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„Vom
Trümmerberg bis Hohenstücken –
Wohnungsbau und Stadtentwicklung in Brandenburg an der Havel
von 1945 bis 1990“
K. K. Bajun
Nach einer beinahe endlosen, nicht
von ihm zu verantwortenden Verzögerung legte der Arbeitskreis Stadtgeschichte
im Brandenburgischen Kulturbund e. V. der Stadt Brandenburg an der Havel
nunmehr seine vielleicht bedeutendste Publikation vor: Das Buch „Vom
Trümmerberg bis Hohenstücken – Wohnungsbau und Stadtentwicklung
in Brandenburg an der Havel von 1945 bis 1990“.
Um es vorweg zu sagen: Brandenburgs Literaturlandschaft ist um ein ernst
zu nehmendes wissenschaftliches Standardwerk bereichert worden, welches
dem legendären „Stahl und Brennabor“ der Neunziger Jahre
des letzten Jahrhunderts mit Sicherheit auf Augenhöhe begegnen kann.
Hochkarätige, an der damaligen Stadtentwicklung der Chur- und Hauptstadt
maßgeblich beteiligte Autoren geben in 10 Kapiteln einen Überblick
über das Aufbaugeschehen nach dem Kriege, die geplante und geträumte
Stadtgestaltung sowie die Erweiterung der Wohnfläche innerhalb des
Stadtgebietes um zwei neue Stadtbezirke. Zu Tage kommen hochinteressante
und an keiner anderen uns bekannten Stelle so konzentriert zusammengefaßte
Einsichten in das Denken, die Entscheidungsprozesse und das Handeln der
Funktionäre und Ingenieure, die der Stadt Brandenburg in der überaus
schwierigen Nachkriegszeit nicht nur ein neues, lebensfreundliches Antlitz
sondern darüber hinaus die alte Bedeutung als international bekannten
Industriestandort verleihen wollten.
Daß einige im Kontext der Zeit gefaßte, heute als abenteuerlich,
seelenlos und geradezu horribel aufgefaßte Planungsentwürfe
der sozialistischen Baukultur ernsthaft zur Diskussion standen, die letztlich
nur durch die permanente Finanzknappheit der größten DDR der
ganzen Welt keine Umsetzung erfuhren, läßt im interessierten
Leser jenes Gefühl aufkommen, welches den berühmten Reiter vom
Bodensee einst einen Herzkasper erleiden ließ. Man liest, betrachtet
die Entwurfsskizzen – und wischt sich die Schweißtropfen von
der Stirne.
Interessant sind die über die Jahrzehnte währenden Anläufe
dokumentiert, die trostlose Mitte der Neustadt Brandenburg an der Havel
zu revitalisieren. Dieses Zentrum wurde in den letzten Kriegstagen im
April 1945 vollkommen sinnlos ausradiert. Später umwucherten immer
monströsere Baukörper die traurigste und tiefgreifendste Narbe
der Brandenburger Innenstadt. Der zentrale Platz der Neustadt seit ihrer
Gründung im ausgehenden 12. Jahrhundert aber, das Herz der Stadt,
das blieb leer. Einen Parkplatz für Automobile mußte die Fläche
des zerstörten und abgetragenen Neustädtischen Rathauses gar
beherbergen. Nach 1990 entstand an just dieser Stelle das berüchtigte
Loch, welches Brandenburg an der Havel erneut – dieses Mal in negativer
Hinsicht – international exponierte. Zwei Gesellschaftssysteme und
beinahe sechs Jahrzehnte wagten nicht, der alten Havelmetropole ein neues
Herz einzupflanzen. Sogar der an dieser Stelle beinahe plastisch gefühlte
Horror Vakui war bis dato nicht Agens genug, trotz guter Ideen mit Herz
und Hand die schlimmste Wunde der Stadt zu heilen. Vielleicht ist das
auch ein Stück weit gut so, denn wie man an Bebauungssünden
anderen Ortes bemerkt, beispielsweise auf dem prominentesten Ort der Stadt,
dem Marienberg, sind Katastrophen, einmal in Beton gegossen, kaum noch
zu korrigieren.
Berichtet wird von den hohen Ansprüchen, welche die Planer des Sozialismus
in Bezug auf die Wohnqualität der Werktätigen definierten. Vieles
mußte mangelnder Finanzierbarkeit wegen in abgespeckter Version
ausgeführt werden. Soziodynamische Effekte, welche das Leben in Plattenbausiedlungen
verglichen mit dem Wohnen in funktionell und organisch gewachsenen Innenstadtbereichen
unterscheiden, waren oftmals unzureichend erforscht oder in ihren gedachten
Auswirkungen von erheblichem Wunschdenken beeinflußt. Diese hehren
Vorstellungen aber mußten hinter den Grenzen der Bezahlbarkeit zurückstehen.
Zuerst kam das Wohnen – dann die Kultur. Doch die kam am Ende oftmals
gar nicht. Geplante gesellschaftliche Zentren, wie sie in Brandenburg-Nord
noch ansatzweise umgesetzt wurden, blieben in Hohenstücken auf der
Strecke. Das Fehlen einer kulturellen Infrastruktur, zu der auch Lichtspielhäuser,
Theater, Parks oder Bummelmeilen gehören, verwiesen Hohenstücken
auf den Rang einer Trabantenstadt. Zu DDR-Zeiten wurde dieser Nachteil
sicher noch massiv von den modernen und bequemen Wohnungen aufgewogen.
Mit den Möglichkeiten der Nachwendezeit jedoch und dem damit verbundenen
großflächigen Wegzug eines sozial starken und leistungsfähigen
Personenkreises, stürzten die ehemaligen „Arbeiterschlafregale“
endgültig in ein tiefes Loch. Diesem Prozeß entgegenzusteuern
hat sich auch das Baubuch in seinem 5. Kapitel mit besonderer Sorgfalt
gewidmet, indem es die hingebungs- und planvolle Aufbauarbeit nachzeichnet,
welche in ihren Ergebnissen eben nicht das Klischee eines saloppen, auf
die grüne Wiese geklatschten „Proletenghettos“ verdient.
Gegenteilig zur heute weit verbreiteten Auffassung wurde – und das
streicht das Buch eindrucksvoll hervor – in der sozialistischen
Epoche der Domstadt Großartiges geleistet, um die alte Metropole
der Mark an die Erfordernisse eines modernen Zeitalters heranzuführen.
Man beachte die gewaltigen Anstrengungen bezüglich der infrastrukturellen
Aufwertung. Die DDR schuf die Bahnüberführungen am Altstadt
Bahnhof und an der Potsdamer Straße, um die Stadt von dem unseligen
Ruf als „Schrankenburg am Sabotagebalken“ zu entlasten. Der
westliche Stadteingang vom Quenz bis hin zum Altstadt Bahnhof wurde zu
einer leistungsfähigen vierspurigen Magistrale erweitert. Die Umgehungstangente
West wurde gebaut, eine weitere Brücke über die Havel geschlagen.
Die reiche Bundesrepublik hingegen kann im nunmehr 18. Jahr der Deutschen
Einheit noch immer nicht mit einer Lösung an den verbliebenen Problemübergängen
Wust, Gollwitz, Göttiner Straße und Gasthaus an der Plane aufwarten.
Das Umfeld des Brandenburger Hauptbahnhofes präsentiert sich weiterhin
als abweisende und touristenfeindliche Struktur, welche die „Stadt
im Land“ beinahe noch suffizienter vor Besuchern schützt, als
es die mittelalterliche Stadtmauer je vermochte. Insofern gibt das Baubuch
auch unterschwellig und unausgesprochen eine Antwort zu der vom Westen
so häufig aufgeworfenen Frage der Leistungsfähigkeit zweier,
diametral verschiedener Wirtschafts- und Organisationssysteme. Wenn auch
die freie Marktwirtschaft letztlich über das Prinzip der Planung
obsiegte, so sind doch nach der Lektüre des Buches und einem Blick
in die Realität gewisse Aspekte nicht von der Hand zu weisen, die
einem straff geführten Zentralismus durchaus eine bemerkenswerte
Effektivität attestieren.
Eine andere sozial gewichtige Komponente fällt bei der Lektüre
des Baubuches ebenfalls auf: Während Freilichtbühne und Volksbad
unter reger Anteilnahme der Bevölkerung errichtet wurden und somit
viele Menschen bei einem Besuch dieser Einrichtung ein starkes „Das-ist-unser“-Gefühl
hatten, wird das heutige Marienbad bei sicherlich gleicher Frequentierung
nurmehr als Dienstleister begriffen – zu welchem über die Ware-Geld-Beziehung
hinaus keine innere Bindung mehr aufgebaut wird. Auch darüber läßt
sich einiges zwischen den Zeilen des Baubuches lesen.
Umso erschütternder ist eine tragisch zu nennende Konstellation,
die mit dem Baubuch eng verbunden ist. Ein finanzieller Engpaß des
herausgebenden Arbeitskreises Stadtgeschichte machte die Suche nach einem
Sponsoren unumgänglich, der sich bereit fand, Satz- und Druckkosten
zu tragen. Den Autoren und Redakteuren, die eine ungeheure geistige Leistung
zu stemmen hatten, war diese Belastung nicht auch noch zuzumuten. Das
Werk richtet sich an die Bewohner Brandenburgs und als repräsentative
Synopsis des DDR-Baugeschehens am Beispiel einer mitteldeutschen Industriestadt
gleichsam an ein Fachpublikum. Insofern fand sich das europäisch
geförderte Bund-Länder-Projekt „Die soziale Stadt“
dankenswerter Weise bereit, diese Herausgabe des Baubuches zu unterstützen.
Der Pferdefuß aber lauerte im Detail. Mit dieser Förderung
verband sich die Prämisse, das Buch kostenfrei an die Leserschaft
abzugeben. Honorig sicher und konsequent gedacht von den Projektmittelbewilligern,
die ja davon ausgehen, daß ein Buch, welches aus Steuermitteln der
Bevölkerung erstellt wurde, von dieser nicht über einen Verkauf
ein zweites Mal bezahlt werden sollte. Dabei wird aber übersehen,
daß das Buch nur zum Teil – eben nur was die Druck- und Satzkosten
betrifft – aus Fördermitteln bezahlt wurde. Bezüglich
ihrer immensen geistigen Arbeit, ihres zeitlichen Arbeitsaufwandes und
aller damit verbundenen Kosten aber wurden die Autoren und begleitenden
Mitwirkenden quasi in einem Abwasch zu einer Art Ehrenamt verdonnert –
ob sie das nun im Sinne hatten, oder nicht.
Man hätte diesem Problem sicherlich mit einigem guten Willen insofern
begegnen können, als man den Preis des Buches, das auf dem freien
Markt vermutlich nicht unter € 30,- verhandelt werden würde,
zur Hälfte dieses Preis in den Verkauf gibt.
Zudem ist es jedem gemeinnützigen Verein gestattet, Gewinn zu erwirtschaften,
insofern er diesen eins zu eins wieder ins Tagesgeschäft sticht.
Genau das war an dieser Stelle angedacht. Der Erlös sollte die Erstellung
der Heimatkundlichen Blätter des Arbeitskreises Stadtgeschichte absichern
– womit die allerorten geforderte Nachhaltigkeit des Projektes einen
starken und belastbaren Akzent erfahren hätte.
Alles in allem ist die reichbebilderte und auch mit einem 16seitigen Farbteil
ausgestattete, auf gutem 115g/m² schwerem Papier bedruckte Ausgabe
der 1. Auflage allen Brandenburgern und an der Stadt interessierten Gästen
sehr zu empfehlen. Sollten sich die Leser des Buches zu einer Spende für
den Arbeitskreis Stadtgeschichte berufen fühlen, so seien sie hiermit
dessen versichert, daß sie mit einer solchen – übrigens
steuerlich abzugsfähigen – Geste dem Werke eine angemessene
Würdigung zuteil werden lassen.
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