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Jüdisches
Brandenburg
Geschichte und Gegenwart
für Scholcher M. Druckepennig
K. K. Bajun
Um es vorwegzunehmen: Dieses Buch
ist für jeden märkischen Historiker, für jeden, der die
Mark liebt und in ihr verwurzelt ist, unverzichtbar. Dem Verlag für
Berlin-Brandenburg und dem Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische
Studien ist ein großer Wurf gelungen.
Wenn sich im Jahre 2008 die verfluchte Reichspogromnacht zum 70. Male
jährt, dann entgegnet dieses Standardwerk dem Stumpfsinn der Nazis
und ihrer saudummen Schergen ein anderes Bild vom Judentum als das, was
„Der Stürmer“ den Volksgenossen weis zu machen suchte
und was – nach unseren Erkenntnissen – schon damals von nicht
eben wenigen Deutschen hinter vorgehaltener Hand als primitive und abscheuliche
Propaganda erkannt und verachtet wurde. Diese Erkenntnis und dieses Wissen
konnten zwar nicht die Züge in den Osten stoppen, aber sie beweisen
doch, dass der widerliche Bazillus des Antisemitismus nicht das ganze
Volk verseucht und vergiftet hatte. Zu eng waren die Beziehungen zum deutschen
Judentume gewachsen, zu lange hatte ein mit seinen Leistungen und seinem
Tatendrange brillierendes Judentume der deutschen Kultur und Wirtschaft
Impulse gegeben, ohne die Deutschland in Europa und der Welt eine Marginalie,
eine historische Randnotiz geblieben wäre.
Auf just diese Leistungen verweist das vorgelegte Buch „Jüdisches
Brandenburg – Geschichte und Gegenwart“ in 17 vorzüglichen
und durchrecherchierten essayistischen Kapiteln, 13 Stadtbezogenen Abschnitten,
einer exzellenten Chronologie, einem sehr nützlichen Glossar und
einem nicht eben einfach zusammenzustellenden Personenregister von sage
und schreibe 22 Seiten.
Wo bei dem Personenregister das Problem liegt? Nun, jedem mit dem Judentume
Vertrauten ist klar, dass die Juden erst sehr spät begannen, sich
Familiennamen nach abendländischem Vorbild zuzulegen. Vorher war
man Moses, der Sohn des David, oder Rebecca, die Tochter des Simon. Nu
ordne das mal jemand einer schlüssigen Genealogie zu! Eine Heidenarbeit,
weiß Gott! Aber wir wollen mal nicht blasphemisch werden und den
Namen des Allmächtigen Vaters Israels ohne Not missbrauchen, sondern
uns dem Aufbau des Werkes widmen:
Es sind die Städte Beelitz, Brandenburg an der Havel, Eberswalde,
Finsterwalde, Frankfurt/Oder, Guben, Lindow, Luckenwalde, Neuruppin, Oderbruch,
Potsdam, Prenzlau und Rathenow, anhand derer die Autoren jüdisches
Leben in der Mark beleuchtet. Ausgedehnte Ausflüge in rurale Bereiche
erübrigen sich, da jüdisches Leben beinahe ausschließlich
auf urbanem Sektor stattfand.
Anhand des uns wohlbekannten Brandenburg an der Havel können wir
recht genau einschätzen, wie tiefgründig die Verfasser –
in diesem Falle Frau Dr. Diekmann selbst – zu Werke gegangen sind.
Dabei begegnet uns leider das Dilemma, das uns schon bei „Stahl
und Brennabor“ auffiel: Der Detailreichtum des vorliegenden und
verwerteten Materials musste wohl dem geplanten Umfange des Werkes und
seiner späteren Bezahlbarkeit Rechnung tragend oft bis zur Schmerzgrenze
eingekürzt werden. Vielleicht aber liegt gerade darin der Keim für
darauf aufbauende, mehr regional orientierte Schriften, wie sie beispielsweise
für die Stadt Brandenburg an der Havel schon im Ansatz existieren.
Das dem Publikum offerierte Bildmaterial lässt beinahe keine Wünsche
offen.
Im Anschluss eines jeden Kapitels findet sich ein sehr beeindruckendes
Quellenwerk, durchsetzt mit additiven Erklärungen, welches dem Interessierten
sowohl weiterführende Studien ermöglicht, als auch die strenge
Wissenschaftlichkeit bei allem essayistischen Kolorit bezeugt.
Was den Preußischen Landboten insbesondere freut, ist das Kapitel
von Stefanie Oswalt über unseren geistigen Herrn Vater Kurt Tucholsky
und der Claire aus „Rheinsberg – ein Tagebuch für Verliebte“,
der Ärztin Else Weil. Wenngleich auch die hierorts erstmals veröffentlichte
Erkenntnis, dass Frau Weil in Auschwitz ermordet wurde, geeignet ist uns
den Boden unter den Füßen weg zu ziehen, ist sie doch in all
ihrer brutalen Wirklichkeit so unverzichtbar wie das Tagebuch der Anne
Frank: Wie unter einem Brennglas fokussiert genau in dieser Aussage das
ganze tragische Elend, die gesamte explosive Wucht der Aussage dieses
Buches: Auf der einen Seite haben wir die luftig-lustige, kluge und geist-
wie liebevolle, feengleiche Lichtgestalt der Claire – dazu kontrastierend
– wie es schärfer nicht sein könnte – das unsagbare
Grauen einer von dumpfem Hass angetriebenen, perfekten und unsäglich
dunklen Mordmaschine. Auch die Kreaturen, die diese Maschine in allen
Positionen und Rängen am Laufen halten, sind von menschlicher Gestalt,
ganz so wie Wölfchen und seine Claire. Diese wie jene sprechen Deutsch
als Muttersprache. In deutscher Sprache werden die Befehle gebellt, welche
die Claire und ihre Leidensgenossen in die Tansportwaggons und wenig später
in die Gaskammern treiben. In deutscher Sprache wird die Claire erstickend
nach ihrem Gott oder ihrer Mutter oder allen beiden röcheln, in deutscher
Sprache wird einem jüdischen Häftlingskommando die Order erteilt,
die verkrampften Leichen aus der Gaskammer hinaus und rüber zu den
gewaltigen Industriekrematorien zu schleppen – wir tun einen Blick
auf den tiefsten Grund des Malströms deutscher, tollwütiger
Raserei und reichsweiter Schizophrenie. Die Haare werden grau, die Hände
zittern. Es ist alles, alles was das deutsche Volk in seiner Geschichte
in geisteskranker, weil selbstverletzender Pathologie seinen jüdischen
Gliedern antat, nirgends so herausdestilliert, wie in diesen wenigen,
beinahe nüchtern klingenden Sätzen der Stefanie Oswalt. Hier
begegnet uns eine der tiefsten Aussagen der Gesamtwerkes, hier wird eine
Scheidelinie gezogen: Wer sich mit diesem Wissen behaftet mit nur einem
Satz, nein, mit auch nur einem Worte zum Nationalsozialismus bekennt,
der hat seine Seele der Hölle unrettbar verschrieben!
Ein weiteres Mal dürfen wir der jüngsten Vertreterin des Autorenkollektivs
eine exquisite Arbeit bescheinigen, mit der sie der Linie ihrer beeindruckenden
Jacobsohn-Biographie nahtlos folgt.
Resümierend lässt sich noch einmal betonen, dass dieses Buch
ein Muss für die märkischen gebildeten Stände ist und in
keiner aufgeklärten Privat-Bibliothek fehlen sollte. Es dient in
hervorragender Weise dem Abbau von idiotischen Ressentiments und auf Unwissen
beruhenden Vorurteilen dem Bevölkerungsteil gegenüber, der –
das wagen wir kühn zu behaupten – über Jahrhunderte hinweg
das Hirn, das Herz und der Verstand des deutschen Volkes gewesen war,
bis dieses Volk in aberwitziger Umnachtung beschloss, sich selbst zu encephalotomieren.
Die Wunde, die es sich selbstzerstörerisch mit der Vernichtung des
deutschen Judentums schlug, wird trotz der Neuansiedlung jüdischer
Gemeinden nie verheilen. Des ungeachtet aber leistet das „Jüdische
Brandenburg“ einen wertvollen und nicht zu unterschätzenden
Beitrag zu einem aufgeschlossenen und auf Vertrauen basierenden Neuanfang,
indem es einer Brückenfunktion gerecht wird – einer Brückenfunktion
zwischen der Vergangenheit und der Zukunft einerseits, und andererseits
zwischen dem Judentum und dem Land, dass seine jüdischen Söhne
und Töchter einst aus einem in Ewigkeit nicht zu verstehenden Grunde
verstieß, peinigte, demütigte und letzten Endes während
einer bis dahin nicht gekannten Shoah ermordete, bis es nunmehr und hoffentlich
für immer zu der Einsicht gelangte, dass ein starkes und voll integriertes
deutsches Judentum essentiell für das Fortbestehen der deutschen
Nation in ihrer über zehn Jahrhunderte aufgebauten Identität
ist.
Der Preußische Landbote schätzt sich glücklich, dieses
Buch seinen Beständen zuordnen zu dürfen und weist ihm einen
besonderen Ehrenplatz in seiner Bibliothek zu.
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