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Havelwasser
Ein Kriminalroman von Herrn Jean Wiersch
K. K. Bajun
Mankell hat es uns vorgemacht: Selbst
das kleinste Nest gibt doch noch eine wunderbare Kulisse für einen
ordentlichen Krimi. Es muß also nicht immer eine der Metropolen
dieser Welt sein; das Verbrechen macht auch vor der Provinz nicht halt.
Das mag ja alles gut und schön sein, wenn Detektive mit klingendem
Namen ihre Klientel rings um den Eiffelturm, durch die Londoner Tube oder
just in die Arme der Kopenhagener Seejungfrau jagten – dennoch:
Zuhause bleibt nun mal Zuhause!
Der Landbote ist in der alten Dreistadt Brandenburg an der Havel zuhause
und so haben wir den Erstling eines in der Heimat lebenden und arbeitenden
Polizisten mit großer Neugier gelesen. Und – Donner und Doria!
Der Mann hat nicht enttäuscht! Alle Wetter! Es wäre Unfug, wollte
man Wallander und Langustier, oder gar den Crako des Herrn Kirchschlager
als Vergleichsmaßstäbe heranzitieren. Das ginge gar nicht,
weil der Herr Wiersch da etwas Neues schuf. Der Roman ist nicht bestimmt
von der behäbigen Melancholie der schwedischen Südküste,
nicht von dem kapriziösen Esprit des preußischen Rokoko und
nicht von der ausufernden Grausamkeit inmitten der spätbarocken ostpreußischen
Wälder. Dennoch – er hat so von allem ein bißchen, von
dem einen mehr von dem anderen, zum Beispiel von der humorigen Seite,
etwas weniger – aber das, was wir da an des Buches Ende angekommen
zuklappten, das war eine grundsolide, spannende und hervorragend lesbare
Melange.
Worum geht es? Herr Wiersch hilft der altehrwürdigen Chur- und Hauptstadt
der Mark einen halbitalienischen Hauptkommissar über. Der Gedanke
ist schon mal so abwegig nicht. Ist doch das übriggebliebene Brandenburger
Stahlwerk ebensolche Natur – und eine gute Pizza kann man in der
Stadt auch bekommen. Vor allem aber hält sich hartnäckig das
Gerücht, Brandenburg an der Havel besäße mehr Brücken
als die Lagunenstadt Vivaldis. Die wird sie auch brauchen, denn geradewegs
unter der wichtigsten, bekanntesten, der uralten Jahrtausendbrücke,
die seit jeher die Alt- mit der Neustadt Brandenburg, das Havelland mit
der Zauche verbindet, läßt Herr Wiersch seinen ersten Toten
an Land treiben. Wenn Sie, verehrter Leser den Einband des Buches vor
sich liegen haben, dann sehen Sie direkt auf den Ort des grausigen Fundes.
Da haben wir auch einen Punkt, über den wir des Lobes voll sind:
Sehr gut gelungen ist die Gestaltung des € 12,- teuren Buches. Die
Szenerie bei Nacht, still ruht die Havel in ihrem Bett. Das Verbrechen
ist lichtscheu und der Tote – ruht wahrscheinlich auch.
Nun kann’s ja endlich losgehen: Also – der Kommissar Manzetti
bildet bei seinen Untersuchungen ein spannungsgeladenes Zweigespann mit
einem versoffenen Gerichtsmediziner namens Bremer. Der private Gegenpol
zu diesem dienstlichen Minenfeld, in das Herr Wiersch noch einen karrieresüchtigen
und damit allen unangenehmen Ermittlungen abholden Polizeipräsidenten
einbaut, ist Manzettis heile Familie, die Herr Wiersch mit Kind und Kegel
in oder in die Nähe der ehemaligen Brennabor-Werke hinter dem südlichen
Ende der Neustadt einquartiert. Bei der Zeichnung dieser Konstellation
und ihrer figürlichen Eckpunkte tunkte Herr Wiersch den Pinsel ganz
schön reichlich in den Klischee-Eimer – aber was soll’s!
Man kommt auf seine Kosten. Bloß nicht zu kompliziert geschrieben,
zu facettenreich, zu viel Dialektik an Bord holen – das verunsichert
vor allem den Brandenburger Leser – der Autor kennt seine Pappenheimer.
Wir indes sind überzeugt, daß uns Herr Wiersch bei seinem nächsten
Werke schon etwas parkettsicherer begegnen wird. Das Talent hat er zweifelsohne.
Wir freuen uns schon auf die leisen Zwischentöne und das Mehr an
literarischen Scheinwerfern, welche der geistige Vater Signore Manzettis
um seine Protagonisten postieren wird.
Da fischt man nun den Toten aus der Havel, einen zweiten kurze Zeit später
aus dem nahen Beetzsee, beiden wurde übel mitgespielt. Hinweise auf
eine regelrechte Hinrichtung mit vorheriger Folterung der Opfer verdichten
die Vermutungen, die Verbrechen gingen in diesen Fällen über
das gewöhnliche Maß hinaus. Da steckt Methode dahinter!
Ein gleiches kann man auch getrost vom Aufbau des Krimis sagen. An keiner
Stelle überkommt einen das Gähnen, man ist versucht, ganz wie
bei den Preußenkrimis, das Buch in einem Ruck durchzulesen. Die
Kirchturmuhr schlägt Mitternacht – egal. Die Ehefrau keift
im Halbschlaf ob der brennenden Taschenlampe – völlig wurscht.
Morgen früh raus aus den Federn? Wen interessiert’s? Das ist
es, was einen guten Krimi ausmacht – herzlichen Glückwunsch,
Herr Wiersch – meine Schlafringe um die Augen herum und der Ehekrach
ob des nächtlichen Lesens sind Ihr Orden für hervorragendes
Schreiben!
Ein paar Haken nach klassischem Muster baut er auch noch ein, der Jungautor.
Man kommt ab von der sicher geglaubten Fährte – mehr wird nicht
verraten.
Was beeindruckt ist die warmherzige, von echtem und gelebtem Mitgefühl
bezeichnete Schilderung von Brandenburger Stadtpennern, den Marginalisierten,
den Chancenlosen. Es gibt nicht viele Sujets, die sich dieser Vergessenen
annehmen – und dann auch noch so ehrlich, ungeschminkt und trotzdem
nicht verletzend. Sehr gut ausgearbeitet, fürwahr, und mit dem Herzen
geschrieben…
Nu mal zu unserem inneren Stadtplan, den wir beim Lesen immer mal wieder
bemühen mußten. Es macht Spaß mit Maestro Manzetti in
die Straßenbahn zu steigen. Wir sehen dort nämlich haargenau
dieselben Archetypen, die der Commissario registriert. Es macht Freude
ihm durch die Straßen zu folgen, die wir Häuserzeile um Fassade
in- wie auswendig kennen. Manchmal schummelt er ein bißchen, der
Herr Wiersch und läßt seinen Detektiv wunderliche Sprünge
vollführen – so als er ihn von der Hauptstraße mal eben
wieder zum Slawendorf neben der Krüger-Villa huschen läßt
– aber das ist nebensächlich und außerdem die Freiheit
des Schriftstellers. Ein bißchen verdutzt hat uns auch die auffällige
Nennung eines Automobils, einer Buchhandlung und eines indischen Restaurants
in der alten Reichstein-Villa an der St. Annenbrücke. Nun gut. Die
so geehrten Herrschaften wird’s freuen. Vor allem der Schachzug
mit dem Buchladen war nicht von schlechten Eltern. Die stehen ja jetzt
nachgerade in der Pflicht, nicht wahr…
Aber auch das ist eher ein Grund sich zu freuen, denn diesem Krimi sei
aller erdenklicher Erfolg gewünscht. Denn er ist einfach nur gut
und Balsam auf der Seele des patriotischen Havelstädters, welcher
nicht nur umgeben ist von den Wassern der Havel, sondern auch quälend
von gesamtdeutscher und bundesweiter Ignoranz.
Ob wir dem Herrn Wiersch denselben dauerhaften Erfolg mit vielen weiteren
Werken wünschen sollen, ist uns noch nicht ganz klar: Am Ende zieht
er die Uniform aus und konzentriert sich ganz auf’s Schreiben. Wir
sähen den Krimis eines wirklich talentierten Autors zwar gerne und
mit Hochspannung entgegen – das wäre nicht das Problem. Aber
– Brandenburg mag einige gute Schreiber haben, dagegen viel zu wenige
Polizisten. Und wenn der Herr Wiersch als Polizist so gut ist wie als
Krimi-Debütant, dann wäre das für die märkischen Gauner
ein größeres Vergnügen, ihn als Bedrohung zu verlieren
als für uns ihn als künftigen Stern am Brandenburger Krimihimmel
zu gewinnen. Trotzdem: Es hat Spaß gemacht das Buch zu lesen, es
hat Spaß gemacht darüber zu berichten und deshalb – dem
Autor und dem Buche – viele, viele zufriedene Leser!
Jean Wiersch
Havelwasser
Brandenburg Krimi
Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel
1. Auflage 2007
ISBN 978-3-935263-45-0
€ 12,- |