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Hamlet
Eine Aufführung der Schauspieltruppe „Das Poetenpack“ im Rahmen des Sommertheaters
Paulikloster Brandenburg an der Havel


Herr Kuhn (Hamlet) und Frau Wehmeyer (Ophelia)

Michael L. Hübner
Königlicher Besuch in Brandenburg an der Havel ist selten. Das letzte Mal, daß uns ein gekröntes Haupt aus dem Norden beehrte, das war am 11. Dezember 1632. Da lag der tote Löwe aus Mitternacht, König Gustav Adolf von Schweden, aufgebahrt in der Hauptkirche der Neustadt, St. Katharinen. Deren Turm grüßt die paar Meter hinüber, nach dem Paulikloster, wo wir am Abend des 11. Oktober 2007 wiederum hohe Gäste bei uns begrüßen dürfen – der Dänische Hof ist angereist. Nun ja, nicht der aus Kopenhagen um Königin Margarete herum, sondern der aus Helsingör, der Hof um den Dänenprinzen Hamlet.
Shakespeare hat die unsterblichen Verse geschrieben, oder ihnen zumindest den Namen geliehen – egal – Hamlet ist Weltliteratur, ist Weltbühnenkunst.
Oft habe ich dieser Tragödie zugeschaut, eine englische Schauspielertruppe gab ihn einst in der Kathedrale von Hereford; die Verfilmungen von Franco Zefirelli und Kenneth Brannagh waren fulminant.
Die Aufführung aber, welcher das Schiff der Läutkirche des ehemaligen Brandenburger Dominikanerklosters Dach und Heimstatt bot, machte – sprachlos.
Ganz große Schauspielkunst, ganz großes Theater… Begeisterung, ringe um Worte!
Eine Schauspieltruppe, kein festes Ensemble – nennt sich „Das Poetenpack“ – kam zusammen für den Hamlet und sie spielten, spielten, spielten – wessen Auge trocken blieb, der hat kein Herz und keinen Sinn für hohe Kunst.
Einen solchen Prinzen von Dänemark wie Herrn Tilmar Kuhn vermutet man wohl auf den großen Bühnen dieser Welt – aber er kam zu uns. Er zeigte uns ein Minenspiel, eine Gestik, eine Hingabe an die Rolle, die uns des Atems beraubte. Welch eine souveräne Beherrschung dieser unendlich schwierigen Rolle! Alles, aber auch alles, was der Mann aus Stratford an Wissen und Hintergrund über die menschliche Seele an den tragischen Königssohn geheftet hat, trat heraus aus dieser Darstellung. Lieber Herr Kuhn, wenn unser geistiger Vater Tucholsky vor Pallenberg in die Knie ging, wir tun’s vor Ihnen.


Hamlet und König Claudius (Ralf Bockholdt)

Doch sind wir schon in medias res, zu voreilig, zu rasch sicherlich. Sparsam aber effektiv präsentierte sich die Kulisse. Die Kostümierung war eine Reminiszenz wohl an die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das machte neugierig. Es zwang die Sinne der Handlung zuzuwenden. Die ersten Worte gesprochen, schon war klar, daß hier eine Truppe von Spitzenkönnern auftrat. Erste Garnitur. Der schlangenhafte König Claudius (Ralf Bockholdt) und Königin Gertrud (Iduna Hegen); eine herrlich trotteliger und intriganter Polonius (Stephan Maria Fischer) und dessen mannhafter Sohn Laertes (Andreas Hueck), die(!) kleine Horatio (Anja Reßmer), die beiden wirklich tragikomischen Rosenkranz (Stefan Peetz) und Güldenstern (wiederum Andreas Hueck) – eine grandiose Besetzung. Welche Inbrunst, wie haben sie sich in perfektem Ausdruck und Gestus gefangen nehmen lassen von ihrer Botschaft!


Hamlet und Königin Gertrud (Iduna Hegen)

Warum ich Ophelien noch nicht erwähnte? Weil… weil… gütiger Gott, weil das Herze brannte, wenn sie die Bühne betrat! Paula Wehmeyer gab der Liebe Hamlets – und nun wohl auch der meinigen – Gestalt und Zunge. Und wohin sie ihre Schritte setzte, da wurde es warm im Raum. Wer kann so den Wahnsinn des in der Seele zerrütteten Mädchens spielen? Wer kann so kokett einher hüpfen, Unschuld und Übermut, Traum und Untergang. Anbetungswürdig – fürwahr! Bravo, Bravissimo!
Ein wenig ging uns Yorick verloren. Die berühmte Schädelszene ein wenig zu blaß; doch tausendmal ausgeglichen, durch die Erscheinung des väterlichen Geistes, ganz Stimme, nur Chor, körperlos, unsichtbar.
Der Auftritt der Vaganten am königlich-dänischen Hofe schlug die Brücke zu den Amphitheatern der Antike.
Eine kleine, überschaubare Truppe gibt solch ein Drama voll elementarer Wucht. Das fordert Doppel- ja Drei- und Vierfachbesetzungen. Hier wird die Meisterschaft der Schauspielkunst eingefordert – hier wird sie geboten.
Es ist wohl Tradition, daß die Schauspieler sich am Ende des Stückes vor ihrem Publikum verneigen. Hier aber hätte es anders herum sein müssen. Würde das Fernsehen die Seelen der Menschen nicht so verbeulen, sie hätten wohl erfaßt, was ihnen an jenem Abend begegnete. Sie hätten sich ihrerseits erhoben, sie hätten sich tief, sehr tief vor der kleinen, Großen Truppe verbeugt. Sie hätte sich verneigt vor dem Einmannorchester Simon Anke und seinem winzigen Schifferklavier, seiner Flöte und seinem Schlagholz und vor allem vor seinem wunderbaren unter die Haut gehenden Baß.
Der Preußische Landbote steht auf. Der Preußische Landbote verbeugt sich, den Dreispitz tief gezogen. Wir danken für und verbeugen uns vor echter Theaterkunst und den Eleven der Muse Melpomene, die im Paulikloster zu Brandenburg viel Ehre einlegten für ihre attische Schutzgöttin. Und, liebe Frau Wehmeyer: nicht alles Klopfen und Trommeln war den Händen Herrn Ankes geschuldet. Das ungestüme, rasche, das an wildes Pochen mahnende – das muß wohl aus meiner Brust entflohen sein – jedesmal, wenn Sie die Bühne betraten.



 

Das Poetenpack
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B
4. Volumen
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