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„Adressat unbekannt“
– ein Briefroman aus dem Jahre 1938
von Frau Kressmann Taylor

B. St. Fjøllfross
Einer schlug zurück! Einer hat sich gewehrt. Einer hat sich nicht abgefunden. Max Eisenstein hieß er und Jude war er. In San Francisco betrieb er eine ausgezeichnete Kunst-Galerie mit seinem Freund Martin Schulse. Aus welchem Grunde dieser Geschäftspartner die Galerie aufgab und die U. S. A. verließ, erfahren wir nicht. Nur, daß er 1932 nach Deutschland zurückkehrte, nach München genauer gesagt. In der Zeit, da das Reich noch bis zum Hals im Dreck stak und an den Reparationen des Ersten Weltkrieges zu ersticken drohte, kehrte Martin Schulse als liberaler und feinsinniger Mann nach Deutschland zurück. Er kaufte das Schloß Rantzenburg. Dreißig Zimmer und ein vier Hektar großer Park. Als Schulse einzieht, ist er noch unverseucht von den Ideen, die kurze Zeit später wie ein bösartiger Virus das Reich und eine Vielzahl seiner Bewohner befallen. Er beobachtet, ist etwas distanziert. Wer dieser Herr Hitler ist… Nun ja, wer kann das wissen. Warten wir’s mal ab.
Noch heißt es in den Briefen, die kreuz und quer über den Atlantik gehen: „Max mein treuer alter Gefährte“ und „Mein lieber Martin“. Doch bald wird der Ton frostiger. Martin, der Arier, zieht sich zurück, beginnt von der großen Zukunft des Reiches zu träumen, nimmt eine distinguierte Stellung in der nationalsozialistischen Verwaltung an, positioniert sich in der gehobenen Gesellschaft des braunen Staates. Nein, er meint den Juden Max, seinen alten Gefährten, Freund und Geschäftspartner nicht persönlich, aber die jüdische Rasse – igitt! Eine Schande ist diese Rasse für jede Gesellschaft, die Juden beherbergt – so deklamiert er das dümmliche Gesülze der braunen Pest. Erklärt Max gar, warum die Juden immer wieder Ziel von Pogromen werden, diese saft- und kraftlose Rasse, die sich nie wehrt.
Eine hat sich auch nicht gegen diesen Schweinehund gewehrt, hat ihn gar mal geliebt, hat sich ihm hingegeben. Das war Griselle, Maxens kleine Schwester, durch und durch Jüdin, Schauspielerin in Wien. Max fürchtet um sie, impulsiv wie das Mädchen nun mal ist. Er beschwört sie, sich aus der Gefahrenzone zu retten solange es noch Zeit ist. Doch sie hört nicht. Martin soll der ehemaligen Geliebten beistehen. Er ist doch jetzt in Deutschland, hat Geld, Macht und Einfluß. „Martin, um Himmels willen…!“
Bis ein Brief an Griselle mit dem Vermerk „Adressat unbekannt“ zurückkommt. Martin liefert in kaltem Ton die Erklärung: Ja, Griselle wäre in der Reichshauptstadt aufgetreten, hätte in törichtem Stolz gegen das sie als Jüdin ausbuende Publikum gerade mit ihrem Judentum aufgetrumpft, hätte flüchten müssen und – ja – sie hätte sich zu ihm, Martin, geflüchtet. In seinen Park, vor seine Tür. Die SA auf den Fersen. Was hätte er, Martin, denn tun können? Die Familie, die Karriere, so was kann man doch nicht aufs Spiel setzen. Na ja, die SA hat sie halt erschlagen und Martin am nächsten Tage ihre Beerdigung besorgt. Und übrigens, Max möge doch jetzt die Korrespondenz einstellen. Die Gestapo liest mit, fordert Martin gar aufs Amt. Zu sehen bekommt er die Briefe gar nicht, muß sich aber für sie rechtfertigen. So geht das nicht. Das gefährdet seine Stellung, sein Fortkommen, seine Familie.
Und Max, Jude, hältst du still, akzeptierst du? Findest du dich ab mit dem Tod der geliebten Schwester? Bist du saft- und kraftlos, wie Martin es deinen Leuten vorhält?
Max schreibt weiterhin Briefe. Aber jetzt haben sie einen anderen Ton, einen anderen Tenor. Ganz freundlich sind sie, ganz nett und liebenswürdig, „Lieber Martin“, und: „…sei von uns allen ganz lieb gegrüßt…“, und was er schreibt, das läßt einem das Blut in den Adern gefrieren. Keine Beschimpfungen, keine Vorwürfe, nichts dergleichen. Er schreibt sich nicht den Schmerz von der Seele, klagt nicht an. Ein paar nette Grüße, ein paar sublime Belanglosigkeiten, die sich aneinandergereiht lesen wie codierte Anweisungen für Operationen einer jüdischen Widerstandszelle. „Wir schließen Dich in unsere Gebete ein, lieber Martin.“
Und der? Was macht unser Arier? Wie reagiert er? Der knallharte Übermensch wird weich, winselt, jammert, bettelt, beschwört die alte Freundschaft. „Maxl, um Himmels Willen hör doch auf! Die Gestapo, die Konzentrationslager, das Erschießungskommando, meine Familie…!“ Maxl schreibt ungerührt weiter. Ein, zwei Briefe noch, dann – Volltreffer: Der letzte vom 3. März 1934 kommt zurück, „Adressat unbekannt“. Heil Hitler, Martin! Um vier Monate hatte der Schurke den Verrat überlebt, dann wurde er selbst das Opfer des mörderischen Systems, das er so lautstark bejubelte. Der Jude hatte zurückgeschlagen, hat sich gewehrt, mit Worten nur – geformt von seinem Verstand, dem einzigen Rohstoff, über den das geschundene Judentum seit Jahrhunderten in beinahe unbeschränktem Maße verfügen durfte: Verstand. Die Briefe, diktiert von diesem überragenden, messerscharfen Grips, wurden zur tödlichen Waffe für die Henker.
Man sagt, des Jahrtausendgenies und Juden Einsteins Relativitätstheorie hätte nur wenige Seiten umfaßt; der „Dr. med. Hiob Prätorius“ des Curd Goetz ist auch nicht viel dicker. Es gibt anscheinend große Geister, die unendlich viel in wenige Worte zu verpacken vermögen, die ein ganzes Universum in wenige Pinselstriche bannen. Wie die alten japanischen Maler und Haiku-Dichter. Frau Kressmann Taylor muß man dieser Riege der Erwählten wohl zurechnen. Man hat vorher nichts und nachher nicht mehr viel von ihr gehört. Eine Eintagsfliege? Mitnichten: eher eine literarische Supernova, an deren Aufleuchten man sich noch lange, lange erinnern wird.

 
B
5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008