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Die Flucht
S. M. Druckepennig
Na bitte! Zweiundsechzig Jahre hat’s
ja immerhin gedauert. Nun ist das letzte große Kriegsthema in der
Öffentlichkeit angekommen. „Die Flucht“ – ein Spielfilm
in Form eines etwas verkitschten Melodrams, welches kein Klischee ausläßt,
flimmert in den ersten Märztagen 2007 wieder und wieder über
deutsche Bildschirme.
Wieviel Schweiß muß das in den Spitzenrunden der deutschen
Medienlandschaft gekostet haben, bis man sich durchrang, den Verbänden
der Heimatvertriebenen das Monopol auf das Gedenken an die Flucht aus
den als allzu oft revanchistisch gebrandmarkten Händen zu nehmen.
Waren die Filme, die den Gröfaz als Filmgestalt salonfähig machten,
wie bei Bruno Ganz oder dem etwas nebulösen Speerbiographien-Titel
„Speer und er“, waren das etwa Versuchsballons, wie Kino-Michel
auf den Drittes-Reich-Retrospektive-Zug aufspringt? Was dort behandelt
wird, ist notwendig, gar keine Frage. Daß die Polen und die Russen
und die ganze geopolitische Lage eine frühere, von allen ernstzunehmenden
Seiten ernstgenommene Verfilmung kaum zugelassen hätten, versteht
sich beinahe von selbst.
Da sich unendlich viele Michels schuldig fühlen und nach Art der
Nackten Affen versuchen die Schuld zu verdrängen und sich lieber
wieder auf die bestialischen Russen, die polnischen Henkersknechte und
den böhmischen Mob besinnen, hätte vor wenigen Jahren, als noch
mehr dieser vernagelten Michels nicht nur lebten sondern auch Macht und
Einfluß besaßen, dieser Streifen bestenfalls in das genehme
Horn getutet, und die ersten zaghaften Stege über die Oder gleich
wieder in die Luft gesprengt.
Natürlich ist klar, daß dieser Film ebenfalls ein Pilotprojekt
ist; eines, das jedes Klischee einzubauen verpflichtet ist und das ganze
auch noch für die an Hollywood und seinen cineastischen Mist gewohnten
Zuschauer auch mit dem entsprechenden kitschigen Sabber versorgen muß
um auch die, denen das Leid der Vertriebenen scheißegal ist, bis
zum Schluß bei der Stange zu halten.
Das klatscht uns richtig ins Gesicht: die „großen Familien“
werden ihrer Verantwortung gerecht und suchen die „Kleinen“
zu retten. Da die Männer den Krieg angezettelt haben, gehört
es sich, daß sich wenigstens einer von den Häuptern der großen
Familien beim Eintreffen der Russen erschießt und der Nächste
nach dem Kriege in Bayern erhängt. Alles bleibt wieder einmal an
den Frauen hängen. Ach süße Wild-West-Treck-Romantik.
Die schnieke und resolute Maria Furtwängler kehrt als Lena Gräfin
von Mahlenberg verkleidet auf das heimatliche Gut zurück und übernimmt
die Leitung des Trecks in die Freiheit. Natürlich spuckt man auf
die bitterbösen Nazis – sicherlich nicht zu unrecht. Aber damit
simplifiziert man die Sache unzulässig. Ja doch, auch ein Molleken
Doof in Form einer gläubigen Nationalsozialistin namens Babette wird
produziert, die dann ihre Hitlergläubigkeit mit gewaltsam gespreizten
Schenkeln unter vertierten Russenleibern abbüßt. Ach Gott,
wie mag es den in Wirklichkeit vergewaltigten Frauen ergangen sein? Wie
mag es den echten einfachen „Russkis“ ergangen sein, die von
Stalingrad bis Ostpreußen Schritt für Schritt die Hölle
durchliefen, immer die Gedanken an die eigenen von der Wehrmacht, der
Waffen-SS oder den Sondertruppen von SS und Gestapo vergewaltigten, verschleppten
und ermordeten Frauen und Kinder vor dem inneren Auge. Die Russen waren
stets besoffen. Verdammt noch mal, das wäre ich vor dem Hintergrund
dieser Erlebnisse auch gewesen!
Was wollt ihr denn? Euer verlogenes Bild vom britischen Gentlemansoldaten,
vom schneidigen und herzensbrechenden Franzosen, der im Film „Die
Flucht“ selbstredend die Führung über die anderen Kriegsgefangenen
übernimmt und am Ende wirklich ein fescher Besatzungsoffizier ist?
Wollt ihr das Bild vom alles könnenden Ami, dem keine Heldentat zu
schal ist, um sie auf der Leinwand zu bringen? Hängt euch Uncle Sam’s
Märchenstunde nicht langsam zum Halse raus? Egal – genau das
bekommt ihr aber geliefert. Weil ihr immer noch der schnulzenverliebte
Michel seid!
Der russische Kriegsgefangene ist im Gegensatz zu den kämpfenden
Rotarmisten so ein richtiger Knuddel-Iwan, der sich, nicht zu Unrecht
vor seinen noch bewaffneten Landsleuten so sehr fürchtet, daß
er es vorzieht, ins Nazi-Reich zu fliehen, bevor er zu den eigenen Leuten
stößt. Kann was dran sein – aber die gesamte Art und
Weise, wie der Russ’ überhaupt gemalt wird, da hätte auch
Goebbels seine Freude dran gehabt. Hätte dem hinkenden Oberdemagogen
glatt einen Propagandafilm erspart.
Ja, es sind viele eingebrochen auf dem Kurischen Haff, sind jämmerlich
im eiskalten Wasser ersoffen, erfroren, wurden von Tieffliegern beschossen.
Waren die hinterher wirklich noch so wohlgenährt und in so saubere
Lumpen gekleidet?
Das alles hatte den Realismus einer amerikanischen Heldensaga –
also gar keinen. Und obwohl der Film sicherlich auf einem Beraterstab
von Historikern und authentischen Zeitzeugenberichten aufbauen konnte,
wurde ich das Gefühl nicht los, als sei das Ganze ein eher eine Rühr-Schmiere
statt einer späten Würdigung der Opfer von Krieg und Vertreibung.
Beispielgebend für die Beleuchtung dieser finstersten Ära der
deutschen Geschichte ist der Film „Der Pianist“. Zeigen, wie
es wirklich war – und in die Tonne mit den geschönten Bildern
– auf allen Seiten. Romantikdusel schützt uns nicht vor dem
Grauen des nächsten Krieges! Nur das Grauen in den Herzen der Menschen.
Dort muß es hin – so inhuman diese Forderung klingen mag.
Das leistet „Die Flucht“ mitnichten. Also laßt uns den
Streifen ad acta legen. Als Türöffner sollte man ihm seinen
Platz in der deutschen Nachkriegs-Filmgeschichte zubilligen. Mehr nicht.
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