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Canta in Prato
ein bezaubernder Streifzug durch alte Musik

K. K. Bajun
„Ej, watt hast’n da für Musik uff deinen MP3-Plejer?“ So fragt die kleine Wasserstoffperoxid -blondierte Göre mit dem für ihr Alter viel zu großen Ausschnitt ihren Kumpel an der Bushaltestelle. Dieser glotzt verständnislos zu ihr hin. Von den Lippen ablesen kann er nicht. Und hören tut er auch nichts. Wie auch! Das tut aber nichts. Seine aparte Begleiterin entwindet seinem rechten, mutmaßlich geschädigten Gehör einen kleinen Lautsprecher um ihn in die eigene Ohrmuschel einzuführen. Darauf beginnt sie rhythmisch in den Knien einzunicken und mit dem Becken zu schaukeln, über dem sich dicke Hautwülste dem unappetitlich engen Rock entwinden. Die Sauerkrautstampfer beginnen das Pflaster zu treten, so daß eine erschreckte Spinne eiligst die Richtung ändert. Ja, was hat er denn nun für Musik, der Knabe mit dem schiefen Basecap und den Basedow-Augen und der Zigarette in der Hand? Gar keine!
Es ist nur dieses unartikulierte Gegröle in einem Ghetto-Slang, den wahrscheinlich selbst hartgesottene Amis nicht mehr verstehen, unterlegt mit den alles entscheidenden Urzeit-Rhythmen, nach dessen Gewummer sich schon unserer Ureltern vor dreihunderttausend Generationen in halbdunklen Höhlen zum Schein des Lagerfeuers berauschten.
Musik? Nee, Musik ist was anderes. Die rechte Musik kommt einher mit ihrer Zwillingsschwester – der Harmonie, auf leisen, zarten Wegen. Die Dame Musica ist eine Fee. Lassen wir also die beiden offensichtlich geistig recht sparsam ausgestatteten Vertreter der deutschen Jugend zitternd und schwankend auf den Bus warten, während sie ihr Gehör restlos ruinieren, und die junge Maid dieser zu erwartenden Kalamität mit ihrem viel zu kurzen Leibchen noch einen anständiges renales Versagen und eine chronische Blasenentzündung hinzu addieren möchte. Die Ärzteschaft wird’s freuen. Wir freuen uns statt dessen einer CD, die wir jüngst in die Hand bekamen und die den italienischen Titel Canta in Prato trägt. „Canta in Prato, ride in Fonte…“, Singe auf der Wiese, lache an der Quelle… So beginnt ein Stück von Gottes Minister für abendländische Instrumentalmusik – dem Prete Rosso, dem venezianischen Titanen der Töne, Antonio Vivaldi. Ja da lacht uns auch das Herz! Denn hier, hier begegnen wir dem, was unser Blondchen vergebens bei ihrem Kompagnon nachfragte: Musik!
Die Cappella Stravagante bringt Gesänge, Tänze und Arien der Alten zu Gehör. Das ist Musik, hört ihr wohl? So hört sich Musik an!
Antonio Vivaldi, Heinrich VIII. von England, William Cornyshe, Michael Praetorius, Anthony Holborne, Johann Michael Bach I., Schwiegervater DES MEISTERS, Claudio Monteverdi, Allessandro Scarlatti, Domenicos Vater, und das berühmte Greensleves aus dem England des 16. Jahrhunderts verwöhnen unsere Ohren mit grandiosen Klängen. Die acht Musiker des Ensembles lassen ihre Instrumente jubilieren, die Sopranistin Frau Freyburg bringt ihre wunderbare Stimme ein – ach es ist beinahe undenkbar, die CD zu hören ohne vorher die schwere Brokatdecke aufgelegt zu haben, geziert von einem glitzernden Rotwein in den langen und zierlichen barocken Weinflöten. Das ist so die rechte Stimmung dazu.
Mr. Holbornes Image of Melancholly – Vivaldis unsterbliche Klänge, Scarlattis Kunst, es gibt doch Menschen die mit Noten zu malen verstehen. Und dann gibt es diese Seligen, die es verstehen, solche Gemälde ihren Instrumenten oder ihrer Kehle zu entlocken. Da brummt das Cello, den Takt tänzelt zierlich das Clavizimbel dazu, warm quakt die Flöte, tirillieren die Violinen, wehmütig klagt die Gambe.
Wenn es etwas Gottähnliches am Nackten Raubaffen gibt, dann ist es wohl seine Fähigkeit, der Welt harmonische Töne zu schenken, Töne, die eine Bereicherung sind, die sich einfügen in das Weltenganze. Tönen, denen man hinterher lauscht, insofern das Gehör dazu noch in der Lage ist. Der Bus hat die junge Gake und ihren Galan auf- und mitgenommen. So fahren sie dahin – zerprügeln ihr Gehör und dumpfen in einer unwirtlichen Finsternis von Gedröhn und Gewummer dahin. Es sind bemitleidenswerte Kreaturen. Uns aber vermitteln sie die Erkenntnis, wie wir geadelt sind mit unserem Vermögen, feine Musik zu hören und mit dem Herzen zu begreifen. Solche feine Musik hat uns die Cappella Stravagante gemacht und Günter Hänssler hat’s herausgegeben. Dafür gebührt den Damen und Herren Musici und dem Herrn Verleger unser Dank und mit ebensolchem Danke wollen wir die ehren, die vor uns waren und uns dieses hinterließen.

Canta Prato
Cappella Stravagante
2007 by Profil Medien GmbH
D-73765 Neuhausen
http://www.haensslerprofil.de
Edition Günter HänsslerPH07068

 

 
B
4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007