zurück
zum Landboten
|
Die
Bestie im Turm
Ein Hanse-Krimi aus der Feder des Dr.
Tom Wolf
J.-F. S. Lemarcou
So sieht das aus, wenn man in Preußen
die Besten vergrault. Da gehen sie dann ins Ausland, nach Niedersachsen
beispielsweise und stellen ihr Talent in den Dienst der Hanse. Bätsch,
Preußen – det haste nu davon!
War das nicht mit unserem Steuben genau dasselbe? Hier war er ein schlichter
preußischer Offizier, wäre sicher unbekannt geblieben der Mann,
wäre er nicht dem Ruf der Freiheit gefolgt, über den Großen
Teich gesegelt und amerikanischer General geworden. Nun feiert ihn New
York Jahr für Jahr mit Paraden, denen Preußen nichts auch nur
annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen hat.
Unser Bester schreibt nun über eine Bestie. Die wohnt in Goslar und
mordet ehrbare Ratsherren. Dazu trällert von ferne die Wittenberger
Nachtigall und deren Gesang beginnt das Reich auseinander zu reißen.
Den Herzog von Braunschweig und die Freie Reichsstadt Goslar reißt
auch etwas auseinander – das liebe Geld nämlich, respektive
der bei Goslar gelegene Rammelsberg, dessen Schätze gehoben und verarbeitet
ihren Besitzer unendlich reich machen können.
Goslar hat ihn einst vom Ahnen des Herzogs zum Pfand für eine geliehene
Summe erhalten. Der Herzog hat mittlerweile das Geld bezahlt, das Pfand
eingelöst und will nun seinen Berg zurückhaben. Die Goslarer
Ratsherren können sich aber nur schwer von ihm trennen. Er ist ihnen
doch so lieb und teuer geworden und sehr ans goldene Herz gewachsen. Der
Herzog zieht mit Kriegsmacht auf. Die Situation droht zu eskalieren.
Just zu dieser Zeit kehrt der Neffe eines verstorbenen Patriziers heim,
den Oheim zu beerben. Nicht nur ein großes Haus sondern auch Sitz
und Stimme im ehrwürdigen Rat fallen dem jungen Manne zu.
Doch kaum bereichert er das Hohe Gremium, da werden dessen Reihen auch
schon wieder gelichtet. Die ominöse Bestie mordet die angesehenen
Herren der Reihe nach. Dabei geht sie keineswegs planlos vor: Nach der
Art, wie die frühchristlichen Märtyrer starben, die den entsprechenden
Opfern ihre Vornamen liehen, werden auch die Ratsherren in die jenseitige
Welt befördert. So wie um den Autoren des Werkes etwas Besonderes
ist, so sind es auch seine Protagonisten, seine Verbrecher sowohl als
auch seine ermittelnden Detektive. Unser Hanseat mit der Spürnase
ist eben jener heimgekehrte Patrizierneffe, dessen Grips auf der Lateinschule
ordentlich geschliffen wurde.
Und was die Lateinschule mit dem jungen Herrn Jobst tat, das verrichtet
nun der Autor an uns, seinen Lesern.
Sind Sie ein Feind der anspruchsvollen, der fordernden Unterhaltungsliteratur,
dann legen Sie das Buch nur flugs zur Seite! Denn neben dem kriminellen
Geschehen, welches das aufgehende Licht der deutschen Renaissance so übel
verfinstert, bekommen Sie noch gleich ein paar Lektionen in Bergbau, spätmittelalterlichen
Festungs- und Kriegswesen und merkantilen Grundsätzen übergeholfen.
Ich sag’s Ihnen im Voraus: Das ist nichts mal eben so für den
Waschsalon oder die endlose Zeit unter der Trockenhaube. Hier müssen
Ihre grauen Zellen mithalten! Wollen die nicht oder können die nicht
– egal – dann greifen Sie lieber in die Dutzendkiste zu den
faulen Fischen der Literatur und angeln Sie sich „Die Heilerin“,
„Die Grobschmiedin“, „Die Wanderhure“, „Die
Alchimistin“, „Die frühmittelalterliche Astronautin“,
„Die Päpstin“ – na bitte, bei diesem Wort streikt
sogar die in Microsoft-Word eingebaute Rechtschreibkontrolle – „Die
Dummenfängerin“, „Die Beutelschneiderin“ und was
es da an Preziosen der neuen Schundwelle, ach was – des neuen Schundtsunamis
der deutschen Abfalliteratur noch so zu Tausenden an dämlichen, pseudohistorischen
Titeln zu kaufen gibt.
In einem Punkte aber hat unser exilierter Stern am preußischen Krimihimmel
etwas von seinem Glanze eingebüßt. Der sich in den Preußenkrimis
überschlagende feinsinnige und intellektuell hochwertige Humor hat
einem etwas ins Behäbige driftenden Erzählstil Platz gemacht.
Die Sprache, in der sich die Akteure unterhalten, mutet merkwürdig
modern an. Was die intersexuellen Relationen anlangt, so pflegte meine
selige Frau Großmutter angesichts eines Filmes zu sagen, der genau
dieses Sujet thematisierte: „Na, was soll schon noch passieren –
die lieben sich, die kriegen sich!“ Und das hieß: „Ab
ins Bette, Junge! Das haste schon Tausend mal gesehen oder Du wirst es
noch Tausend mal sehen – heute abend jedenfalls versäumste
nüscht mehr. Marsch!“
Nun hat der Herr Jobst zwar nicht seine Angebetete heimgeführt. Dafür
ist ihm ein anderes Liebchen ins kuschelige Nest gewuselt – nachdem
deren angetrautes Ehegespons zur rechten Zeit den Weg alles Irdischen
beschritt. Und auch dem Adlatus des Meisters lächelte am Ende Amor,
der lockerlose Bube. Und alles bleibt auch traut in der Familie…
das ist zu befriedigend! Ja, ja – Sie lesen richtig: zu befriedigend!
Wir sind hinterher alle zu glücklich! Glücklich und beseelt
klappen wir das Buch zu! Happy End??? Dramatik! Dramatik!
Man darf das Buch nicht als erledigt zuklappen! Das muß nachhallen,
das muß aufwühlen, das muß innerlich protestieren, rebellieren,
hadern und fragen und sinnieren! „Scheiß ungerechte Welt…!“
So muß das aus uns rausdröhnen… wie ein Glockenschlag!
Lieber Herr Wolf! Lassen Sie den Helden mal ordentlich auf die Fresse
fallen! Der Leser muß heulen – und seine Welt, Ihre Welt als
eine ihm nur zu gut bekannte erleben. Raus mit der Illusion des Paradieses
aus den trägen Leserköpfchen! Brennen Sie auch mal dem edlen
Kerl die Bude über dem Kopf ab! Ein bißchen würgen, knuffen
und schubsen ist zu wenig! Der muß schlottern, der muß sich
in die Hosen machen, da muß roter Pfeffer rein!
Und ihr, liebe Verleger, die Ihr, wie wir von unserem Großen Vater
Tucholsky wissen, immer nur zusetzt: Wenn ihr aus kurzsichtigem Kalkül
heraus nur die „Erfolgsautoren“ von Verkaufskrachern wie den
oben zitierten hätschelt und solche Zierden der deutschen Literatenwelt
wie den Dr. Wolf verkümmern laßt mit mickrigen Prozenten, Termin-
und Abgabedruck und was Eurer Attitüden mehr sein mögen –
dann werdet ihr nie erfahren, was wirklich in solch brillanten Geistern
schlummert. Euch liegt ein Schatz zu Füßen und alles was ihr
ihm abfordert sind Rechenpfennige? Das ist nicht kaufmännisch gedacht.
Habt doch den Mut, mit solch hochkarätigen Leuten wie dem Dr. Wolf,
wenn es Euch denn schon einmal gelang ihn Eurem Hause zu verpflichten,
den Geist im Deutschen Volke anzusprechen anstatt ständig nur den
Groschen der intellektuellen Unterschicht hinterher zu hecheln. Der Mann
ist ein Künstler und kein Brotschreiber!
Nehmt Euch die „Langustiers“ zur Hand und ihr wißt,
wovon wir reden. Seziert die „Bestie im Turm“ auf ihre Substanz,
ihren Aufbau, ihren exakt recherchierten Hintergrund, ihren wissensvermittelnden
Anspruch, ihr N I V E A U – und es müßte mit dem Teufel
zugehen, wenn Euch nicht die Erleuchtung überkommt. Dieser Autor
ist ein roter Ferrari – den läßt man nicht auf der Straße
stehen! Wer das tut, sollte sich keinen anschaffen.
Prost, Deutsche Hanse! Dieses Glas Beaujolais auf Deinen legendären
kaufmännischen Instinkt und Deinen untrüglichen Riecher fürs
gute Geschäft mit edler Ware! Prost auf Deinen neugewonnen Autor
Dr. Tom Wolf!
Tom Wolf
Die Bestie im Turm
Die Hanse | EVA Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2007
ISBN 978-3-434-52826-5
247 S.
€ 12,80
|