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Der
Raub der Sabinerinnen
Eine Komödie am Brandenburger
Theaters
K. K. Bajun
Ein rammelvolles
Haus! Das war der erste Eindruck. Und der tat so gut. Ach, ist das schön,
wenn das Brandenburger Theater aus allen Nähten platzt. Von JWD sind
sie angereist, manche gar aus 500 km Entfernung. Na klar – Katharina
Thalbach als Magnet! Das konnte einfach nicht schief gehen. Herr Röhrig
in einer Hauptrollenbesetzung, wunderbar – aber dazu kommen wir
später.
Die Frage lautete: Kann eine „Klamotte“, die zum wesentlichen
Inhalt eine „Schmiere“ hat, unter den Händen kundiger
Mimen zu einer properen Komödie avancieren? Sie konnte! Sie konnte!
Sie konnte! Ach, das Gefühl ist unbeschreiblich wieder in einem Theater
der Alten Schule zu sitzen! Die Kulisse – hausbacken, lauschig,
wunderbar. Die Kostüme – ganz das plüschige, verspießerte
fin de ciecle. Die hehre Muse der tiefschürfenden, der philosophischen,
der anspruchsvollen Kunst legte einmal das ernste Szepter nieder und –
lächelte.
Sie halten mich wohl für einen Protagonisten des Ohnsorg-Theaters?
Nee, Gott bewahre! Denn was Brandenburg an jenem Abend des 26. Januar
2007 bot, war jenseits aller billigen Verwechslungsburlesken, aller nervtötenden
Platitüden, mit denen uns die Elbesträndler so permanent zusetzen.
Hier wurde das scheinbar Seichte zur Kunst erhoben – zum Witz, zum
Quell, aus dem Frohsinn und Heiterkeit sprudelten.
Das Publikum dankte mit 14 Zwischenapplausen – statistisch gesehen
etwa alle acht Minuten Beifall! Und es war beileibe nicht nur die überragende
Frau Thalbach in ihrer Doppelbesetzung als Theaterdirektor Striese und
dessen kleiner, zuckersüßen Frau, es war nicht nur unser brillanter
Herr Röhrig in der Rolle des Professors Gollwitz (übrigens Herr
Röhrig, der Lektorin des Landboten haben Sie ganz gehörig den
Kopf verdreht: Sie gestand uns nach der Aufführung ein, sich unsterblich
in Sie verliebt zu haben…) – nein, das ganze Ensemble konnte
die Begeisterung aus dem Publikum herauskitzeln!
Zwei Szenenbilder nur…, ein mechanischer Kakadu, der unbeholfen
mit den Fittichen schlug und seinen trockenen Senf zur Handlung gab, unsterbliches
Pathos beim Deklamieren würdiger Stücke, Augenrollen, Schmachten
und stürmische Hingabe – und dann: Mozart! Ganz gequetscht
kam er `rüber, der Don Giovanni: für keine Prager Oper hätte
ich diese Töne hingegeben! Ich tippe diese Zeilen in Erinnerung an
jene Szene und die Tränen netzen auf’s Neue die Augen. Wie
gut daß ich Zehn-finger-blind schreibe.
Hier wurden Sehnsüchte greifbar gemacht, Omas alter Kachelofen angeheizt
und das Feuer in unseren Herzen knisterte so recht lustig und spritzig
vor sich hin. Die Seele rekelte sich in Wohlbehagen. Theater! Keine überdrehte
und aberwitzige Skurrilität, auf das die Namen des Autors, Regisseurs,
Intendanten schreckhaft klingend in aller Ohren bleiben mögen –
ganz harmloses, liebevoll in Szene gesetztes, einfaches Theater zum Wohlfühlen.
Zum Liebhaben. Zum Dankbarsein. Ob die Nostalgie mit mir durchgeht? Ich
glaube nicht. Es ist dieses Vertraute, dieses Sich-damit-identifizieren-können,
dieses Losgelassensein und entspannt und herzhaft lachen können,
das die Tränen über die Wangen kullern. Wir sehen in einen Spiegel,
sehen uns mit all unseren Pickeln und Macken und runzeln einmal nicht
die Stirne. Die Schauspieler machen uns über uns selbst lachen. Was
für ein göttliches Geschenk!
Anfangs warf ich die Frage auf, ob sich eine Klamotte in eine solide Komödie
zu wandeln verstünde. Eine Klamotte aber hört auf, ihr tristes
Dasein als Schunkelschwank zu fristen, wenn sie die Schwächen und
den Alltag von vergesellschafteten Individuen mit linder Hand überzeichnet,
wenn sie das Ernste ins Komische übersetzt und dem Ernsten damit
die Spitze bricht. Das hat „Der Raub der Sabinerinnen“ am
Brandenburger Theater geleistet. Dieses Theater, das sich mit dem Stück
einer Provinzposse selbst ein wenig belächelte, bezog hinter dem
lustigen Vorhang die Liga der hervorragenden Häuser, die es sich
leisten können, mit der „Schmiere“ zu kokettieren, weil
sie ihre Wurzeln nie verleugneten.
Mir ist eine Filmszene erinnerlich, in der ein amerikanischer Großindustrieller
in seinem Büro sitzt, in der Chefetage eines Wolkenkratzers, unter
ihm die Dächer von New York, hinter ihm, nein – über ihm:
das Porträt des Großvaters. Stolz steht er da, der Großvater,
mit seinen lausigen Lumpen am Leibe – aber das Photo, das hat er
von seinen ersten paar hart verdienten Dollars in der Neuen Welt anfertigen
lassen. Da steht er nun. Er, das Fundament der Macht seines Enkels. Das
ist das Bild, das ich vor mir sah, als ich dem „Raub der Sabinerinnen“
beiwohnte. Das läßt mich die Hand an den Rand des Zylinders
legen und den Hut mit tiefer Verbeugung ziehen. Einer Verbeugung vor dem
Großvater „Schmiere“, eine Verbeugung vor den Schauspielern,
die mit großer Kunst und großen Opfern, oft verlacht und geschmäht
und dennoch ungebrochen ihre Kunst darboten und sublimierten – bis
ein Theater vor uns erstand, über das niemand mehr zu lachen wagt.
Frau Thalbach, Herr Röhrig, liebe erstklassige Mimen einer wundervollen
Klamotte – gehen Sie nicht ans Burgtheater – auch wenn sie
gerufen werden! Bleiben Sie bei uns – ihrem Publikum! Denn wo wir
zusammen kommen – da ist das Burgtheater. Mitten in Brandenburg!
Nirgendwo sonst!
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