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Uraufführung
einer Kleist-Oper am Brandenburger Theater
- bei einem Glase Krimsekt zu lesen -
K. K. Bajun
Als am Sonntag, dem 09. März
2008 im Rahmen eines Theaterfrühstückes die Uraufführung
einer Kleistoper angekündigt wurde, stand Herr Hübner mit einem
Kollegen von der lokalen Presse im Großen Foyer des Brandenburger
Theaters. Im Gespräch erwähnte dieser Journalist, daß
Hans Werner Olm zeitgleich in Brandenburg an der Havel gastiere. Gequält
stöhnte Herr Hübner auf. „Das ist“, erklärte
er, „ein sicheres Zeichen dafür, daß es mit dem Barden
bergab geht. Wenn die einstigen Granden der deutschen Unterhaltung auf
Brandenburg an der Havel verfallen, dann, weil sie die Westfalenhalle
nicht mehr voll kriegen. Solange, bis sie irgendwann gezwungenermaßen
stockbesoffen durch Betriebsfestivitäten stolpern, klauben die Damen
und Herren noch in der vorher völlig ignorierten Provinz ab, was
noch zu holen ist. Na klar, die Provinz kann selten so gut zahlen wie
die Metropolen, sie hat naturgemäß weniger potentielles Publikum,
deshalb steht sie in aller Regel hinten in der Schlange an.
Wenn es sich dann für die Stars mit den Großstädten erledigt
hat, dann muß man eben kleinere Brötchen backen gehen. Blöd
nur, daß das im Umkehrschluß knallhart bedeutet, daß
die stolze Chur- und Hauptstadt als Provinznest der Zweiten Garnitur wahrgenommen
wird.“ Diese Überlegung brachte den überaus lokalpatriotisch
eingestellten Herrn Hübner in ein Spannungsfeld zwischen Depression
und Rage. Doch just in diesem Augenblicke vernahm man im Auditorium die
beruhigende Stimme des Brandenburger Theater-Vizeintendanten Bernd Keßler,
welcher den Anwesenden das Thema des Vormittags erläuterte und die
Personen zu seiner Linken und Rechten vorstellte.
Das Thema… Eine Uraufführung soll gegeben werden, eine Kleistoper.
Heinrich von Kleist, der große Poet Preußens… Der Chef
des Brandenburger Tempels der göttlichen Damen Melpomene und Thalia,
Christian Kneisel, hatte vor drei Jahren das große Wort in die Runde
geworfen – und also mußte es geschehen.
Es geschah. Man suchte und fand den zutiefst sympathischen Musiker und
Komponisten Rainer Rubbert für die Musik und die blitzgescheite und
ebenso hübsche Tanja Langer fürs Libretto. Warum wir ganz gegen
alle Etikette den Herren zuerst vorstellen? Nun, es heißt, Herr
Rubbert hätte schon einige Seiten mit Noten, Takten und Akkorden
gefüllt, ehe denn die passende Librettistin für das Werk gewonnen
werden konnte. Drei Jahre kämpften die beiden mit dem Stoffe.
Da saß Herr Hübner nun und lauschte, was die Damen und Herren
über das Opus, seinen Inhalt und seinen Aufbau berichteten. Immer
noch glitten die Gedanken zu Olm, dann wieder zum Meister in die Leipziger
Thomaskirche, dessen Kopf und Gesicht jüngst nach seinem Schädel
plastisch modelliert worden sind. Ob der Große Bach die Noten wohl
gutheißen würde? Und Vivaldi? Und Beethoven? Und Mussorgskij?
„Neue Musik“, runzelte Herr Hübner zunächst die
Stirne, über ihm schwebte ein bösartiges Phantom und mit Grausen
dachte er an den Zwölfton-Teufel Igor den Schrecklichen Strawinsky,
bekreuzigte sich brav orthodox mit drei Fingern und schwor sich Unbefangenheit.
Der Pianist schlug den Grundakkord an, Herr Hübner horchte auf. Herr
Rubbert erzählte von Septimen – und beides, Musik und Erklärungen
waren verständlich, angenehm, überzeugend. Frau Evelyn Krahe
(Alt), Frau Claudia Herr (Mezzosopran) und Herr Nicolas Hariades (Altus)
traten vor das Publikum und gaben einige Sanges-Proben aus dem Stück.
Depression und Rage waren verflogen. Das war Kunst. Das war Können
auf hohem, hohem Niveau. Das war Erste Garnitur!
Die Vortragenden verbanden
ihre geschulten Stimmen mit überzeugender Gestik. Der Altus oder
Counter-Tenor Herr Harilades ließ erahnen, warum Riechsalz bei Farinellis
Konzerten pfundweise verbraucht wurde: Was in der Damenwelt Ohren zum
Hören hatte, war der Ohnmacht geweiht. Donner und Doria!
Da erst brach sich das Bewußtsein Bahn: Diese Oper, diese neuerschaffene
Oper, die sich mit dem Leben des großen und tragischen brandenburgischen
Musensohnes Heinrich von Kleist beschäftigt, wird in Brandenburg
an der Havel uraufgeführt! Nicht in Prag, wie der Don Giovanni, nicht
in Londons West End, wie das Musical „Cats“, nicht mal in
der Hauptstadt oder in der Residenz, nicht in der Kleiststadt Frankfurt
an der Oder – nein: in Brandenburg an der Havel! Des Lokalpatrioten
Hübners Herz schwappte über. Keine Rede mehr von einer Zwischenstation
abgehalfterter Entertainer auf dem Wege in die Bedeutungslosigkeit. Hier
setzt die Kultur einen Höhepunkt an. Hier! Im Brandenburger Theaterpark!
Hier wird Herr Helmrath die ersten Töne dieser Oper in die Welt hinaus
schicken! Und moderne Musik hin oder her – es sind Töne die
begeistern. Der Landbote wird sich die Uraufführung nicht entgehen
lassen und wenn wir auf Knien in die Brandenburger Grabenstraße
rutschen müssen.
Ja, das wollen wir sehen, was Herr Bernd Mottl mit seiner Regie aus dem
Stoffe machte, der dem Dichter Kleist ein weiteres würdiges, ein
lebendiges Denkmal setzt. Wir wollen sehen, wie Herr Thomas Gabriel die
Bühne gestaltet, vor welcher uns der Mann Kleist begegnen wird, dem
nach eigener Aussage auf dieser Welt wohl nicht zu helfen war. Wir sind
gespannt auf die Kostüme, in die Frau Nicole von Graevenitz die Damen
und Herrn auf der Bühne kleidete. Kontrastieren sie zu der Zeit um
1803 oder werden sie dieser Epoche ihre Reverenz erweisen? Finden sie
gar einen Königsweg dazwischen? Wie wird uns Kleist selbst, gespielt
von Herrn Thorbjörn Björnsson, Bariton, begegnen, der Mann,
in dessen „Zerbrochenen Krug“ wir unsterblich verliebt sind
und der im „Erdbeben von Chili“ mit messerscharfer, ja, anatomischer
Präzision Abgründe menschlicher Charaktere herausarbeitete,
die ihrer Zeit weit, weit voraus waren? Kleist, der mit der Geschichte
vom „Bettelweib von Locarno“ eine Gruselgeschichte schrieb,
die auch Edgar Allan Poe und E. T. A. Hoffmann sehr beeindruckt hätte.
Und der sich für uns Unwissende unverständlich in jener märchenhaft
schönen Ecke am Kleinen Wannsee erschoß, weil er nicht mehr
weiterkonnte. Warum? Wieso? Ob die Oper dem nachspüren wird? Wird
sie die Person Kleists, wie sie auf uns überkommen ist, so zu porträtieren
wissen, daß am Ende die Erschütterung einem tiefgreifenden
Verständnis weicht?
Was die Vorankündigung versprach, deutet exakt in diese Richtung.
Wie dem aber auch immer sein mag – allein der Umstand, daß
die Schöpfer dieses Kunstwerkes Brandenburg an der Havel mit der
Uraufführung beehren, ist eine Würdigung des wahren Wertes der
Havelstadt, eine verdiente Auszeichnung, eine Rehabilitierung: Die Chur-
und Hauptstadt Brandenburg an der Havel ist und bleibt Erste Garnitur!
Für jene, denen das zu akzeptieren schwer fällt, hat Herr Helmrath
bestimmt noch eine Flöte in Reserve – damit wir auf diese Leute
pfeifen können!
Uraufführung am Samstag, dem
22. März 2008 und 19:30 Uhr im Großen Hause
Aufführungsdauer ca. 3 Stunden
mit Pause
Weitere Aufführungen:
24.03.2008 - 15:00 Uhr /
02.05.2008 - 19:30 Uhr /
04.05.2008 - 15:00 Uhr alles im Großen Hause
05.04.2008 - 19:00 Uhr Potsdam
19.10.2008 - 17:00 Uhr Frankfurt/Oder
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