Baaks

zurück zum Landboten

 

zurück zur Stammseite "BÜCHER"

 

Mariechen saß weinend im Garten
Aus der Reihe „Märkische Leselust“ am Brandenburger Theater

Kotofeij K. Bajun
Ein Jüngling liebt ein Mädchen. Sie ihn aber nicht. Er bringt sie um. Die Gerichtsbarkeit wird seiner habhaft und schickt ihn ihrerseits aufs Schafott. Zwei junge Leben ausgelöscht. Das Publikum lacht…
Halt mal, wie war das eben? Ja, ja, Sie lasen richtig – das Publikum lacht. Ich sehe Sie erbleichen, verehrte Leserin, verehrter Leser. Man treibt zu Brandenburg an der Havel Scherz mit dem Entsetzen?
Nein, nicht doch, fassen Sie sich. Wir reden hier von einer Moritat – vorgetragen in der Reihe „Märkische Leselust“ am Sonntag dem 06. April 2008 im Großen Foyer des Brandenburger Theaters.
Wir würden uns gerne schmeicheln, daß das Publikum unsere Appelle, diese Kulturinstitution doch ja nicht zu versäumen, gehört und befolgt hat. Doch rasch sei der unverdiente Lorbeerkranz denen zugereicht, deren Häupter er in Wahrheit zieren muß: einem Sextett, das uns einen wundervollen Frühlingssonntagnachmittag bescherte, bestehend aus – Sie ahnen es – unserem Hans-Jochen Röhrig, Frau Rita Herzog am Klavier, den Damen Nadine Schori und Gabriele Näther und den Herren Moritz Führmann und Frank Bettinger.
Da schreibt der Leiter dieser Reihe „Märkische Leselust“ auf den Flyer der Veranstaltung: „Was wir von der Sonne lernen wollten: wenn sie kommt, dann strahlt sie.“ Wir wollen das etwas abwandeln, lieber Herr Röhring: „Wenn Sie und Ihre Truppe kommen, dann strahlt ihr Publikum.“ Ein an diesem Nachmittag geschätzte 150 Seelen starkes Publikum! Ein einziger Stuhl blieb frei. Muß man mehr sagen…?
Man muß nicht. Aber wir wollen die Feder nicht aus der Hand legen, ohne Frau Näthers Sopran unsere Referenz zu erweisen. Hatte nicht Udo Lindenberg in seinem Liede über Elli Pirelli vom Regensburger Opernhaus das Wort vom Orkan-Organ geprägt? Er hat. Und hätte er nicht, spätestens hier wäre die Zeit dieser Wortschöpfung gekommen. Diese Stimme, herrlich und geschult, brauchte keine Mikrophone, sowenig wie der wohltönende Baß Herrn Führmanns. Aber wir greifen vor. Natürlich sollten wir zunächst erzählen, worum es überhaupt ging. Gehört sich schließlich so. „Mariechen saß weinend im Garten – Küchenlieder und -gedichte, Texte aus der „Gartenlaube““ – diesem Motto hatte Herr Röhrig die Aprilvorstellung anheim gegeben.
Die „Gartenlaube“…, hmm! Lassen Sie uns mal in den Erinnerungen kramen! Da war doch mal was. Richtig, da haben wir es: Vater Tucholskys Märchendrache aus den „Träumereien an preußischen Kaminen“ las die „Gartenlaube“ und die Eschstruth, die Marlitt, den Scheler und den Sombart und H. St. Chamberlain „und war seitdem etwas wirr im Kopf, aber sonst ein stattlicher alter Herr…“
Also von daher. Und genauso, genau in diesem Sinne übersetzte das Ensemble die Beiträge, die es diesem vor hundert Jahren weitverbreiteten Magazin entnommen hatte. Jetzt dürfte klar sein, warum ein permanentes Gekicher und Gelächter durch das Publikum hindurchwehte. Hoffentlich lachen unsere Urenkel nicht eines Tages in dieser Manier über uns! Diese Melange von Bänkelsang, Moritaten, Kochrezepten, Leserbriefen, Anzeigen, Grabsprüchen und mehr oder minder intelligenten Witzen – vorgetragen mit einer bierernsten Albernheit – gibt es schon eine Karl-Valentin-und-Lisl-Karlstadt-Medaille? Diese sechse hätten sie verdient, weiß Gott. Da flirrte unsere geliebte Nadine Schori über die kleine Bühne, manchmal ganz in persona, manchmal nur mit den Augen, den unergründlich tiefen braunen, die nur für sich genommen ausreichen würden, die XVII., XVIII. und XIX. Legion des Publius Quinctilius Varus in sich vergehen zu lassen – Arminius hätte keines Teutoburger Waldes bedurft, hätte Heldengattin Thusnelda diese Augen, dieses Temperament, dieses Talent besessen.
Just das ist die Essenz, die ein alter ermüdeter Faun braucht, um aufzuwachen und wieder voller Neugier auf die plätschernde Schönheit dieser Welt zu blicken. Die Herrn Röhrig, Führmann und Bettinger setzten die maskulinen Kontrapunkte zu dem verspielten Treiben, das doch so viel Kunst, so viel Können in sich barg. Und wenn Frau Herzog von ihrem wuchtigen Instrument doch oft völlig unverdient in die Außenposition abgedrängt wird – hier konnte sie sich mit einbringen und offenbarte, daß sie noch weitaus mehr kann, als dem Piano die lieblichen und die schalkhaften Töne zu entlocken. Schaurig geht es zu in den Texten der Couplets und das Publikum lacht und klatscht und lacht und klatscht.
Meinen Notizzettel bemühe ich vergebens: Als ich schreiben wollte, kullerten Tränen über die Wangen, der Bauch wackelte, die Hand weigerte sich zu gehorchen. Dennoch, irgendwas kann ich entziffern: Wie es den Mimen nur möglich ist, bei ihrem Vortrag selbst mit ernster Mine – ein ganz klein wenig karikiert nur – dreinzublicken… Wie diese Truppe das Publikum mitreißt und alle Sinne an den sechsen kleben… Wie sie Akzente setzen gegen den alltäglichen immer flacher werdenden „Humor“ aus den sogenannten TV-Sitcoms…Wie es einfach nur schön ist, diesem kunstreichen Spiel zu folgen…
Ein paar Stunden vor der „Märkischen Leselust“ hatte das heimische Kulturradio zu einer Matinee ins Altstädtische Rathaus geladen. Junge Musici im Alter zwischen 13 und 18 Jahren von begnadetem Talent brachten ihre Stücke zum Vortrag. Es war wirklich sehr beeindruckend. Dennoch, den jungen Künstlern fehlte noch etwas: Anscheinend glaubten sie allesamt, mit ihrer Profession einer tiefgreifenden Seriosität verpflichtet zu sein und so standen sie denn vor ihren Zuhörern wie eine Riege byzantinischer Ikonen, würdige Greise von 16 Jahren. Kein Lächeln auf dem Gesicht… Im Brandenburger Theater aber sahen wir dann Musenkinder, die nicht nur ihr Metier vollendet beherrschen sondern auch die Kunst, wahrhaftig Glückseligkeit, Spaß und Freude zu verbreiten.
Und so wollen wir uns denn mit einem dicken Kompliment bedanken: Würde es heute den Fernsehapparat erwischen, wir würden es mit einem Achselzucken registrieren und nichts missen – wir haben an einer Unterhaltung teilgehabt, die uns kein Fernsehprogramm auch nur annähernd in gleicher Qualität bieten könnte. Nicht vor uns, ihrem Publikum, müssen sich solche Künstler am Ende der Vorstellung verneigen. Dem Ensemble sei von unserer Seite ein formvollendeter Kratzfuß dediziert. Den haben sie sich verdient.

 
B
5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008