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Uraufführung
einer Kleistoper im Brandenburger Theater
Michael L. Hübner
Der Ostersonnabend 2008 bescherte
der Havelstadt einen kulturellen Höhepunkt bisher nicht dagewesenen
Ausmaßes. Im Brandenburger Theater fand erstmalig in dessen 190jähriger
Geschichte die Uraufführung einer abendfüllenden Oper statt.
Der preußische Dichter Heinrich von Kleist gab der Oper seinen Namen,
dem Stoff seine Biographie und den Gestalten seiner Dichtkunst eine Bühne.
Entstanden war die Idee während einer Zusammenkunft von Theaterleuten
im Jahre 2005, bei der das Brandenburger Theater gefragt wurde, was es
zur Bereicherung der märkischen Kulturlandschaft beisteuern könne.
Intendant Christian Kneisel rief: „Wir führen eine Kleistoper
auf!“ Alles erstarrte in ehrfürchtigem Erstaunen. Vorsichtig
wagte der Vize des Brandenburger Hauses, Bernd Keßler, einzuwenden,
dass er von einer solchen Oper noch nie gehört hätte. „Ich
auch nicht!“ beschied ihn sein Chef. Aber der Pfeil war abgeschossen.
Jetzt mußte das Projekt geschultert werden.
Drei Jahre lang arbeiteten hochkarätige Leute an der Vollendung dieses
Werkes, das der Idee eines Augenblickes entsprungen war – das fertige
Produkt präsentierte sich am 22. März 2008 auf der Bühne
des Theaters der Chur- und Hauptstadt.
Wer eine Oper im klassischen Sinne erwartete, abgeschlossene Handlung,
dramatischer Aufbau, Höhepunkt, Lösung – eine in sich
geschlossene Erzählung eben, durchsetzt mit Leitmotiven, Arien, Chören,
der mußte sich während des Stückes gewaltig umorientieren.
Noch vor dem eigentlichen Beginn des Stückes wurden die Zuschauer
durch ein mitten aus der promenierenden Menschenmenge heraus vorgetragenes
„Gloria in excelsis deo“ im Foyer des Großen Hauses
quasi in das Werk hineingezogen. Eine äußerst sparsame Bühnendekoration,
mithin nur ein aus 25 Fächern bestehender, auf den Bühnenboden
aufgebrachter Rahmen, ein gleichgearteter, schwebender Holzrahmen, seitliche
Beleuchtung und eine unaufdringliche, sehr dezente Videoinstallation fokussierten
die Konzentration auf die Akteure. Das Bühnen- und Szenenbild war
ebenso einfach wie genial. Die Kostümierung verleugnete weder den
zeitgenössischen Charakter der Oper noch verzichtete sie auf ausgiebige,
ja geradezu verschwenderische Referenzen an den preußischen Frühklassizismus,
die Epoche, die vom Protagonisten literarisch begleitet und entscheidend
mit geprägt wurde.
In diesem gestalterischen Umfeld bewegte sich ein exquisites, ein im wahrsten
Sinne des Wortes handverlesenes Ensemble von Stimmen, begleitet von Brandenburgs
hervorragenden Symphonikern unter Generalmusikdirektor Michael Helmrath.
Dieses Werk war mitnichten ein zaghafter Versuch der Provinz, sich an
die Welt der großen Oper heranzutasten; sie sprengte mit einem Paukenschlag
den Reigen der etablierten Vertreter dieses Sujets, sie spielte sich mit
stolzer Selbstbehauptung vor vollem Hause in die Herzen des Brandenburger
Publikums.
Dabei muß gesagt werden, dass das Libretto aus der Hand der bezaubernden
Tanja Langer keineswegs dröge das Leben des jung und tragisch verstorbenen
Meister-Poeten aus altem preußischen Militäradel abspult –
Tanja Langer brachte irgendwie den Geniestreich zu Wege, das Publikum
in das Innerste der Seele des empfindsamen Dichters mit dem chaotischen,
feurigen und doch so messerscharf analysierenden Herzen zu entführen.
All seine Zerrissenheit, seine Sehnsüchte, vor allem diese der Nachwelt
so unerklärliche Todessehnsucht, die im November 1811 zu jenen beiden
Schüssen am Ufer des Kleinen Wannsees führte, welche seinem
Leben und dem seiner Freundin Henriette Vogel ein unzeitiges Ende setzte,
wurden plötzlich transparent und nachvollziehbar.
Ein gefeierter Thorbjörn Björnsson sang und spielte mit grandioser
Fulminanz. Das Publikum quittierte seine Leistung mit Johlen, Pfeifen,
Trampeln und donnerndem Applaus. Eingerechnet war die große Leistung
aller beteiligten Sänger, die durchweg großen Herausforderungen
des zeitgenössischen Komponisten souverän gemeistert zu haben.
Sicher ist für die an die Harmonie der Klassik gewöhnten Ohren
das musikalische Fundament der Oper aus der Feder des kongenialen Erlangers
Rainer Rubbert eine Herausforderung. Wer sich aber vorbehaltlos diesen
Tönen, Septimen, Akkorden und Sekunden hingibt, der wird nach wenigen
Takten schon der Faszination ihrer überwältigenden Ausdrucksstärke
erlegen sein. Beinahe drei Stunden währte das Stück. Drei Stunden,
in denen das Publikum gefesselt blieb, drei Stunden, die wie im Fluge
vergingen, drei Stunden ohne das kleinste Anzeichen einer Ermüdung.
Der Kritik bleibt nur, den Hut zu ziehen. Vorbehaltlos. Man könnte
noch so intensiv nach Mängeln oder Beanstandungen suchen –
man würde nicht fündig werden. Schwer zu glauben, dass diese
hochprofessionelle Leistung bei einer Uraufführung geboten wurde.
Ein Ensemble, das bei der anschließenden Premierefeier von allen
Seiten betonte, wie entspannt und freundlich es bei der harten Erarbeitung
dieses Werkes zuging, mit welchem Spaß alle, einschließlich
der Techniker und Repetitoren, Berater und Kostümbildner bei der
Sache waren, verstand es, die Freude an der eigenen Arbeit eins zu eins
in den Zuschauerraum zu übertragen. Ein neunminütiger Schlußapplaus
bewies, dass die Brandenburger, denen ja doch eine gewisse Skepsis zeitgenössischen
Werken gegenüber nachgesagt wird, sehr wohl für eine solche
Kunst zu vereinnahmen sind.
Herr Rubbert und Frau Langer, Herr Helmrath und Herr Kneisel und all ihre
Kollegen haben am Abend des 22. März 2008 der Stadt Brandenburg an
der Havel die Uraufführung eines Stückes geschenkt, das sehr
wohl auch an der Berliner Staatsoper, der New Yorker Met, an der Mailänder
Skala oder im Moskauer Bolschoij gute Figur machen würde. Weder Stoff
noch Ausführung rechtfertigten eine Beschränkung auf die märkische
Provinz. Mit dieser Premiere erfuhr die Chur- und Hauptstadt von künstlerischer
Seite eine Aufwertung von Rang, die bestätigt, welches Potential
in einem kameradschaftlichem Arbeitsklima, kurzen Entscheidungswegen,
hoher Fach- und Sachkenntnis und vor allem – Freude an der Arbeit
liegt.
Kein seriöser Opernführer wird künftig um dieses Werk herumkommen
und jeder kulturell interessierte Brandenburger sollte nach Möglichkeit
die folgenden Aufführengen nutzen, selbst als Zuschauer einen Zipfel
vom Mantel der Kulturgeschichte zu ergreifen, der zu Ostern 2008 durch
den Brandenburger Theaterpark weht.
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