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Romeo und Julia
ein Musical, dargeboten vom Brandenburger Jugendtheater
Michael L. Hübner
Zitternd und zagend und von Skepsis
zernagt schlich ich auf Ordre des Preußischen Landboten am Montag,
dem 09. Oktober 2007 in die Studiobühne des Brandenburger Theaters.
Wer das Attribut „wertkonservativ“ auf dem Panier führt,
der barmt angesichts eines Musicals: „Macht mir meinen Shakespeare
nicht zur Minna!“
Machten sie nicht. Haben sie nicht gemacht. Was die heranwachsende Jugend
dort unter der Leitung von Christiane Ziehl inszenierte, war zutiefst
beeindruckend. Überhaupt soll man Kindern und Jugendlichen, die sich
mit Kultur befassen, immer ein ernsthaftes Ohr leihen. Na ja, die Ohren…
Die ersten ohrenbetäubenden Trommelwirbel schienen meine schlimmsten
Antizipationen zu bestätigen, sie waren wohl eine Hommage an die
Kinder, die – scheint’s – nur noch mit dieser Phonzahl
beschallt, verstehen, daß man es gut mit ihnen meint.
Doch schon der nächste Eindruck begann lebhaftestes Interesse zu
wecken. Ein wunderbar plärrender Romeo (Robert Weißbach) greinte
seiner unerreichbaren Rosalinde hinterher. Das juvenile Publikum quittierte
dankbar. Ja, das kennen sie. Hier fanden sie sich thematisiert.
Sie an, sieh da – so also könnte man den Akulturellen der Gegenwart
den an sich ewig jungen, dennoch beinahe ein halbes Jahrtausend alten
Stoff nahebringen. Das sparsamste aber kongeniale Bühnenbild, das
völlig ohne Staffage, wechselnde Kulissen oder sonst dergleichen
arbeitete, zwang regelrecht die Aufmerksamkeit der Handlung zu widmen.
Lediglich die Ränge wurden einbezogen. Ideal für die Balkonszene…Die
Seitenaufgänge des Parketts wurden Teil der Bühne; das Publikum
mittendrin – im wahrsten Sinne des Wortes: mittendrin! Ja, das überzeugte.
Julia war 14, Romeo 16 Jahre alt – endlich, endlich konnte man sich
bei den beiden Mimen Anika Kettelhake und Robert Weißbach vorstellen,
wie das denn wohl gewesen sein muß. Die waren nicht auf pseudojung
getrimmt – das waren große Kinder, Jugendliche! Angesichts
dessen rutschte ich nervös auf meinem Kritikersesselchen umher und
fragte mich ein ums andere Mal: „Ja, Gott, woher nehmen diese fürwahr
sehr jungen Menschen diese überwältigende Professionalität?
Woher nur? Gleich vom Kindergarten auf die Schauspielschule? Ich meine,
Romeo und Julia ist keine Provinzposse, bei der man beliebig improvisieren
kann. Auch im Gewand eines Musicals begegnet uns hier Weltkunst –
für so junge, man möchte dem Alter nach denken, im Metier des
Schauspielers unerfahrene Darsteller eine beinahe unüberwindliche
Herausforderung. Man möchte etwas anrührend Dilettantisches
vermuten, so nach der Art von „Sieben Sommersprossen“. Aber
nein, hier wurde souverän gespielt, professionell und mit Herz.
Ich habe sie alle genauestens beobachtet: ob es die entzückend lispelnde
Amme Annelie Knobloch war, den umhergestoßenen Peter (Marek Trautmann)
– besser war die Rolle nicht zu besetzen – ob es der flapsig-freche
Mercutio Christoph Ziehl war, der die Kinder im Zuschauerraum mit seiner
Coolheit, Pöbelei und puren Stärke für sich in Beschlag
nahm, oder ob der rauflustige Fabian Kausmann mit Force und Bravour den
temperamentvollen Jungitaliener Tybalt gab, ob Vater Capulet (Stefan Drotleff)
oder den Karate-Mönch Pater Lorenzo, gespielt von Klaus Uhlemann
–sie alle zeigten perfektes Spiel bis in die Mimik hinein. Die waren
in der Rolle drin! Die ganze Zeit über, keine winzige Sekunde lang
auch nur einen Aussetzer der Gesichtsmuskulatur. Keinen Hänger, kein
Netz, keinen doppelten Boden, keine Souffleursmuschel... Auch daran erkennt
man Schauspieler!
Bestechend war die geglückte Melange zwischen dem Alten und dem Neuen,
die sich gleichmäßig und dezent durch das ganze Stück
hindurch zog. Angefangen bei der genialen Kostümierung, die den Spagat
zwischen den Forderungen der Renaissance und dem Outfit der Kiddies von
heute glücklich und unaufdringlich hinbekam, bot die musikalische
Performance im gleichen Umfange eine hervorragenden Mix: Das Spinett begleitete
einen Gesellschaftstanz, ein paar Szenen weiter wurden Pop-Rhythmen angeschlagen,
Chor und Soli – hier auch wiederum die kraftvolle Stimme von Frau
Knobloch hervorzuheben – rissen mit. Eine gute Idee, die Band „Hugo
Bros.“ im Parkett live spielen zu lassen, eine exzellente Idee,
die Rollen Romeos und Julias in musikalischer Hinsicht doppelt zu besetzen.
Die Schauspieler spielten und wie aus dem Off kamen ihre Gesangsstimmen
daher. Das sind Einfälle, die das Theater zu beleben vermögen.
Die Kinder im Zuschauerraum dankten zweimal mit Zwischenapplaus.
Das Einzige, was meinen Erwartungen denn doch nicht entsprach, war der
Abschlußapplaus. Die Mimen hatten Heraklisches geleistet. Gejohle,
Gepfeife, Standing Ovations – das alles wäre durchaus opportun
gewesen. Die Kiddies aber klatschten relativ flügellahm. Warum? Weil
der Reife-, nicht so sehr der Alterskontrast zwischen den jungen Leuten
im Zuschauerraum und denen auf der Bühne gigantisch war. Während
Julia ihrem Romeo eine gelungene Balkonszene gab, mußte einigen
Rangen im Parkett das lose Maul und die pubertären Kommentare ernstlich
untersagt werden. Pausbäckige Maiden hielten sich mit stierem Blicke
an der obligatorischen 1,5l-PET-Wasserflasche fest und waren unfähig
den Unterschied zwischen einem Theater und einem popcornvernichtenden
Kino zu realisieren. Selbst diese Unbedarften noch mit der Weltliteratur
von dem unglücklichen Veroneser Pärchen zu erreichen –
darin bestand die große, nicht genug zu würdigende und auch
pädagogisch sicherlich wertvolle Leistung des Ensembles.
Ich würde das Stück gerne noch einmal sehen – diesmal
aber accompaniert von reiferem Publikum, welches zu goutieren in der Lage
ist, was eine famose junge Truppe auf der Studiobühne des Brandenburger
Theaters an unsterblichem Shakespeare bot.
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