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Sommer
vorm Balkon
ein Film von Andreas Dresen nach einem
Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase
K. K. Bajun
Der anspruchsvolle deutsche Film
mit Tiefgang gibt sich einfach nicht geschlagen. Immer wenn er von Tonnen
unsäglichen Schwachfugs auf Zelluloid aus deutschen Studios erstickt
zu werden droht, meldet er sich erneut mit einem ganz großen Rundumschlag
zurück.
Leider wird für jeden Mist aus Hollywood mehr Werberummel veranstaltet
als für diese Preziosen. Und so kam es, daß der deutsch-französische
Kultursender ARTE, bekannt für seinen erlesenen und feinsinnigen
Geschmack, uns dieses einheimische Meisterwerk an die Gestade unserer
Redaktion spülte.
Wissen Sie, ein Film muß schon etwas ganz besonderes sein, wenn
der Chefredakteur und sein Vize unisono nach wenigen Szenen gemeinsam
in Richtung des Volontärs bläken: „Besorgen! Umgehend
eine DVD besorgen! Kosten sind wurscht!“
Der Volontär besorgte und ganze zwei Tage später lag der Film
auf dem Schreibtisch der Kulturredaktion.
Berlin, nun freue Dich: In diesem Werke wurde deine Seele besungen, das
wahre, das echte, das unverfälschte Berlin. Also, wo könnte
die Handlung authentischer angesiedelt sein als in der Nähe Schönhauser,
dort, wo der Prenzlauer Berg beinahe auf Pankow trifft? Hier steht das
Eckhaus, die Berliner Mietskaserne, die für diese Gegend so typisch
ist: Vier Stockwerke, elend hohe Zimmer, jede Treppenhausbewältigung
eine sportlich-bergsteigerische Herausforderung. Ganz oben wohnt Nike
(Nadja Uhl). Nike ist mobile Altenpflegerin mit großem Herz und
ohne Helfersyndrom. Es ist anrührend zu sehen, wie sie mit ihrem
Drahtesel zu ihren Patienten durch die Berliner Straßen flitzt.
Ach, das Mädel ist zum Verlieben... Dennoch ist sie solo –
im Film zumindest. Solo ist auch ihre Freundin, die 39 ½ jährige
Katrin (Inka Friedrich), die einst aus Freiburg im Breisgau in die „Neuen
Bundesländer“ geheiratet hatte, nun mit ihrem etwa 12jährigen
Sohn Max (Vincent Redetzky, machte eine Spitzenfigur!), im Parterre des
Hauses lebt und sowohl arbeitslos als auch Alkoholikerin ist.
Beide Frauen suchen einen Kerl, der zu ihnen paßt. Ein 40Tonner,
der Katrin auf der Straße beinahe überrollt, spült ihnen
dann auch Ronald (Andreas Schmidt) in die Arme. In denen von Nike bleibt
er zunächst hängen. Nun, wir wollen nicht verschweigen: Das
Mädchen hatte schon ganz schön an der Angel gezogen.
In der Hauptsache dreht sich der Stoff um das Wesen und den Bestand der
Liebe. Ist sie nur ein vegetativer Prozeß, ausgelöst und kontrolliert
von Neurotransmittern und Hormonen – oder ist sie etwas Bezauberndes,
Kribbelndes, Magisches, was das Zeug hat die Jahrhunderte zu überdauern?
Zwei Patienten Nikes, die alte, Akkordeon stümpernde Helene (wunderbar
gespielt von Christel Peters) und Oskar (Kurt Radeke) lassen das Thema
ebenfalls anklingen. Aber zu diesen beiden kommen wir noch.
Der Film wird vom deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel als warmherzige
Komödie bezeichnet. Das beweist, daß der Westen des Vaterlandes
bloß mal wieder die Hälfte begreift. Es ist im eigentlichen
Sinne eine Tragikomödie ohne rechtes Happy End. Es ist tragisch,
nicht komisch, den überaus realitätsnah gezeichneten Weg Katrins
vom Komasaufen vor dem heimischen Kühlschrank über die Notaufnahme
vom St. Joseph-Krankenhaus in Weißensee hin zur stationäre
Therapie zu verfolgen. Die schauspielerische Leistung von Frau Friedrich
während dieser Szenen, besonders auf der Liege der Notaufnahme, ist
allenthalben einen Oscar wert. Wobei sich die Frage aufdrängt: Ist
der Oscar überhaupt eines solchen Filmes wert? Cannes, wo ist Dein
Profil, wenn dieser Film nicht vertreten, geschweige nominiert ist?
Sicher, hier wird ganz fokussiert Berlin besungen – ein Berlin,
wie es kaum noch die Zugereisten verstehen dürften und wie es die
Sachsen, Schwaben und Württemberger in der Mehrzahl nicht mehr berührt.
Na und? Es ist die überragende Leistung aller, wirklich aller beteiligten
Mimen, die die Bedeutung des Lokalkolorites völlig vergessen läßt.
Einem ihrer alten Patienten, der fast bewegungslos an’s Bette gefesselt
ist, wechselt Nike die Windeln, wischt ihm den Hintern ab, gibt ihm zu
trinken. Helene kippt samt Akkordeon beim Spielen ganz plötzlich
vom Stuhl und ist tot, ein barmherziger Bruder Tod nimmt ihr sachte die
Finger von den Tasten des 120bässigen Instrumentes. Ja, so ist es
und es ist gut so. Da wird nichts ausgespart. Kein Anblick, nicht die
Macken und Marotten der Alten, nicht das unsägliche Auftreten der
Tochter Helenes (eine so was von authentische Barbara Bachmann) ihrer
Mutter und Nike gegenüber, das ja so, so, so verbreitet ist. Wir
kennen diesen herrischen Typ Mensch, der sich anmaßt seine Eltern
im Alter zu infantilisieren, zu bevormunden, zu einer Art greiser Kinder
herabzuwürdigen. Erklärbar zumeist, manchmal nachvollziehbar
aber doch immer - abstoßend. Frau Bachmann, das mache Ihnen erst
mal einer nach! Der Film seziert all die Charaktere mit meisterlicher
Hand. Er karikiert, legt menschliche Schwächen bloß ohne zu
ätzen, ohne herabzuwürdigen, kundig und sensibel – ach,
das sind so diese Feen-Filme wie „Die wunderbare Welt der Amelie“
einer war.
Der alte Oskar… man kann sich der Tränen im Auge nicht erwehren,
es ist ja alles so ungekünstelt, es ist ja alles so wahr. Nikes Angst
und Entschlossenheit zugleich, als Oskar in seiner Wohnung von zwei jugendlichen
Banditen überfallen wird – Frau Uhl, wie spielt man das?
Und dann diese seelische Zuwendung zu ihren Patienten, dieses Mit-dem-Herzen-bei-der-Sache-sein.
Nike ist ein Heimkind, und doch ist in ihr ganz viel Gefühl, keine
abgestumpfte menschliche Arbeitsmaschine verrichtet da vor unseren Augen
ihre mechanische Arbeit an den Hilflosen. Das hier spielt sich von Mensch
zu Mensch ab. Das hier, lieber Spiegel, ist nicht komödiantisch,
das ist ganz großes Kino!
Die wohl am schwersten zu greifende Figur ist Roland. Vom Phänotyp
her eher ein Spargeltarzan, knochig und hart konturiert – aber was
er mit seiner beinahe quiekenden Stimme zum Besten gibt, hat einen unwiderstehlichen
Charme, hat trotz aller Einfachheit der Aussagen ein hohes Niveau, hat
etwas, bei dem die Weiber schwach werden. Der Kerl ist ein waschechter
Mann – da gibt es gar keinen Zweifel. Hut ab, Herr Schmidt, Hut
ab!
Vielleicht ist es vermessen zu behaupten, „Sommer vorm Balkon“
habe das für Berlin und den Prenzlauer Berg geleistet, was Amelie
für Paris und den Montmartre tat. Dennoch, es gibt da entzückende
Berührungspunkte, deren amüsanteste sicher die Gesichtszüge
der beiden Frauen Amelie und Nike während der Luftnummern sind, welche
ihre jeweiligen Sexualpartner ihnen im Bette angedeihen lassen. Beide
Frauen, Amelie und Nike sind in hohem Maße attraktiv und unglaublich
begehrenswert, beide auf der Suche, beide eingebettet in ihren Kiez, beide
allein – das letztere scheint uns das einzig Märchenhafte dieses
fulminanten Filmes zu sein. Eines Filmes, der Elemente von Komödie,
Tragödie, Spiel- UND Dokumentarfilm in sich vereint, in einer Symbiose,
die ihresgleichen sucht. Kein Schmus, kein Schmalz, kein Schmachtfetzen,
keine bonbonfarbene Illusion – statt dessen Tiefgang, cineastisches
Schwergewicht, Aussage, Romantik echt und unverfälscht und pur.
Ein wenig schade ist, daß die Filmemacher auf die Szene verzichteten,
in welcher der alte Oskar ein vermeintliches Pin-up-girl in einem Magazin
küßt. Aber das ist kein Pin-up-girl, das ist in Wahrheit Jassir
Arafat. Na gut, das wäre gewagt gewesen. Die Muselmänner sind
da recht intolerant – aber im Konzert des humoristischen Feuerwerks
dieses Streifens wäre eine weitere brillante Rakete explodiert!
„Sommer vorm Balkon“ ist ein Film zum Verlieben. „Sommer
vorm Balkon“ ist ein Vertreter des Besten, was der deutsche Film
zu bieten hat. Ein Muß für jeden, der Berlin und die Berliner
liebt, und die Berliner Gören und die Liebe unter dem Berliner Mond.
Applaus, Applaus. Standing Ovations!
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