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Das Chorscheitelfenster zu St. Pauli (II. Teil)


K. K. Bajun
Es ist der Traum vieler Kinder: Hinten, in Großmutters verwunschenem Garten müßte doch eigentlich ein Schatz vergraben sein... Für die Stadt Brandenburg an der Havel hat sich dieser Traum erfüllt. Bereits am 10. Juno 2007 berichtete der Preußische Landbote in seiner Rubrik „Kultur“ über die Rückführungsbemühungen bezüglich des Chorscheitelfensters von St. Pauli.
Während der mörderischen Kampfhandlungen um die gequälte Domstadt wurde das Fenster von einigen verantwortungsbewußten Menschen noch rechtzeitig ausgebaut und in Sicherheit gebracht. Mit christlicher Barmherzigkeit nahmen sich zunächst die Gemeinde zu St. Gotthardt und dreißig Jahre später die Nachbargemeinde zu St. Katharinen des Kunstwerkes an.
1975 in das Chorscheitelfenster zu St. Katharinen eingehängt, kam es seiner geringeren Größe und des vorgelagerten Altares wegen kaum zur Geltung.
Nicht die Stirne runzeln, wenn der letzte Satz denselben Wortlaut hat wie der gleichlautende Abschnitt im Wikipedia-Eintrag zum St. Paulikloster: Beide sind aus meiner Hand – ich kann es mir leisten, bei mir selbst zu nassauern.
In jenem Wikipedia-Beitrag ist auch alles Wissenswerte über das Fenster und seine Bestimmung nachzulesen – wir wollen das nicht auseinanderziehen wie einen Kaugummi.
Am 18. Oktober 2007 beehrte Herr Privatdozent Dr. Frank Martin vom Corpus Vitrearum Medii Aevii zu Potsdam (für alle des Lateinischen Unkundigen: Gläserkörper des Mittelalters), accompaniert von drei bezaubernden Studentinnen der Technischen Universität Berlin das Kloster, um den Brandenburgern den neuesten Sachstand zur Beforschung der mittelalterlichen Glasmalkunst am Beispiel des Brandenburger Chorscheitelfensters zu St. Pauli vorzutragen. Das Chorscheitelfenster bekam durch die fachkundigen Erklärungen beinahe ein neues Gesicht. Details, die sich dem Laien oftmals verschließen, wurden exponiert. Gebannt lauschte man über beinahe anderthalb Stunden den Ausführungen des Gelehrten und seines wissenschaftlichen Nachwuchses.
Beim Chorscheitelfenster handelt es sich wirklich und wahrhaftig um eine ostelbische Preciose, die im Märkischen den Vergleich mit ihresgleichen nicht zu scheuen braucht. In mittelalterlicher Tradition werden typologisch Szenen des Alten und des Neuen Testamentes gegenübergestellt, um die „Rechtsnachfolge“ des neuen Bundes der Christenheit mit Gott auf ein solides theologisches Fundament zu hieven. Gleichsam prophetisch sollten Stellenzitate des Alten Testamentes auf Geschehnisse verweisen, die im Neuen Testament beschrieben werden. Da sucht beispielsweise Jona durch seinen Opfersprung in die Tiefe des Meeres den Sturm zu beruhigen, der die Menschen auf seinem Schiffe bedroht. Drei Tage muß er im Bauche des Walfischs ausharren, bis die See ihn wieder freigibt. So opfert sich auch der Sohn Gottes, um den Fluch der Erbsünde von den Menschen zu nehmen. Drei Tage liegt er im Grabe, bis er auffahren darf zu seinem Vater im Himmel. Schroff aber kunstvoll inszenierten die Alten das Thema, eine bislang unbekannte Werkstatt restaurierte und ergänzte um 1850 herum fehlende oder verwitterte Fenstertafeln ebenfalls mit kundiger Hand, drückte ihr aber den idealisierenden, verweichlichten und etwas süßlichen Stil des 19. Jahrhunderts auf. Wir danken Herrn Dr. Martin für diese hervorragende verbale Vorlage, die wir besser nicht hätten formulieren können.
Was uns besonders freut, ist, daß die Gestalter der Präsentation auch bei uns Anleihen nahmen: Die Bildmontage, welche die Kirchenruine neben dem restaurierten Klosterkomplex zu St. Pauli aus der Richtung der Abtstraße zeigt, stammt von Herrn Michael L. Hübner, der sie für den Preußischen Landboten angefertigt hatte und den Wiki-Commons zur allgemeinen Verwendung, unter anderem zum Gebrauch in der Online-Enzyklopädie Wikipedia zur Verfügung stellte. Daß nun auch eine so ausgewiesene Gesellschaft wie die Technische Universität Berlin und das CVMA die Montage in ihren Vortrag einflochten, gereicht uns zur Ehre und macht uns ein wenig stolz. Es beweist die alte Erkenntnis, daß viele Menschen, die sich auf unterschiedlichen Wegen einem gemeinsamen Ziele widmen, Großes zu stemmen in der Lage sind. Unsererseits begreifen wir diesen unseren geringen und ungeplanten Beitrag als Ergänzung zu unseren finanziellen Spenden zugunsten der Rückführung des Fensters.
Wir freuen uns ganz besonders auf den Tag, an dem wir das Fenster an seinem alten, angestammten Platze bewundern dürfen. Ein gehobener, heimgekehrter Schatz mehr in einer Stadt, der wahrlich genug geraubt und gestohlen wurde. Ein Grund zum Feiern, denn manchmal erfüllen sich Kinderträume an den unverhofftesten Orten.


Klosterruine (links) und restaurierter Klosterkomplex im Jahre 2007 (rechts)
Photographien und Montage: Michael L. Hübner, Preußischer Landbote

 
B
4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007