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Uraufführung einer Kleistoper
- ein Ostergeschenk für Brandenburg an der Havel

K. K. Bajun
Soeben wurde in der Redaktion der Beitrag zur Uraufführung der Kleistoper am Brandenburger Theater abgeschlossen, den wir für ein befreundetes Blatt erstellten. Diese Zeitung nun folgt einem völlig anderen Prinzip als der Landbote, wir mußten uns Zügel anlegen, versuchen auf dem Teppich zu bleiben – aber jetzt: Schluß damit!
Die Plane von den Pauken, raus mit den Fanfaren! Jetzt soll’s getrommelt und gepfiffen werden: Die Chur- und Hauptstadt bekam ihr wohl schönstes Ostergeschenk seit Menschengedenken: die Uraufführung einer Kleistoper. Man denke sich: die Uraufführung einer abendfüllenden Oper! Für uns! Für Brandenburg an der Havel!
Wo fangen wir an? Eine zeitgenössische Oper…
Dem Heinrich von Kleist ist sie gewidmet, dem unpreußischen Soldaten, dem preußischen Dichter, dem vielleicht preußischsten überhaupt. Haben wir nicht alle, die wir die Geistesblüten unserer Heimat verehren, schon mal an seinem Grab gestanden, dort unten, am Ufer des Kleinen Wannsees? Haben wir nicht schon alle einmal darüber nachgedacht, wie es zu einem solchen Widersinn kommen kann, daß sich ein überragender Genius aus unserer Mitte stiehlt, uns gleichsam seines Genies beraubend? Daß dieser Mann mit den überragenden dichterischen Fähigkeiten an der Welt verzweifelt und bekennt: Die Wahrheit ist, daß mir im Leben nicht zu helfen war?
Die Antwort, die wir damals fanden, war: Kleist, dem unbarmherzigen Chirurgen der menschlichen Seele blieb wohl sich selbst reflektierend kein anderer Weg als die Erkenntnis, daß sich die Welt nicht seinen Vorstellungen anpassen wird. Die Welt, in die er hineingestoßen wurde und die sich sein empfindsamer Geist doch so anders wünschte.
Die beiden „Eltern“ dieser Oper, der Komponist Rainer Rubbert und die Librettistin Frau Tanja Langer spürten derselben Frage nach. Sie beschränkten sich keineswegs auf die musikalische Umsetzung der Biographie des wohl bekanntesten Vertreters der Kleist-Familie. Sie suchten die Seelenlandschaft dieses ungestümen, mitunter von Rast- und Ziellosigkeit getriebenen Geistes zu ergründen. Sie stellten diesen Geist in den Kontext seiner Zeit, ließen ihn sich reiben an den liebenden und abwehrenden Zeitgenossen – sie setzten das hochgesteckte Ziel um: sie weckten Verständnis für Heinrich von Kleist.
Einer Kritik, der es nicht gelingt sich über dieses Meisterwerk zu erheben, soll sich nicht anmaßen, darüber zu richten. Wir gestehen – wir sind zu unbedeutend, um dieser Aufführung Schwächen nachzuweisen. Ein Theater, ein Komponist, eine Librettistin, ein Symphonieorchester unter Leitung unseres geliebten Maestros Helmrath, ein Stab professioneller Techniker und – Trommelwirbel – ein großartiges Ensemble von noch großartigeren Stimmen haben uns verzaubert. Wir können versuchen, das zu beschreiben. Es zu begakeln – das wollen wir tunlichst sein lassen.
Stellen Sie sich also ein Bühnenbild vor, wie es spartanischer nicht sein kann. Ein Quadrat zu fünfundzwanzig Fächern ist auf den Bühnenfußboden aufgeklebt. Über ihm schwebt ein entsprechend gestalteter Holzfachrahmen – absenkbar, emporziehbar. Hier nun spielt die Szenerie. Die Mimen kommen in Gegenwartskleidung, in zeitgenössisch-frühklassizistischen Gewändern, in Uniformen und Ordenskleidung – alles unaufdringlich, alles aussagekräftig. Nichts lenkt die Sinne vom Stück ab. Im Hintergrund laufen ebenso dezente, das Geschehen untermalende Videoinstallationen. Ab uns an wird der Zuschauerraum ins Geschehen mit einbezogen. Ein bißchen nackte Haut, ein bißchen Schleifhexe im Hintergrund und Feuerzauber, krach und bumm – na ja, was so die inevitablen Attribute einer modernen Aufführung sind. Es stört nicht. Zu gebannt schauen wir auf die Akteure. Damit wir den Lippen der Sänger auch folgen können, belehrt uns eine gut lesbare Texteinspielung über das gesungene Wort. Und das dringt – egal aus wessen Kehle – wunderbar in unsere Ohren: Da brummt der herrliche Baß von Herrn Coles, da tönt der glockenhelle Sopran von Frau Schindler – Mozart und Schikaneder, hätten sie im Publikum gesessen, wäre spätestens jetzt die Idee zur Zauberflöte gekommen. Frau Claudia Herr aus Dresden, die gleich zwei Haupt- und zwei Nebenrollen bedient, singt uns schmachtend die Marquise von O., sodann die Henriette Vogel – und wir dachten, alle Preziosen Dresdens lägen sicher verwahrt im Grünen Gewölbe. Nein, eine singt, ach was, schmilzt sich auf einer märkischen Bühne in preußische Ohren. Ebenso der Counter-Tenor Nicolas Hariades, der mit seiner herrlichen Stimme gleichsam hermaphroditisch zwischen den Sphären wandelt wie der Puck des großen Stratforders William Shakespeare. Doch dieses hier ist der Traum einer Frühlingsnacht…
Da hören wir Frau Krahe mit ihrem betörenden Alt, und es verlangt uns nach Blumen, sie der zierlichen Dame zu verehren. Ein kleines Mädchen aus dem Publikum war da fixer auf dem Kien: Sie hatte sich mit einem wunderschönen Strauß eingedeckt, den sie während des Schlußapplauses Herrn Björnsson überreichte, dem Skalden von der Feuerinsel Eriks des Roten und Aslaks des Wilden, dem wohlklingendsten Bariton Islands. Hatte Herr Laxness diesen 1978 geborenen Sohn der wilden, felsigen Schönheit im Nordatlantik vor Augen, als er seine Figur des Alfgrimur schuf, im „Fischkonzert“? Ich weiß, ich weiß. Geht ja nicht. Der Roman des isländischen Literaturnobelpreisträgers ist 1957 erschienen, 21 Jahre vor Herrn Björnson. Aber vielleicht hatte der Alte vom Melkot seherische Fähigkeiten…
Wir wollen Stephan Bootz nicht vergessen, wie könnten wir das! Sein Baß, sein leidenschaftliches, überzeugendes Spiel riß uns mit der Anfangszene in das Szenenbild wie ein Malstrom. Es war kein Entrinnen möglich. Ach, hätten wir doch der Katzen Augen! Gerne hätten wir die begehrlichen Blicke der Damenwelt im Publikum registrieren wollen, als Herr Bootz auftrat und das Entree vergessen machte.
Vor keinem der Sänger und Sängerinnen, die wir hierorts nicht explizit erwähnten, würden wir den Blick erheben, stünden sie uns gegenüber. Die ganze Truppe war von meisterlicher Hand gewählt und zusammengestellt worden und sie rechtfertigte ihre Wahl mit exorbitanter Leistung.
Die Oper selbst schwebte zwischen Zeit und Raum, verwob Dichtung und Reales, Gestalten der Geschichte, Gestalten der Kleist’schen Phantasie. Sicher, es wäre von Vorteil, wenn man sich mit diesem Stoffe wenigstens grob vertraut machte, bevor man die Oper genießt. Man sollte wissen, wer Penthesilea ist und wer die Marquise von O., welche Rolle Ulrike von Kleist im Leben ihres Bruders spielte und welchen Einfluß Henriette Vogel auf die Seele des Dichters nahm. Was es mit der „Verlobung von Santo Domingo“ auf sich hat, oder mit der „Heiligen Cäcilie oder der Gewalt der Musik“, der Kleist’schen Hermannschlacht und dem Kätchen von Heilbronn – das alles sollte dem Bildungsbürgertum keine Terra Incognita sein – ein bißchen was dürfen die Künstler, die dieses Werk schufen, von ihrem Publikum auch erwarten.
Was sie hingegen bekamen, das war ein donnernder Applaus von sage und schreibe neun Minuten. Getrampel, Gejohle, beim Sumo wären die Sitzkissen geflogen – leider, wir hatten keine! Wir pfiffen uns statt dessen begeistert die Seele aus dem Hals. Ein älterer Herr aus Berlin auf dem Nachbarsitz quittierte den ohrenpeinigenden Gefühlsausbruch mit verständnisvoller Nachsicht.
Nein, es gab keine Soli wie das der Königin der Nacht, es gab keine Leitmotive, keine Ouvertüre wie beim Figaro und keine Chöre wie den von Nabucco, auch keinen Ohrwurm oder Gassenhauer, den man auf dem Nachhauseweg nachsummt – es gab statt dessen zeitgenössische Musik, die eines bewies: das auch sie sehr wohl in der Lage ist, sich in die Herzen der Zuhörer zu spielen. Die Musik fesselte, sie ließ uns das rasche Vergehen der etwas über zwei Stunden nicht bemerken. Herr Rubbert, es wird Zeit, daß wir Ihren Wikipedia-Link blau einfärben! Sie sind ein bedeutender Musiker!
Brandenburg an der Havel erlebte die Uraufführung einer zeitgenössischen Oper. Und der Preußische Landbote war dabei. Eine Sternstunde für eine Bühne, eine Stadt und – natürlich auch für uns, eine kleine Gazette. Eine Sternstunde aber vor allem für die ganz große Kunst in der märkischen Provinz. Eine Reverenz an die alte und sehr zu Unrecht an den Rand gedrängte Mutter Berlins, die Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel, die nun mit einer neuen Perle im Diadem wieder stolz das Haupt erheben kann. Danke, liebe Macher der Kleist-Oper! Danke!

B
5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008