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Der große Schwoof
Zille Musical von Bernd Köllinger und Klaus
Wüsthoff
Szenenbild aus: Der große Schwoof
J. –F. S. Lemarcou
Kenn Se Berlin? Ick meene, kenn’
Se ’t würklich? Nich’n Kuhdamm und de janze Pomade. Nich’n
Jrunewald und Schmarjendorf. Berlin, det alte Berlin. Det könn’
Se nich kennen. Det is unterjejangen im Bombenhagel des letzten Krieges.
Da jing et dahin, det Scheunenviertel, wo de Ärmsten der Armen wohnten,
die galizischen Ostjuden, und de Proleten, wo Pinsel-Heinrich den Luden
und den Eckensteher malte, die dicke Mutter mit’n Dutt und die verdreckten
Jören, wie se plärren und greinen und sich ihre Pimmel zeigen
und Blut spucken. Det janze jrauenhafte Elend der Wende zum 20. Jahrhundert.
10 Leute, Schlafburschen einjerechnet, uff eene Bude, eene Stube –
wohljemerkt! Klo ne halbe Treppe tiefer oder über’n Hoff. War
der dritte oder vierte Hinterhoff. Von Himmel ’n kleenet Sticke
nur. Und det hat er jemalt, jezeichnet , den deutschen Blutsaugern am
eijenen Volke in die jottlosen Seelen jebrannt. Det war sein Verdienst,
sein janz jroßet Verdienst.
Nu ja, die besten, die
urwüchsigsten Berliner kamen wohl immer schon aus jwd. Das meint:
„Janz weit draußen“. Gerade so wie der Pinsel-Heinrich
Zille. Der kam aus Radeburg in Sachsen. Bernd Köllinger, jahrelang
brillanter Chefredakteur des Brandenburger Lokalblattes BRAWO, kommt auch
nicht aus Berlin. Saalfeld in Thüringen ist seine Heimat. Nur der
Wüsthoff Klaus, der, „wo watt vonne Musike vastehen dut“,
der macht eine Ausnahme. Der ist eine echte Berliner Pflanze. Allerdings
erst im Jahre 1922 gesät, als es schon fast vorbei war mit dem alten
Berlin.
Und diese beiden letztgenannten Herren nun wollten dem großen Zille
ein Denkmal setzen. Sie komponierten und schrieben ihm ein Musical, basierend
auf seinen Figuren, angesiedelt in der Auguststraße, dort, wo’s
am schlimmsten war.
Die Kulisse war hervorragend,
authentisch. Die Kostüme waren es auch. Es schien wirklich, als seien
die Zilleschen Figuren dem Buche entsprungen. Die Schauspieler –
egal woher sie kamen, berlinerten lupenrein. Den Berliner Witz, dieses
schlagfertige Schandmaul aber in die Texte zu integrieren – das
war eine große Sache. Diese Kunst wird wohl nach Köllinger
gemessen. Ein Meister der Sprache, ein Kenner der Materie, weiß
Gott! Dazu schuf Herr Wüsthoff die passende musikalische Umrahmung.
Das klang nach Gassenhauer, das klang nach „In Rixdorf is Musike“,
das klang nach Kollo und Paul Lincke. Wie sagte doch gleich der steinalte
Jan Adams Reinken, als der junge Meister Johann Sebastian Bach vor den
greisen Ohren Toccaten und Fugen herunterperlte: „Ich wußte
gar nicht, junger Mann, daß diese Kunst noch beherrscht wird…“
Das können wir unkommentiert so weiter geben, lieber Herr Wüsthoff.
Diese Polkas, Schieber, dieses Täteretätä, von unserm geliebten
Michael Herlmrath und dessen Brandenburger Symphonikern so herrlich intoniert,
brachte das Publikum zum Mitklatschen, brachte nach jeder Gesangseinlage
Applaus, ließ sogar die anwesende Jugend johlen.
Das aber war auch den Mimen geschuldet. Die Handlung, nun ja die Handlung…
So recht eigentlich gab es keine. Aber das würde uns wohl auch das
Wesen einer Schnulze versauen. Und Kinners, Hand uff’s jeriehrte
Herz - det war ne faustdicke Schnulze! Nu ist das mit denen Schnulzen
so eine Sache. Bei der eher unangenehmen Sorte möchte man das Rennen
kriegen, nicht wahr Frau Courths-Mahler, nicht wahr Frau Pilcher? Eine
echte Schnulze aber – det is watt for ’t Sentiment, det hat
janz ville wat mit Jefiehl zu tun. Vastehen Se nich? Gefühl, Menschenskinder,
Gefühl!
Hier war Jefiehl in de Materie, wie de beriehmte Butter bei de Fische.
Klar, das wahre Elend, daß den immer präsenten Hintergrund
des Stückes bildete, wetterleuchtete nur unterschwellig durch. Sauber
sahen selbst noch die Lumpen aus, in welche sich die Mimen gewandet hatten.
Man mußte schon gut hinhören, um sich den Sinn zu erschließen,
daß sich die kleine buckelige Mieke an einem Braten so satt gerochen
hatte, daß sie darüber ihren Hunger vergaß. Dennoch –
es kam den Autoren nicht auf die Idealisierung eines an sich grauenhaften
Zustandes an, unter dem zur Kaiserzeit Millionen litten und an dem Millionen
elend verreckten.
Gezeigt werden sollte wohl eher, daß menschlicher Behauptungswille
selbst unter erbärmlichsten Verhältnissen noch Blumen erblühen
läßt. Eine dieser Blumen heißt Alma. Einen Namen hat
sie. Deutlicher kann man wohl nicht darstellen, was dieser kleine Gruß
aus der Natur den von grauen Wanzenkasernen verschlungenen Seelen bedeutete.
Irgendwie kam mir der Gedanke, daß dieses Stück in Berlin unspielbar
sei. Klingt paradox. Aber ich sagte es schon. Dieses Berlin existiert
nicht mehr. Nicht einmal in der Auguststraße, die sich in der Nachkriegs-
und Nachwendezeit zu einer sterilen Wohnstraße gewandelt hat. Der
heutige Dutzend-Berliner würde es nicht mehr verstehen. Da würde
man schon eher in Stuttgart oder Düsseldorf punkten, oder in Hamburg
vielleicht, wo man Berlin aus der Ferne noch eher mit der Zille’schen
Realität in Verbindung bringt.
Die Schauspieler zeigten Bewegendes. So ganz flüssig schien dennoch
das Spiel wohl nicht. Vielleicht war das auch der eher seichten Dramaturgie
geschuldet. Aber wenn sie sangen, allen vorweg Frau Ines Rabsilber, welche
die Agathe Siebenhaar gab, dann wurde es schon still im Saal. Frau Ziehl
gab eine herrliche Maggi-Großmutter und an Ursula Staack ging schon
eine echte behmische Matrone verloren. Kinders, habt ihr beim Hasek stibitzt!
Na ja, sheen war’t doch. Und diese Schwejkiaden gehören wohl
zu Böhmen wie das Bier und die Knödel. Sehr sympathisch die
Rolle von Manfred Schulz, der uns den besenschwingenden Justav Labudzich
vorstellte. Etwas mehr hinken, Herr Schulz, etwas mehr hinken! Aus Ihrer
Rolle ist noch mehr Rührung herauszuholen. So’n Holzbeen is
doch ’n janz ordentliches Kapital! Emmychen (Frau Alexandra Ulrich)
hat sich sehr überzeugend aufs Kreuz legen lassen, von die Saukerle,
die immer nur det eene wollen. Das Biestige kam so richtig schön
rüber, die Stutenbissigkeit erheischt noch etwas mehr Temperament,
aber herzlich lachen konnte man trotzdem.
Auch den anderen Schauspielern Dank und Anerkennung – jepatzt hat
keener.
Das Publikum im gut besetzten großen Saale des Brandenburger Theaters
honorierte mit forciertem Applaus, ohne mehrere Zugaben kam das Ensemble
nicht von der Bühne. Dieser Gruß gilt auch Ihnen, lieber Herr
Köllinger. Ich hoffe, Sie haben das Klatschen bis an den fernen Plattensee
gehört.
Der Landbote zumindest wird sich noch eine zweite Aufführung genehmigen.
Das ist sicher!
Bild: Preußischer Landbote
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