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Der
Bierkrieg
von Herrn Tom Wolf
K. K. Bajun
Er ist ein Phänomen –
dieser Tom Wolf! Er ist ein Phänomen! Im Frühjahr 2008 legt
er seinen zweiten Hansekrimi vor, der souverän die leichten Schwächen
des ersten, des Goslarer, bravourös hinwegbügelt. Jetzt begegnen
wir einer verquickten, wenngleich absolut in sich geschlossenen Handlung,
ausgefeilten Charakteren, durchdachten Beziehungsgeflechten und –
der ungeheuer gründlichen Wolf’schen Recherche. Es gibt ein
reales Mittelalter und es gibt ein Wolf’sches Mittelalter. Letzteres
ist das Authentischere. Mit Sicherheit.
Herr Wolf schickt seine Leser in die turbulenten Zeiten der späten,
der ersterbenden Hanse, in die siebziger und achtziger Jahre des 15. Jahrhunderts.
Die alte Doppel- und Hansestadt Soltwedel (Salzwedel) hat der Autor zum
Schauplatz seines jüngsten Krimis erkoren. Soltwedel – diesjähriger
Austragungsort des modernen Hansetags – sollte sich freuen! Tom
Wolf hat diese altmärkische Handels- und Braumetropole beschrieben!
Daß das Echo auf eine jüngst stattgefundene Lesung des brillanten
Schreibers von Seiten der lokalen Presse verhalten ausfiel, sagt weniger
etwas über die Qualität von Autor und Werk, sondern mehr darüber,
in welchem Umfange der merkantile, weltläufige und gewandte Geist
die altmärkische Doppelstadt verlassen und einem von seinen Äckern
und Wiesen und den Wassern der Jeetze eingeschlossenen Ackerbürgertum
Platz gemacht hat. Diese biederen Bürger würden wohl nicht einmal
Hemingway erkennen, wenn er das Leben ihrer rührigen Ahnen thematisiert
hätte, der Ahnen, denen die Soltwedelschen doch ihren imposanten
mittelalterlichen Stadtkern zu danken haben und die im Aufbruch des Frühkapitalismus
sogar einst den ewig in Finanznöten steckenden Feudalherren um den
Preis des eigenen Lebens den Kampf ansagten – unter anderem im sogenannten
Bierkrieg nämlich von 1488.
Wenden wir uns
also diesen Ahnen zu: Kaufleute, Brauherren, Buchdrucker, die begierig
die schwarze Kunst des Johannes Gensfleisch zum Gutenberg aufnahmen, Mittelständler
– allesamt bevölkern die Szenerie des Wolfschen Krimis. Ganz
exponiert zeichnet Herr Wolf die Konkurrenz zwischen dem fiktiven, führenden
Brauhaus Soltmann und den Brüdern Merin nach, die dem alten Kristof
Soltmann verbissen den Rang abzujagen trachten. Eine schöne Bürgerstochter
steht zwischen den Sprössen der reichen Kaufherren. Ein verlorener
Sohn, der an der Fallsucht leidet und ein Jünger des großen
Francois Villon ist, mengt sich ins Geschehen. Ihn strecken die epileptischen
Nervenblitze alleweil danieder, den Senior und Übervater hingegen
ein himmlischer Blitz eines irdischen Gewitters. Da haben wir unseren
für einen Krimi unvermeidlichen Toten; immerhin der führende
Bierbrauer weit und breit! Das ist Grund genug, die führenden Bierkonsumenten
des „Soltmann-Bieres“ auf den Plan zu rufen: den Bischof zu
Verden an der Aller und den märkischen Kurfürsten Johann Cicero,
als nämlich zwölf Jahre nach dem Tod des alten Bierbrauers ein
anonymer Femebrief den zweiten Sohn und Erben des Alten, Niklas Soltmann,
der Schuld am Tode des Vaters zeiht.
Das ist die Kulisse, vor der Herr Wolf seine gewohnt farbenprächtigen
und literarisch ausgefeilten Kunstwerke malt – ja Sie lesen richtig
– der Mann malt mit Worten. Er malt dem Stil der Renaissance entsprechend
bombastisch und filigran zugleich. Er malt Landschaften mit ungeheurer
Kenntnis und Detailversessenheit, er malt Lebenswelten, er seziert die
Seelen seiner Protagonisten mit derselben wissenden und professionellen
Akribie und Neugier, wie einst der Doktor Nicolaes Tulp seinen Adriaan
Adriaanszoon.
Und erfuhr man so ganz beiläufig bei der Lektüre des Goslarer
Hansekrimis „Die Bestie im Turm“ schon alles über den
mittelalterlichen Bergbau, so lernt der Leser im „Bierkrieg“
die Kunst des Brauens kennen, lernt, wie sich deutsche Stadtregierungen
bereits vor einem halben Jahrtausend diskriminierend mit ihren dreihundert
Jahre zuvor endgültig besiegten wendischen Nachbarn befaßten,
lernt etwas über Hünengräber und Dolmen und die Geheimschrift
des Theologen Trithemius.
Das zählt zum Besonderen, zum Wertvollen der Wolffschen Krimis, welches
diese Werke aus der schier unendlichen Masse der historisierenden Dutzendliteratur
heraushebt, die sich mit dem Thema Mittelalter befaßt: Man liest
nicht nur, man bildet sich nebenbei. Während in 99% der auf dem Markt
kursierenden Mittelalterromane und -krimis nur die Gegenwart in mediäval
anmutende Phantasiegewänder gekleidet wird, versteht es Herr Wolf,
diese Tendenz in vertretbarem Maße zu unterdrücken. Warum nicht
vollständig? Nun, die Denkart, die Lebenswelt und die Reflexion der
Umgebung durch unsere Ahnen war von der heutigen so grundverschieden,
daß die meisten Zeitgenossen unserer Tage ein konsequent in der
alten Manier geschriebenes Buch nicht mehr verstehen würden. Die
Probe aufs Exempel läßt sich leicht bewerkstelligen: Die großen
Bibliotheken halten Ausgaben beispielsweise des „Willehalm“
oder von „Aucassin und Nicolette“ vor, die unbearbeitet dem
Publikum dargeboten, wohl nur einigen wenigen mit der Materie Befaßten
zur echten Freude gereichen würden. Nein, natürlich will der
moderne Leser Anknüpfungspunkte aus seinem Erlebenshorizont wiederfinden,
er will sich mit den Romanfiguren identifizieren oder sich von ihnen distanzieren
können. Doch diese Brücke zu den Altvorderen will mit Bedacht
geschlagen sein. Sonst wird’s Kitsch und Schund. Herr Wolf aber
ist so ein bedächtiger Pontifex, was mitnichten im Widerspruch steht
zu seiner quirligen und lebhaften Erzählweise.
Fesselnd spinnt er sein Garn, man schämt sich dem so hart für
seine Bücher arbeitenden Autor in die Augen zu sehen, da man diese
doch in zwei, drei Tagen auffrißt wie eine zwölfjährige
Range ihren BigMäc bei McDonalds. Wir aber wollen den genialen Tom
Wolf trösten: Ein Attribut eines wirklich guten Buches ist, daß
man es wieder und immer wieder zur Hand nehmen kann und sich beim neuerlichen
Lesen immer neue, glitzernde und schimmernde Details offenbaren. Wenige
Krimis dienen diesem Anspruch so wie die des Homburgers Wolf – der
Wolf’sche Kosmos scheint unerschöpflich. Tief ist der Born
des Wissens und der Phantasie, aus dem dieser Meister der deutschen Sprache
schöpft. Zur Freude seiner angestammten Leserschaft dürfen wir
noch in Erwartung vieler weiterer Proben aus dem Schatz dieses ungewöhnlichen
Autors schwelgen.
Für die Lektüre des „Bierkriegs“ aber empfehlen
wir unseren Lesern, ein Krüglein des guten Altmärkischen neben
das Lesepult zu stellen und recht herzhaft von diesem Gebrauch zu machen.
Es kann auch das von Herrn Wolf unterschwellig gescholtene Einbeck’sche,
das Ur-Bock nämlich, sein oder ein Ducksteiner oder einfach nur ein
gutes, einheimisches märkisches Pilsner. Egal. Hauptsache es ist
so würzig, so süffig, so durstlöschend wie der „Bierkrieg“
des Tom Wolf! Prost, Herr Wolf! Prost, liebe Leser!
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