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Die
Erfindung der Currywurst
Ein Gastspiel des Ernst-Deutsch-Theaters
Hamburg mit einem Schauspiel von Uwe Timm
K. K. Bajun
Sieh da – die Chur- und Hauptstadt
bekommt Besuch; die größte Privatbühne Deutschlands gibt
sich die Ehre und bringt uns nahe, wo die allseits beliebte Currywurst
ihren Ursprung hat. „Mensch, bei Konopke, Berlin, Danziger Ecke
Schönhauser, natürlich…!“ werden Sie rufen. Ehrlich
gesagt, das dachten wir bisher auch. Der Autor Uwe Timm aber sah das anders:
Die von der Oberschicht geschmähte, vom pseudoproletarischen Herrn
Altkanzler Schröder und dem Röhrbarden Herbert Grönemeyer
halbwegs salonfähig gemachte Delikatesse ist natürlich in Hamburg
erfunden worden. Klingt irgendwie logisch. Deutschlands Tor zur Welt,
Hafen, Gewürzhandel, Curry…
Also siedelt Herr Timm eine Liebesgeschichte in vielfach gefährlicher
Zeit in Hamburg an, in der Zeit kurz vor und kurz nach dem letzten großen
Kriege, in der Zeit der Bomben und des Schwarzmarktes, in der Zeit der
Blockwarte, Denunzianten und der Menschen, die unverwüstlich den
Kopf über Wasser hielten und Tag für Tag das Kunststück
des Überlebens fertigbrachten.
Ein junger Matrose wird zur Wehrmacht befohlen, die Engländer stehen
schon in Bremen, er hat einen Tag Fronturlaub in Hamburg. Na, was machen
wir mit dem einen Abend? Kino? Tja, was sonst? Bombenalarm, Bunker, der
Matrose stolpert über eine attraktive Frau, die seine Mutter gut
und gerne hätte sein können – sie nimmt in mit zu sich.
Liebesnacht, nächster Morgen – ach das Leben kann so schön
sein. Muß man es dann in den letzten Tagen wegwerfen? Muß
man nicht. Die Frau (anbetungswürdig gespielt von der Enkelin des
großen Heesters, Frau Saskia Fischer – Opa hätte mit
Sicherheit am Schluß auch getrampelt…!) versteckt also ihren
kriegsmüden Hermann (Herr Krämer hatte die Müdigkeit leider
etwas zu sehr verinnerlicht) bei sich in der Wohnung. Das ist nicht ungefährlich.
N.S.D.A.P. und Gestapo sind in Gestalt Blockwart Lammers und der Denunziantin
und Hausbewohnerin Frau Eckleben nicht ferne und extrem mißtrauisch.
Beide, Ingo Feder und Anja Topf, präsentierten mit ihrer mimischen
Leistung den Namen des Ernst-Deutsch-Theaters wie das Etikett eines edlen
Beaujolais. Beide Schauspieler besetzten mehrere Rollen und so brillierte
die kleine, zierliche, drall-süße Frau Topf in einer Perfektion,
daß einem die Tränen in den Augen standen: Eine Pennerin gab
sie, die forsche Nazitante, die weibliche Begleitung eines britischen
Offiziers… - und alles so authentisch, mit so einer minimalen Prise
Übertreibung gewürzt, nee, also, so hervorragend schmeckt nicht
mal ’ne Currywurscht bei Konopke!
Der Hermann also muß sich tagsüber in der Kammer verstecken,
immer in Angst vor der plötzlichen Präsenz des Hauswarts, der
des Luftschutzes wegen mit einem Wohnungsschlüssel versehen wird.
Da wir er nun rammdösig in seinem selbst gewählten Käfig,
schilt sich einen Vaterlandsverräter und Feigling, löst Kreuzworträtsel
und träumt von einer Vereinigung der alliierten und der deutschen
Truppen gegen die Russen.
Währenddessen geht seine Lena in einer Betriebskantine arbeiten.
Diese Gelegenheit stellt uns zwei weitere Künstler vor, auf die wir
mit großem Vergnügen zu sprechen kommen wollen. Das sind Wolfgang
Beigel und Tilmar Kuhn. Auch diese Herren mit Mehrfachrollen besetzt –
auch diese Herren mit der ganzen Kunst ihrer Zunft gesegnet! Herr Beigel
– Sie waren DER Koch! Da meldete sich Wiener Schmäh zu Worte,
diese abgeklärte, diese falsche Autoritäten verachtende, leicht
Schwejk’sche ars vivendi, diese Souveränität, diese Nonchalance,
dieses Mitgefühl, dieses Laissez-faire dieses… ja, such mal
was, was da den Nagel auf den Kopf träfe! Dem Manne hätte ich
gern stundenlang gelauscht, an seinen Lippen gehangen, seine knappen und
gemachen Bewegungen verfolgt.
Der Tilmar Kuhn war diesbezüglich dichtauf. Ob als Kellner, als britischer
Offizier, als Gauredner, als Schieber – der Mann war ein Blickfang.
Irgend etwas hatte er von Christian Slater – nur mit dem Unterschied,
daß uns Slater den Beweis, SO schaupielen zu können, bislang
schuldig geblieben ist. Auch hier diese ungeheure Wandlungsfähigkeit
wie bei Frau Topf, auch hier die tiefgründige Wahrhaftigkeit einer
jeden Rolle. Applaus, Herr Kuhn!
Tja, wie geht’s denn nun weiter mit unserem Stück? Also, der
Krieg ist zu Ende. Auf der einen Seite ja schön, aber auf der anderen
Seite fürchtet die einsame Lena Brücker, ihren Herrmann loszuwerden.
Was soll ihn nun noch halten? Und so verschweigt sie ihm das Kriegsende,
so lange es geht. Mit ihren Vorahnungen hat sie recht: Kaum ist die Katze
aus dem Sack, ist der Galan zur Tür hinaus. Arme, unglückliche
Lena!
Sie bleibt einsam, ihr ganzes Leben lang. Bis sie dereinst blind in einem
Altenheim sitzt, wo sie von einem nach den Ursprüngen der Currywurst
recherchierenden Journalisten (Nils Hansen) aufgestöbert wird. Frau
Fischer, das Alter und seine Zeichnungen werden sich Ihnen verweigern
und entziehen, selbst wenn Sie die Jahre erreicht haben, die Sie auf der
Bühne vorgaben. Dessen sind wir sicher. Wie Sie aber eine alte, blinde,
schlurfende, nach menschlicher Nähe lechzende Frau mit ihrem unerkennbar
breiten, hanseatischen Dialekt spielten, das muß man aufzeichnen
und an den Schauspielschulen zum Pflichtlehrmaterial machen! Schon für
diese Leistung hätten wir Ihnen gerne eine Rose auf die Bühne
geworfen! Hätten wir doch nur eine dabei gehabt!
Und so versucht die alte, einsame Frau diesen einen Menschen, der noch
ein Interesse an ihr, oder besser an ihrer Geschichte, bekundet, wie vor
einem halben Jahrhundert ihren Hermann, mit dem deliberierten Zurückhalten
der ersehnten Information solange wie möglich an sich zu binden,
ihn bei sich zu behalten, sich an seine Gegenwart zu klammern. Und wieder
ist es dasselbe: Kaum ist die banale Wahrheit am Tageslicht, da ist der
nächste Kerl auch schon über alle Berge. Es ist ein Drama. Beide,
der Hermann und der Journalist verdanken ihr viel, beide bezahlen mit
ein paar lumpigen Illusionen und mit sonst nichts. Weg sind se!
Es ist also keineswegs so, daß das Stück nicht die erwünschte
Substanz besessen hätte. Nur vermochte sie die Frau Dramaturgin und
der Herr Regisseur vor allem in der ersten Spielhälfte ganz gut zu
verstecken. Die Szenen nach der Pause rissen alles raus, die beiden Vorhänge,
das Trampeln, die leider nur vereinzelten Bravorufe waren mehr als verdient.
Und auch die Inszenierung, die mit sparsamsten Mitteln arbeitete, ein
Bühnenbild nur, bewies, das weniger manchmal sehr viel mehr sein
kann.
Wenn das doch nur auf die Auslastung des Zuschauerraumes zugetroffen hätte…
Unverdient war das geringzählige Publikum, knapp 75 Leute, die das
Schauspiel kurzerhand zu einem Kammerspiel verwandelten.
War es der vielleicht etwas zu profane Titel, der dem Stück den Magnetismus
nahm? Erreichte die Brandenburger nicht, wer da zu ihnen kam um zu spielen?
Lief im Fernsehen zeitgleich die Wiederholung des Fußball-Weltmeisterschafts-Finales?
Schwer zu sagen. Die, welche das Stück sahen, werden in der Mehrzahl
– das ist sicher – die Erinnerung an einen wunderbaren Theaterabend
mit nach Hause genommen haben.
Ach so, was war denn nun die „banale Wahrheit“ um die Entstehung
der Currywurst?
Hmm, ich könnte jetzt gemein sein und fragen: „Warum waren
Sie nicht auch da? Dann wüßten Sie es jetzt!“ Aber ich
werde mal nicht so sein: Frau Lena Brücker ist kurz nach dem Krieg
mit einer Stiege Ketchup und einer paar Dosen Curry in ihrem Hausflur
– schlicht auf’n Dötz gefallen. Das Zeug hat sich vermanscht
und hat geschmeckt. Ein Fast-Food-Renner war geboren! Ja, manchmal grinst
Fortuna durch die gescheuerten Dielen eines Hamburger Treppenhauses, verspeist
ihre Currywurst und – zeigt uns ihren Rücken, das launische
Weib! Zurück bleibt eine alte, einsame, blinde Frau und die Bekanntschaft
mit einer Mimentruppe, die wir all zu gerne wieder sähen!
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