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Entführung
nach Rheinsberg
Rheinsberger Kammeroper gibt Mozarts „Entführung
aus dem Serail“
Michael
L. Hübner
Ist Rheinsberg nun das Bayreuth der Mark, oder ist Bayreuth das Rheinsberg
der Bundesrepublik? Nein, beide Städte ließen sich bestenfalls
in Bezug auf ihre überregionale kulturelle Bedeutung miteinander
vergleichen. Ihre jeweiligen Bühnen versammeln viel Prominenz in
ihren Zuschauerreihen – das war’s aber auch schon mit den
Gemeinsamkeiten. Was in Bayreuth von Jahr zu Jahr abgeschmackter, skurriler,
aberwitziger einherkommt, gewandet sich in Rheinsberg zierlich, kompromißbereit
zwischen Original und Gegenwartsinterpretation und doch mit dem beinahe
perfekten Blick für Maß und Machbares.
Die Rede geht von der diesjährigen Aufführung von Mozarts „Entführung
aus dem Serail“. Rheinsberg – du Liebliche, du Stadt des Kronprinzen
und seines Bruders Heinrich, du Stadt unseres geistigen Vaters Tucholskys...
– es läßt das Herz noch immer höher klopfen wie
beim ersten Mal, wenn man – wie einst Wölfchen und Claire sagen
kann: „Wir sind da, wir sind in Rheinsberg…!“ Getrübt
wird das Vergnügen nur durch die aufwendige Suche nach einem Parkplatz.
Dieses ist aber schon der Indikator für ein knackend voll besetztes
Heckentheater, draußen in Prinz Heinrichs Park. Über 900 (!)
Gäste verfolgten Mozarts Singspiel am 9. August 2008 unter einem
sternenklaren Himmel inmitten der bezauberndsten Kulisse eines Parkes
aus dem späten Rokoko. Dezent eingepaßt das bescheidene Bühnenbild
– ein orientalischer zweigeschossiger oktogonaler Pavillon, nur
veränderlich durch die berauschende Illumination und herabklappbare
Wandelemente. Wenige Personen nur bestimmen das Geschehen – die
sind jedem Opernkenner geläufig – Selim Bassa, sein loyaler
aber grantelnder Diener Osmin, die entführten Damen Konstanze und
Blonde, sowie deren Geliebte Belmonte Lostardos und dessen Diener Pedrillo.
Leider, und da kommen wir zum beinahe einzigen Wermutstropen der Aufführung,
wurde Selim Bassa gleich dem libyschen Staatschef Ghaddafi von einer Leibwache
aus Lara-Croft-Verschnitten accompaniert. Zum ersten liegen Welten zwischen
den beiden orientalischen Machthabern – gerade was die Grundaussage
von Mozartens grandiosem Werke betrifft. Zum zweiten ist eine solche Kostümierung
in einer Parklandschaft wie der Rheinsbergs nun wirklich deplaziert. Das
ist keine gute Wahl. Die anderen Figuren des Handlung wurden, man kann
das so sagen, ausgewogen vorgestellt: Eine gelungene Kombination aus Moderne
und traditionellem Habit – Turbane bei den Herren des Ostens und
Pluderhosen bei den Damen verwiesen dezent auf den nahöstlichen Ort
der Handlung. Nur Lostardos erinnerte etwas an einen europäischen
Dandy auf Bildungsreise. Ganz im Sinne der Mehrheit des Publikums jedoch
kam Osmin daher, der verschlagene und bösartige Aufseher des Bassas,
von Kopf bis Fuß ein Jemenit – gerade diesen Fakt schien das
Publikum den über „drei Vorhänge“ währenden
Applaus mit Johlen und Pfeifen zu honorieren. Denn gleichwohl die sangestechnische
Leistung aller Mimen erlesen war, die schauspielerischen und szenendynamischen
Auftritte schwächelten mitunter. Dies trifft insbesondere auf eine
der zentralen Arien des Werkes zu und das ist nun mal Osmins Rachegesang.
Trotz des betörenden Basses fehlte Herrn Florian Spiess der Schwung,
das Kraftvolle – man nahm ihm das Finstere seiner Seele nicht so
recht ab Ein liebevoller Schurke, dem man über den Kopf streicheln
möchte mit den Worten: Nun geh man nach Hause, mein Junge, Mama hat
schon einen Kuchen auf den Tisch gestellt.
Seinem schauspielerischen Gegenpart, der Dame Blonde, Frau Mia Haikkinen
aus Finnland, saß wahrscheinlich der Schreck über die sowjetische
Invasion Finnlands vor beinahe siebzig Jahren noch tief in den Knochen
– jedenfalls kam sie nicht umhin, ihr emanzipatorisches Gedankengut
in finnische Parolen zu kleiden. Na ja, es war ganz lustig und gestört
hat es auch nicht weiter. Aber ob sich Mozart das so vorgestellt hatte…?
Nun ja, wollen wir mal nicht ganz so spießig sein.
Der Kontrast zum baumlangen Selim und die physische Korrespondenz zu ihrem
geliebten Pedrillo waren ausnehmend gut gewählt. In gleicher Weise
harmonierten auch die Besetzungen der anderen drei Protagonisten, Konstanze,
Lostardos und Selim Bassa. Bestechend unter den Stimmen waren durchaus
der Baß und die Tenöre, den höheren Tonlagen von Tenor
bis Sopran merkte man ihre geschulte und bewährte Professionalität
an. Wenn man nur ein wenig den Umstand beiseite läßt, daß
es sich bei der Kammeroper Rheinsberg um eine internationale Kaderschmiede
der gehobenen Bühnenkunst und das führende Musiktheater der
Mark handelt, wenn man einfach nur davon ausgeht, daß diese Leistung
im kleinen, verträumten Städtchen Claires und Wölfchens
dargeboten wurde – dann, ja dann war das ganz großes Kino!
Storms Regentrude war wohl derselben Meinung – jedenfalls war sie
Publikum, Mimen und Orchester gnädig und beließ das Heckentheater
unter einem wundervollen sommerlich klaren und lauen Nachthimmel.
Ach, siehste… das Orchester! Wie konnten wir…! Ja, das waren
die unsrigen, das waren die Musici aus Brandenburg an der Havel. Das war
unseres geliebten Helmraths Truppe. Nur der Maestro war nicht dabei. Wessen
Ohren gewohnter Weise an Michael Helmraths Taktstock hängen, der
war sich dieses Umstandes schnell bewußt. Auch das Orchester spielte
mit der von ihm bekannten Professionalität, es gab auch einige sehr
schöne Akzentuierungen und Schattierungen bei der Wiedergabe der
unsterblichen Noten. Aber daß der Dirigent, wie Celibidache meint,
keinen Spielraum zur Interpretation habe, so wenig, wie ein Maler eine
Landschaft interpretieren könne – mit dieser Aussage gehen
wir nun überhaupt nicht konform. Michael Helmrath hätte mit
Sicherheit das Dynamit aus einem quirligen Mozart herausgelockt. Herr
Ingensand jedoch wollte wohl kein Risiko eingehen und setzte statt dessen
auf eine grundsolide, dafür aber etwas behäbigere Aufführung.
Doch genug des Palavers! Unter dem Strich bleibt eine Glanzleistung märkischer
Kultur, eine wundervolle Aufführung eines Werkes, das mit Recht zu
dem Besten zählt, was je in der Welt zu diesem Genre erdacht und
ersonnen wurde. Es klingt vielleicht etwas abgedroschen, aber daß
eine Oper nach über zweihundert Jahren noch selbstverständlich
zum Standardrepertoire großer und kleinerer Häuser in aller
Welt zählt – das allein beschreibt wohl den unvergänglichen
Wert dieses Werkes. Rheinsberg bot dieser ersten echten deutschen Oper
ein würdiges Podium.
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