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Stahl und Brennabor
Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert

Autorenkollektiv

B. St. Fjøllfross
Die Chur- und Hauptstadt der Mark, die Stadt, die Berlin und Spandau einst ihr von Magdeburg ererbtes Stadtrecht verlieh – sie zählt zu den wichtigsten Städten Ostelbiens überhaupt: Brandenburg an der Havel. Durch die Jahrhunderte war die Dreistadt tonangebend in der Mark. Bischöfe und Markgrafen nannten sich nach ihr – das Haus Hohenzollern wurde mehr und mehr in seinem Kern das Haus Brandenburg – nicht zuletzt, weil in der Neustadt Brandenburg in den ersten Jahrzehnten nach den Städtegründungen auch der markgräfliche Hof angesiedelt war.

Ein traditioneller Wirtschaftsfaktor war Brandenburg zeit seiner Existenz – günstig gelegen an den großen Fernhandelswegen zu Wasser und zu Lande, nicht weit entfernt von Potsdam und der Tochterstadt Berlin.

Eine solche Stadt braucht historische Standardwerke, die ihren Werdegang beschreiben, die Hintergründe der Entwicklungen aufzeigen, mit Statistiken die Dynamik des Entstehens und Vergehens belegen.

Nun sind derer schon einige gewesen, die sich mit der Historie der Chur und Hauptstadt Brandenburg an der Havel befaßten – ganz ohne Zweifel. Alle aber verbindet das nicht auszumerzende Defizit, daß die Übersicht ihrer Werke mit der Gegenwart endet, die für die Autoren zum Zeitpunkt der Niederschrift aktuell war. Propheten kennt allemal nur das Alte Testament.

Ein hochrangiges Autorenkollektiv machte sich nun Ausgangs des letzten Jahrhunderts daran, die Geschichte der Stadt Brandenburg an der Havel im Neunzehnten und Zwanzigsten Jahrhundert zu beleuchten. Diese Epoche ist ungemein wichtig. Sie umfaßt die ersten zaghaften Schritte innerhalb der Stadtmauern hin zu einer bürgerlichen Demokratie, sie umfaßt die stürmische Industrialisierung, die Brandenburg zu einer mächtigen und international bekannten Industriemetropole emporwachsen ließ, deren Produkte noch am anderen Ende der Welt gekannt und gekauft wurden; sie umfaßt die Zeit der beiden Weltkriege, des Hurrapatriotismus und Devotismus vor dem Ersten, der Resignation und des wieder erwachenden Lebensgeistes vor dem Zweiten, die schauerliche Diktatur der Nazis und die mächtig in die Hose gegangene Utopie der Kommunisten.

Eine Synopsis dieser Ära sollte unbedingt das Format eines Standardwerkes haben – denn hier werden nichts weniger als die Wurzeln unseres Gemeinwesens beleuchtet, mit all den daraus resultierenden Handlungshinweisen für die Zukunft.

Beteiligt an dem recht umfassenden Projekt „Stahl und Brennabor“ aus dem Verlag für Berlin und Brandenburg waren fürwahr hochkarätige Leute. Schon die Namen der Herausgeber lesen sich beeindruckend: da ist Gerd Heinrich, urpreußische Nestor der märkischen Historikergilde, da ist Klaus Heß, jahrzehntelanger Chef des Brandenburger Stadtarchivs, da ist der streitbare und hochgelehrte Winfried Schich und da ist der ebenfalls im Dienst ergraute ehemalige Chef des Brandenburger Domarchivs, der profilierte, unverzichtbare, ja geradezu berühmte Wolfgang Schößler. Wer mit brandenburgischer Geschichtsschreibung vertraut ist, den werden allein diese Namen zum Kauf des Buches zwanghaft bewegen.

Die Liste der weiteren Autoren liest sich dann auch wie das Who-Is-Who der märkischen Historikerzunft. Da schreibt die Frau Anke Richter, Nachfolgerin des Dr. Heß im Brandenburger Stadtarchiv, der Herr Respondek – wer wüßte mehr über die alte Brandenburger Bimmelbahn – der Schulspezialist Frank Brekow, die ehemalige Direktorin des Stadtmuseums im Frey-Hause, Frau Kreschel, Karl-Heinz Röhring und Andreas Cante; der Chef des Brandenburger Arbeitskreises Stadtgeschichte, der große Wolfgang Kusior – Brandenburgs lebendiges Gedächtnis und bienenfleißiger Historiker weit über den Ruhestand hinaus; die Chefin des Industriemuseums Sieglinde von Tresckow, die stellvertretende Museumsdirektorin im Frey-Hause, Heike Köhler; der große Ribbe aus Berlin, Herausgeber der Brandenburgischen Geschichte, der stellvertretende Oberlandes-Gerichts-Präsident Wolf Kahl, der Journalist Marcus Alert; die Grand Dame des Brandenburger Journalismus Ann Brünink und und und …
Das sind Namen, die zunächst einmal erschlagen. Die neugierig machen. Die Vertrauen in das Dargebotene erwecken.
Was wird denn nun dargeboten?
Da geht es in Übersichtskapiteln zunächst einmal um solche Gebiete wie Stadtverwaltung und Infrastruktur; Bevölkerung, Politik und Gesellschaft; Kunst, Kultur und Bildung; Gewerbe und Industrie und schlußendlich einen Ausblick in Gegenwart und Zukunft.
Doll.
Doll?
Na ja, Punkt, Punkt, Punkt! Nachdenklichkeit kommt auf.
Für den Laien ist die Fülle des gut aufgearbeiteten und hervorragend dokumentierten historischen Materials überwältigend. Der professionelle Arbeiter im historischen Brandenburger Weingarten des Herren möchte es als Nachschlagewerk nicht missen: „…schauen wir doch mal eben schnell bei ‚Stahl und Brennabor’…“.
Aber für eine tiefgründige Recherche reicht es leider nicht. Immer wenn’s spannend wird, reißt der Film ab… Das, was wir wissen wollen, steht gerade nicht oder nur in groben Umrissen im Buche. Just die Militärgeschichte der Havelstadt, die doch seit des Großen Kurfürsten Zeiten 351 Jahre lang Garnisonsstadt gewesen war, läßt in uns einige Wünsche offen. So nicht übel abgehandelt. Ja, ja. Aber wäre nicht beispielsweise ein Übersichtsplan über die Brandenburger Kasernen hilfreich gewesen? Nur ein einziger Satz für die 43er Pioniere? Herr Kotsch, das ist wenig. Den letzten Überlebenden dieses Regimentes, den Oberschirrmeister Schulz wird es traurig stimmen. Der im Garten des Altstädter Frey-Hauses ruhende steinerne Wachsoldat von der Kaserne in der Gobbinstraße würde dazu nicken, wenn er es denn mit seinem abgeschlagenen Haupte könnte.
Wann wurden denn die Grüne und die Weiße Linie bei der Straßenbahn eingestellt und warum, Herr Respondek? Klar kann ich ins Brandenburger Straßenbahnmuseum gehen, wenn ich das wissen will – aber die Information mit einem Griff einem Standardwerk entnehmen können, das wäre doch auch ganz schön.
Das nur als streiflichtartige Beispiele.
Vielleicht ist „Stahl und Brennabor“ als Übersichtswerk mit Standardwerk-Charakter konzipiert und angelegt worden. Das wissen wir nicht. Die Handschrift aber weist auf diesen Punkt hin. Gewiß, wir stellen hohe, vielleicht zu hohe Anforderungen an das Werk, dessen größter Kritikpunkt für uns seine Inhomogenität ist. Unter Umständen wäre das an eine breite Leserschaft gerichtete Buch bei größerem Aufwand nicht mehr bezahlbar gewesen.
Wir, die wir vom Übervater Tschirch verwöhnt wurden… Wir, die wir für eine Originalausgabe der „Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg“ von 1928 schon mal den persönlichen Ruin riskieren… Was wir uns echauffieren!
Sehr gut ist der Anhang zu bewerten: Zeittafel, Einwohnerzahlen, Oberbürgermeister-Ahnentafel und Ehrenbürger-Auflistung – jetzt wissen wir, woher Wikipedia seine Weisheit bezieht – und ein 1000-Jahresüberblick in Stichworten. Ja, das taugt was!
Auch das abschließende Literaturverzeichnis gibt dem Forschenden wertvolle Hinweise. Ein 13-seitiges Personenregister spart dem Benutzer einiges an Zeit und macht die oben beklagte Inhomogenität um einiges wieder wett.
Die Ausstattung mit Bildern, Illustrationen, Skizzen und Tabellen kann als gut und hinreichend bezeichnet werden. Na ja, wir hätten’s gerne ein wenig üppiger gehabt, zugegeben. Aber desungeachtet bringt es der Foliant auf stattliche 676 Seiten ordentlichen und festen Glanzpapiers. Ein würdiges Format, dem Inhalte gerecht!

Natürlich empfehlen wir das Buch! Es ist in einer ordentlichen Brandenburg-Bibliographie – und hier sei das Land gleichen Namens ausdrücklich mit einbezogen – einfach Pflicht. Wenn eine solche Bibliothek bei der Hand ist, dann kann man sich keine bessere Informationsergänzung vorstellen. Die € 40,- sind ein stolzer Preis, fürwahr. Dieser korrespondiert sicher mit dem Aufwand der Herstellung des Buches, ganz sicher nicht jedoch mit der Zielgruppe, der Bevölkerung der Chur- und Hauptstadt. Anders als der klingende Name es verheißt, ist das Herz der Mark nicht gerade mit Reichtum gesegnet. Möglicherweise rührt auch daher der Spagat. Sehen wir uns beispielsweise die fulminanten Arbeiten zur Geschichte der Neumark des Dr. Christian Gahlbeck an, die in ihrer Qualität und Tiefgründigkeit wirklich bestechen, dann erkennen wir das Dilemma ziemlich schnell. Da bewegt sich so ein Fachbuch schon mal zwischen € 80,- und € 120,-. Die Klientel noch kleiner, das Sujet noch spezieller, das Verlagsrisiko um Größenordnungen potenziert!
Auf dem sogenannten Schmutztitel von „Stahl und Brennabor“ steht geschrieben: Im Auftrag der Stadt Brandenburg an der Havel! Die Stadt wird gewußt haben, was möglich ist und was nicht. Sie hat sich da einen historischen Spiegel bestellt – keinen venezianischen zwar – aber ein solides Stück: es tut seine Dienste.

 

 
B
4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007