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Brandenburg
an der Havel
Lexikon zur Stadtgeschichte
Michael L. Hübner
Von den über 200 Büchern,
Theater- und Filmvorführungen, Gemälden und Kunstgegenständen,
die wir in den fünf bisherigen Jahrgängen des Landboten besprachen,
entzieht sich das jüngst erschienene Brandenburger Stadtlexikon am
vehementesten einer objektiven Kritik.
Das erklärt sich aus mehreren Ursachen. Zum einen wäre der Autor
dieses Beitrages sicherlich auch unter den Verfassern des Stadtlexikons
zu finden gewesen, hätte man ihn früher mit dem Projekt zusammengebracht.
Als er dann angesprochen wurde, befand sich das Werk bereits in der Endredaktion.
Nun drängt sich bei jedem kritischen Worte der Verdacht auf, es sei
vom Neid des zu kurz Gekommenen in die Feder diktiert.
Weitaus gravierender aber wirkt hinein, daß der Autor dieses Beitrags
selbst seit Jahren ein begeisterter Enzyklopädist ist, eingeschriebener
Wikipedianer, der bis dato 22 selbständige Artikel zu Brandenburg
an der Havel verfaßt hat und am Artikel über die Stadt Brandenburg
an der Havel ständig und signifikant mitarbeitet. Einige Abschnitte
dieses Artikels stammen beispielsweise komplett aus der Hand des Autors
dieser Besprechung.
Also, Konkurrenz bewertet Mitbewerber? Auch dieser Verdacht könnte
sich aufdrängen.
Natürlich spielen beim Durcharbeiten des vorgelegten Buches Vergleiche
und Erwägungen eine Rolle, die aus der völlig unterschiedlichen
enzyklopädischen Herkunft resultieren. Da macht sich der Gnatz darüber
grollend Luft, daß die Online-Enzyklopädie für seriöse
Wissenschaftler noch immer offiziell in der zu ignorierenden Schmuddelecke
verharren muß, obgleich sie, was Informationsgehalt, Inhaltskontrolle
und Dynamik betrifft, selbst in ihrer deutschen Ausgabe bereits die Enzyclopaedia
Britannica überflügelt. Nur das geschriebene Wort zählt.
Diese Einstellung setzt nach unserem Verständnis bereits Moos an.
Und so betrachten wir denn auch das Stadtlexikon mit nachdenklichen Augen.
Zunächst aber stellen wir fest: Es ist eine ungeheure Fleißarbeit
und ein koordinatorisches Meisterstück. Um die beiden herausgebenden
Herren Heß und Geiseler als profilierte Könner auszuweisen,
taugt es allemal.
Dennoch, für den Wikipedianer, der sich darüber im klaren ist,
daß die lernende Jugend mit täglich wachsendem Anteil das Internet
nutzt und die Bücher im Regal beläßt, offenbaren sich
die Schwächen dieses – durchaus stabileren und bodenständigeren
Gutenberg’schen Mediums. Nun hat Herr Heß während seiner
Rede anläßlich der Vorstellung des Buches in der Brandenburger
Domaula die zu erwartenden Kritikpunkte schon vorweggenommen, als er ausführte,
daß Finanz- und Zeitrahmen dem Werke inhaltliche Grenzen setzte.
Den Finger aber auf diese wunden Punkte zu legen, heißt jedoch noch
nicht, diese Schwäche bereits evaluiert zu haben.
Da hat die Havelkönigin einen Eintrag. Die ob der Kontinuität
und Originalität ihrer Person weitaus bedeutendere Zickenmutter aber
nicht. Wir wollen etwas über Ratzenwall, Katzenbatterie, Klappgasse
und Seitenbeutel erfahren und finden diese Worte nur anderen Ortes –
wenn überhaupt. Aber das ist Brandenburg!
Wo war der Bullenhof? Was waren die Hohen Stücken vor ihrer Erstbebauung
in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts? Was hat es auf sich mit der
von Otto Bernhard Wendler besungenen Kolonie Erdenglück? Wo ist das
gotische Haus des Katharinenkirchplatzes, welches vor weit über einhundert
Jahren niedergelegt wurde und von dem uns nur die legendären mittelalterlichen
Putzritzzeichnungen erhalten geblieben sind. Wo finde ich Informationen
über das Friedrich-Denkmal vom Nikolaiplatz? Warum wurde das Carpzow’sche
Portal aus der Steinstraße zum Bischöflichen Hof verlegt? Viele
andere verschwundene architektonische Kostbarkeiten finden keine Erwähnung.
Der romantische Schleifergraben ist keinen Eintrag wert? Warum findet
das Neue Tor der Neustadt unter seiner volkstümlichen Bezeichnung
Ehebrechertor keine Erwähnung? Des großen Fraenger, der nach
dem Kriege die Brandenburger Volkshochschule begründete, wird wahrhaftig
nur ein einziges Mal beinahe beiläufig gedacht? Zeus, bedecke Deinen
Himmel!
Wie hießen die drei Türmer-Gesellen, die beim Einbruch des
Katharinenkrichturmes im Jahre 1582 wunderbarerweise überlebten?
Ihre Namen sind doch überliefert. Das würden wir gerne in einem
Stadtlexikon nachschlagen.
Was ist die Havelkönigin? Welche Bedeutung hat sie für die Stadt,
woher kommt ihr Amt und diese Bezeichnung, seit wann existiert beides,
welche Rolle spielt sie? Man versetze sich in die Lage eines Ortsfremden,
der diese Fragen stellt. Eine Leserin kommentierte das Werk gegenüber
dem Landboten mit den treffenden Worten: „Einmal reingeschaut und
Tausend Fragen!“ Dem läßt sich kaum etwas hinzufügen.
Wir wollen die Aufzählung der uns auf den ersten Blick ins Auge gesprungenen
Lücken an dieser Stelle beenden. Sie ließe sich noch eine ganze
Weile fortsetzen. Nur noch dieses: Die Wüstungskarte ist inkomplett
– wir finden das Dorf Derenthin nicht und nicht das Dorf Beetz,
das doch unserem bekanntesten See seinen Namen lieh; das Deutsche Dorf
wird als Stutzdorf nicht genannt, Steenow wird als hochdeutsch Steinau
deklariert, obgleich dem Landboten keine Urkunde bekannt ist, in der dieses
im Mittelalter wüst gefallene Dorf der Neustadt Brandenburg jemals
so genannt wurde. Daß es heute Steinau heißen würde,
wenn es denn noch existierte, ist eine sicherlich begründete Mutmaßung.
Aber Mutmaßungen haben in Lexika nichts verloren.
Viele der vorhandenen Informationen gehen nach unserem Verständnis
nicht ausreichend in die Tiefe.
Uns Wikipedianern ist es ein Leichtes, solche fehlenden Informationen
einzufügen. Es spielt keine Rolle, ob ein Artikel zu einem Stichwort
fünf oder sechs Druckseiten lang wird. Wir brauchen kein Glanzpapier,
keinen Setzer, keine Distribution. Die Verlagshäuser wird das nicht
freuen. Es ist aber nun mal die Zukunft.
Für einen Brandenburger Oberschüler, der, heimatgeschichtlich
völlig unbedarft, sich im Rahmen einer Hausarbeit der Substanz Brandenburgs
zu nähern sucht, ist das Stadtlexikon ein guter Einstieg. Es sollte
in jeder Brandenburger Schulbibliothek präsent sein. Aber es ist
eben nur ein Einstieg, kein Standardwerk. Es krankt an denselben Symptomen
wie das legendäre „Stahl und Brennabor“: Wenn man es
als Kenner braucht, dann verläßt es seinen Benutzer.
Doch soll dieses harte Urteil nicht unabgemildert stehen bleiben. Hinter
beinahe jedem relevanten Artikel steht ein gutes Quellenwerk verzeichnet,
welches ein Weiterforschen ermöglicht. Das Bildmaterial ist umfangreich
und eröffnet dem Leser einige Ansichten, die vordem schlichtweg nicht
erreichbar waren. Allerdings sind die beigefügten Farbtafeln nur
höchst unzureichend erläutert.
Der Anhang ist ausgezeichnet und übersichtlich. Das steht unzweifelhaft
auf der Habenseite des Lexikons. Der Historische Verein Brandenburgs an
der Havel, dem der Verfasser dieses Beitrages ebenfalls angehört,
hat mit dieser Publikation seine Leistungsfähigkeit unterstrichen
und der Stadt im Land zum 850. Landesgeburtstag ein repräsentatives
und veritables Präsent überreicht. Davon kann dann auch die
Stadtregierung einiges profitieren, denn nun hat sie ein Buch in der Hand,
das sich Gästen und verdienten Bürgern der Stadt mit gutem Gewissen
überreichen läßt.
Brandenburg an der Havel
Lexikon zur Stadtgeschichte
Udo Geiseler und Klaus Heß (Hrsg.)
Lukas Verlag Berlin 2008
ISBN 978-3-86732-001-6
448 S., mit farb. Abb.
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