K. K. Bajun
Vor ein paar Tagen erst lud das
Frühjahrs-Äquinoktium die liebliche Jahreszeit an das Ufer
der Brandenburger Grabenpromenade. In ihrem Gefolge trat eine Quadriga
von exquisiten Künstlern im Großen Foyer des Brandenburger
Theaters auf, die ein weiteres Mal dem sehr zu Unrecht in Vergessenheit
geratenen „jüdischen Fontane“, Georg Hermann, ein zu
Herzen gehendes Denkmal setzten. Brillierte Herr Röhrig schon vor
Jahresfrist mit dem Stück „Mein Nachbar Ameise“ des
Autors, so wurde er nun accompaniert von drei Kollegen der Schauspielzunft,
deren Namen auf dem Spielplan allein schon den unbedingten Theaterbesuch
erheischen: Da saß Frau Herzog am Klavier. Und wenn ihre Finger
dem Instrument verträumte Töne entlocken, wenn unter den riesigen
Panorama-Fenstern des Foyers ein paar Blätter auf dem Stadtgraben
dahintreiben, umgaukelt von den Strahlen der abendlichen Frühlingssonne
– dann möchten wir mit Fausten sprechen: „Zum Augenblicke
möchte ich sagen, verweile doch! Du bist so schön!“
Frau Jenny Weichert wurde von Herrn Röhrig und Herrn Christian
Klischat in die Mitte genommen. Die dreie waren grandios! Die Auszüge
aus dem Roman um die jüdische Waise Jettchen Gebert, welcher ein
Porträt des jüdischen, gehobenen Mittelstandes im Berlin um
die Zeit des fin de ciecle darstellt, gerieten zu einem Hörspiel
der Extraklasse.
Frau Weichert, ich muß bei Ihnen beginnen: Ihre herrliche, angetiefte
und mit einem leisen Hang zum Rauchigen behaftete Stimme, Ihr schelmisches
Lächeln während des Vortrages, dieses an Lebendigkeit nicht
mehr zu übertreffende einander Zuspielen der Textpassagen…haben
Sie mal zu Silvester Blei gegossen? Nu, sehen Sie, so schmolz mein Herz
dahin, just wie das Blei in der Pfanne, man ist ja so wehrlos! Man ist
ja so ausgeliefert! Odysseus am Felsen der Sirenen…- das kann
nicht im Mare Nostrum gewesen sein. Der listenreiche Bezwinger Trojas
und seine Gefährten müssen mit dem Kiel das Wasser des Bodensees
durchschnitten haben, in der Nähe von Tettnang, denn von dort stammt
sie, die Frau Weichert … Nein, ich will kein Wachs für die
Ohren! Nicht, wenn Sie, liebe Frau Weichert, auf dem Steine sitzend
die Saiten Ihrer Stimme zum Klingen bringen. Was danach kommt –
völlig egal!
Herr Klischat – also, wie Sie die alte Dame – Tante Mina
war’s? – gaben, die alte Dame, die ihr Dienstmädchen
bei der morgendlichen Waschung in der Küche überraschte und
dies wieder und wieder zum Besten gab mit einem Munde, den kein einziger
Zahn mehr zu bewohnen schien – Herr Klischat: wie geht denn das?
Gott, haben wir gelacht! Da verwandelt sich in Bruchteilen von Sekunden
ein perfekter Charmeur in eine alte, aufgeregt brubblige Madame, kein
Kostümwechsel, keine Garderobe, keine Schminke! Menschenskind,
wenn das der Georg Hermann hätte erleben dürfen, wie Sie seinen
Figuren Leben und Atem einhauchten.
Und unser geliebter Herr Röhrig setzte dem Ganzen das Sahnehäubchen
auf! Dieser Mann singt aus dem Moment heraus, er deklamiert, er gibt
die handelnden Personen mit dem ihm eigenen Feuer. Läßt sich
einen alten, betuchten Juden über einen Fisch
auslassen – da ersteht das Schtetl im Foyer des Brandenburger
Theaters. Herr Röhrig wählt die Texte aus, gestaltet
das Spiel, geht in ihm auf. Nein, liebe Brandenburger, wenn diese Namen
auf dem Spielplan stehen, sollte es für keinen kulturverliebten
Menschen in der Chur- und Hauptstadt eine Alternative geben. Gar keine!
Da haben also diese vier wunderbaren Künstler die Werbetrommel
gerührt für den Hermann’schen Erfolgsroman von vor hundert
Jahren: „Jettchen Gebert“. Die Hermann-Bibliothek des Landboten
ist noch dünne. Gerade mal der Grenadier Wordelmann hält einsam
Wacht. Wir werden dem gebeutelten altpreußischen Soldaten nun
das jüdische Fräulein Gebert zur Gesellschaft geben müssen.
So liebreizend eingeführt würde es sich schlichtweg nicht
gehören, ihr noch fernerhin den Zutritt zu wehren. Und während
wir lesen, werden die Augenblicke in uns wieder auftauchen, emporsteigen,
verweilen, von denen wir sagen: Sie waren so schön! Danke, meine
Damen und Herren Schauspieler und Musici! Danke für Ihre Kunst!
Danke für einen herrlichen Frühlings-Sonntagnachmittag!