romans „Taiko“.
Historische Abhandlungen werden meist nur von einem engen Personenkreis
gelesen und diskutiert. Biographien geben selten ein komplettes Bild der
Persönlichkeit im Kontext ihrer Umgebung ab. Lehrbücher entbehren
in aller Regel der Wucht farbiger und lebendiger Darstellung. Dieses Buch
aber vereinigt all diese Eigenschaften in sich. Vergleichbar ist unseres
Wissens eventuell das Buch „Mazarin“ von Paul Guth. (Der Landbote
berichtete.) Dennoch – um es mit Freude und Genuß zu lesen,
sollte man sich im Vorfeld mit der japanischen Welt, der Geisteshaltung,
der Sitten und Gebräuche, der Geschichte und dieser fernöstlichen
Hochkultur im Allgemeinen auseinandergesetzt haben. Sonst bleibt vieles
unverständlich.
Wer den „Taiko“ liest, der wird, wenn er denn verstanden hat,
mit Röntgenaugen hinter die Kulissen der Politik zu schauen befähigt
sein, wie dicht diese auch immer gesponnen sein mögen. All die Lügen,
Schönrederei, Schönfärberei, all das Gespinst, das verschleiernd
die wahren Aktivitäten von Politikern und Wirtschaftskapitänen
an den Schalthebeln der Macht bemänteln sollen, schwinden zwischen
den Zeilen dieses Werkes der Weltliteratur dahin, wie der Nebel in der
Morgensonne.
Es tut dem Ganzen auch kaum Abbruch, daß sich der Autor doch sehr
parteiisch den Oda, Fürst Hideyoshi selbst und dessen Nachfolger
Tokugawa Ieasu empfiehlt, obgleich doch alle drei Geschlechter zur Zeit
der Niederschrift des Romans keine Rolle mehr spielten.
Es ist wohl das Erbe, diese großartige Hinterlassenschaft der drei
Männer Oda Nobunaga, Hideyoshi und Tokugawa Ieasu, welche diese Personen
in der Rückschau über jeden Zweifel erhaben sein läßt.
Sie wurden alle drei vergöttlicht und Herr Yoshikawa wird den Teufel
tun, an diesen Denkmälern herumzukratzen. Seine japanische Leserschaft
würde ihm das nicht verzeihen. Und obgleich der Autor auch für
die ehemaligen Gegner der drei Reichseiniger lobende Worte findet, so
für den legendären Shingen Takeda, so kommt doch eine nicht
unerhebliche Unwucht in die Erzählung. Trotz der immensen Detailversessenheit
will man Herrn Yoshikawa nicht mehr so recht einen übermäßigen
Hang zur Objektivität zutrauen. Das ist ein wenig schade. Aber es
trübt unseren Gesamteindruck von diesem Buch nur unerheblich.
Wie viele der vom Landboten besprochenen Werke der Literatur wird auch
dieses niemals auf den Bestzellerlisten landen. Aber gerade das dünkt
uns ein Zeichen seiner überragenden Qualität.
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