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Jettchen Gebert
Märkische Leselust und Brandenburger Kulturfrühling am Brandenburger Theater

 

Großes Foyer im Brandenburger Theater
von links nach rechts: Frau Rita Herzog, Herr Christian Klischat, Frau Jenny Weichert, Herr Hans-Jochen Röhrig

K. K. Bajun
Vor ein paar Tagen erst lud das Frühjahrs-Äquinoktium die liebliche Jahreszeit an das Ufer der Brandenburger Grabenpromenade. In ihrem Gefolge trat eine Quadriga von exquisiten Künstlern im Großen Foyer des Brandenburger Theaters auf, die ein weiteres Mal dem sehr zu Unrecht in Vergessenheit geratenen „jüdischen Fontane“, Georg Hermann, ein zu Herzen gehendes Denkmal setzten. Brillierte Herr Röhrig schon vor Jahresfrist mit dem Stück „Mein Nachbar Ameise“ des Autors, so wurde er nun accompaniert von drei Kollegen der Schauspielzunft, deren Namen auf dem Spielplan allein schon den unbedingten Theaterbesuch erheischen: Da saß Frau Herzog am Klavier. Und wenn ihre Finger dem Instrument verträumte Töne entlocken, wenn unter den riesigen Panorama-Fenstern des Foyers ein paar Blätter auf dem Stadtgraben dahintreiben, umgaukelt von den Strahlen der abendlichen Frühlingssonne – dann möchten wir mit Fausten sprechen: „Zum Augenblicke möchte ich sagen, verweile doch! Du bist so schön!“
Frau Jenny Weichert wurde von Herrn Röhrig und Herrn Christian Klischat in die Mitte genommen. Die dreie waren grandios! Die Auszüge aus dem Roman um die jüdische Waise Jettchen Gebert, welcher ein Porträt des jüdischen, gehobenen Mittelstandes im Berlin um die Zeit des fin de ciecle darstellt, gerieten zu einem Hörspiel der Extraklasse.
Frau Weichert, ich muß bei Ihnen beginnen: Ihre herrliche, angetiefte und mit einem leisen Hang zum Rauchigen behaftete Stimme, Ihr schelmisches Lächeln während des Vortrages, dieses an Lebendigkeit nicht mehr zu übertreffende einander Zuspielen der Textpassagen…haben Sie mal zu Silvester Blei gegossen? Nu, sehen Sie, so schmolz mein Herz dahin, just wie das Blei in der Pfanne, man ist ja so wehrlos! Man ist ja so ausgeliefert! Odysseus am Felsen der Sirenen…- das kann nicht im Mare Nostrum gewesen sein. Der listenreiche Bezwinger Trojas und seine Gefährten müssen mit dem Kiel das Wasser des Bodensees durchschnitten haben, in der Nähe von Tettnang, denn von dort stammt sie, die Frau Weichert … Nein, ich will kein Wachs für die Ohren! Nicht, wenn Sie, liebe Frau Weichert, auf dem Steine sitzend die Saiten Ihrer Stimme zum Klingen bringen. Was danach kommt – völlig egal!
Herr Klischat – also, wie Sie die alte Dame – Tante Mina war’s? – gaben, die alte Dame, die ihr Dienstmädchen bei der morgendlichen Waschung in der Küche überraschte und dies wieder und wieder zum Besten gab mit einem Munde, den kein einziger Zahn mehr zu bewohnen schien – Herr Klischat: wie geht denn das? Gott, haben wir gelacht! Da verwandelt sich in Bruchteilen von Sekunden ein perfekter Charmeur in eine alte, aufgeregt brubblige Madame, kein Kostümwechsel, keine Garderobe, keine Schminke! Menschenskind, wenn das der Georg Hermann hätte erleben dürfen, wie Sie seinen Figuren Leben und Atem einhauchten.
Und unser geliebter Herr Röhrig setzte dem Ganzen das Sahnehäubchen auf! Dieser Mann singt aus dem Moment heraus, er deklamiert, er gibt die handelnden Personen mit dem ihm eigenen Feuer. Läßt sich einen alten, betuchten Juden über einen Fisch auslassen – da ersteht das Schtetl im Foyer des Brandenburger Theaters. Herr Röhrig wählt die Texte aus, gestaltet das Spiel, geht in ihm auf. Nein, liebe Brandenburger, wenn diese Namen auf dem Spielplan stehen, sollte es für keinen kulturverliebten Menschen in der Chur- und Hauptstadt eine Alternative geben. Gar keine!
Da haben also diese vier wunderbaren Künstler die Werbetrommel gerührt für den Hermann’schen Erfolgsroman von vor hundert Jahren: „Jettchen Gebert“. Die Hermann-Bibliothek des Landboten ist noch dünne. Gerade mal der Grenadier Wordelmann hält einsam Wacht. Wir werden dem gebeutelten altpreußischen Soldaten nun das jüdische Fräulein Gebert zur Gesellschaft geben müssen. So liebreizend eingeführt würde es sich schlichtweg nicht gehören, ihr noch fernerhin den Zutritt zu wehren. Und während wir lesen, werden die Augenblicke in uns wieder auftauchen, emporsteigen, verweilen, von denen wir sagen: Sie waren so schön! Danke, meine Damen und Herren Schauspieler und Musici! Danke für Ihre Kunst! Danke für einen herrlichen Frühlings-Sonntagnachmittag!

 
B
4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007