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Die unernste Geschichte Brandenburgs
Hans-Otto Dill und Greta Stecher

K. K. Bajun
Nun ist das Buch selbst schon wieder beinahe Geschichte. 13 Jahre ist es her, dass Hans-Otto Dill und Gerta Stecher die unernste Geschichte des Landes unter dem Roten Adler verfassten.
Amüsant zu lesen ist sie, das muss man schon sagen. Die Idee taugt auch etwas: Dass historische Ereignisse mit einem modernen Sprachgebrauch und Duktus reflektiert werden, ist zwar so neu nun auch wieder nicht – Fernau hat auf diesem Gebiet schon einiges und mitunter flüssiger geleistet – und auch eine preußische Geschichte der armen Leute hat es schon gegeben. Gerlach war das wohl.
Was aber neu und gut und hervorragend ist – mit dem scharfen Meißel eines Max Frisch hauen die beiden Autoren den falschen Stuck von der brandenburgisch-preußischen Geschichte. All den gloriosen und pompösen Unsinn, die Volksverdummung… Von wegen: Hehre Absichten, edle Gefühle, moralische Vorbilder, ehrbare Bürger. Alles große und kleine Gauner allzumal. Und jeder gaunert und betrügt und bescheißt und fasst dem Nächsten in die Taschen. Das Wohl des Landes haben sie alle nur im Auge, wenn es sich dabei um ihr eigenes handelt. Und nur die Dümmsten rennen fürs Vaterland mit einem Hurra dem „Feind“ ins Bajonett. Das, Herr Dill, Frau Stecher, ist keineswegs die unernste Geschichte Brandenburgs, das ist die verdammt ernste. Es ist aber verständlich, dass Sie diese Wahrheiten und Erkenntnisse nur unter der Narrenkappe verbreiten können. Zu gequält würden all die Millionen falschen Fuffziger aufjaulen, denn sie hängen hehren Illusionen an, die sie benötigen, um andere und sich beim gegenseitigen Betrügen über die Abgründe der irdischen Existenz hinwegzutrösten. Es ist wie mit der Kriegsberichtserstattung: Die wahren Bilder des Grauens bekommen die Fernsehzuschauer daheim an den Bildschirmen nicht zu sehen. Die Menschen richten zwar die Greuel an – aber hinsehen, das können sie nicht.
Dill und Stecher lassen ein märkisches Paar als Prototype der niederen Klassen die brandenburgische Geschichte mit durchlaufen. Das ist gut. Denn wie wir von den Kommunisten einst lernten (und so verkehrt ist das absolut nicht): Geschichte ist immer eine Frage der Sichtweise, mithin des Klassenstandpunktes. Dankenswerter Weise sind Mirko und Irina in all ihren Variationen und Sukzessionen Vertreter der slawischen Urbevölkerung, die zwischen Elbe und Oder einst dasselbe Schicksal erlitt wie ihre indianischen Vettern in der Neuen Welt etwa ein dreiviertel Jahrtausend später.
Wichtig bei der Lektüre des Buches ist in jedem Falle, dass sich der Leser nicht unvorgebildet dem Stoffe ausliefert. Er würde denn mehr als drei Viertel des Textes in keinen Zusammenhang bringen können – einen historisch überlieferten schon gleich gar nicht. Dem Kenner aber macht die unkonventionelle Interpretation der Heimatgeschichte durchaus Spaß.
In einigen Punkten gingen die beiden Autoren etwas schlampig zu Werke – auch der Narr, und gerade er, hat eine Pflicht zur Präzision. Brandenburg an der Havel beispielsweise hieß nie Brennabor! Das ist ein frührevanchistisches Hirngespinst eines böhmischen Jesuiten des 17. Jahrhunderts. Ein weltberühmtes Fahrrad- und Automobilwerk in Brandenburg an der Havel trug diesen Namen. Dieser Umstand tradierte das unselige Phantom, welches seitdem durch alle einschlägigen Publikationen wie auch die Hirne der Halbgebildeten geistert. Die Autoren saßen ihm auf.
Desgleichen wurde in der Chur- und Hauptstadt der Mark nicht das Altstädtische Rathaus zerstört und abgetragen, sonder das Neustädtische. Das Altstädtische Rathaus erfreut sich nach seiner jüngst stattgehabten Restaurierung seines alten Glanzes als eines der bedeutendsten Vertreter der profanen norddeutschen Backsteingotik und beherbergt den Sitzungssaal des Brandenburger Stadtparlaments. Und so wabern noch einige weitere Ungereimtheiten durch das Werk, die zu einer bedauerlichen und durchaus unnötigen Autoritätseinbuße der beiden Autoren führen.
Den großen Kontext allerdings trübt dieser Umstand nur in geringem Maße, wenn auch der gewagte Ausblick in die damals noch nähere Zukunft fehlschlug. Bis dato gab es keine Vereinigung des Bundeslandes Brandenburg und des Stadtstaates Berlin. Na ja, auch das ist unwichtig.
Lesenswert ist das Buch. Gar keine Frage. Uns hat es Freude bereitet. Und empfehlen können wir es guten Gewissens.

 
B
5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008