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Brandenburgische Geschichte
Ingo Materna/ Wolfgang Ribbe (Hg.)
Akademie-Verlag
K. K. Bajun
Seit der Wende hat die Mark empfindliche
Bevölkerungsverluste hinnehmen müssen. Weitflächig brachen
Industrie und Gewerbe zusammen, die Quelle des Broterwerbs versiegte für
viele Märker von heute auf morgen.
Im 18. Jahr der deutschen Einheit hat sich die Situation noch nicht wesentlich
verbessert. Just in diesem Jahre 2007 begeht die Mark Brandenburg ihr
850stes Jubiläum. Gegenwart und Geschichte treffen sich und stellen
die Weichen für die Zukunft.
Es beginnt sich abzuzeichnen, wie eminent wichtig ein Bewußtsein
für die eigenen Wurzeln, das eigene Herkommen ist, wenn man sich
an die aktive Gestaltung der Zukunft machen will. Derjenige, der sich
der Verantwortung bewußt ist, die er nicht nur gegen die Nachgeborenen
hat, sondern auch und in besonderem Maße gegen die Generationen,
die das bestehende Lebensumfeld schufen, wird alles daran setzen seine
Kraft in den Aufbau der Heimat zu investieren. Denn jedes Einzelschicksal
ist untrennbar mit den Geschicken des Landes verbunden.
In diesem Kontext ist eine heimatkundliche und historische Aufarbeitung
des Werdegangs der Mark für das Land Brandenburg unumgänglich
und jedes Werk, welches sich dieser umfassenden Aufgabe widmet, sehr zu
begrüßen.
Die Professoren der beiden Berliner Universitäten Ingo Materna und
Wolfgang Ribbe nahmen Anfang der 90er Jahre ein gewaltiges Projekt in
Angriff, das in der Herausgabe des Buches „Brandenburgische Geschichte“
mündete. Dieses 890 Seiten umfassende Werk widmet sich der Historie
des Gebietes der heutigen Mark Brandenburg von der Frühzeit der menschlichen
Besiedlung bis in die Gegenwart.
Das ist sehr ausführlich geschrieben und eine immense Fleißarbeit.
Es ist nach chronologischen Gesichtspunkten wissenschaftlich gegliedert,
so ausführlich, wie man eben ein 900 Jahre Besiedlungsgeschichte
auf knapp 900 Seiten abhandeln kann – und dennoch…
Für uns, denen der universitäre Betrieb nicht fremd ist, liest
es sich geschmeidig und flüssig. Der arbeitende Historiker legt nicht
viel Wert auf einen kapriziösen Umgang mit der Sprache, auf romanhaftes
Erzählen oder blumige Paraphrasen. Er begrüßt die Synopsis
der Fakten, den übersichtlichen Kontext geschichtsprägender
Ereignisse. Die Fraktion der Historiker aber nimmt sich im Vergleich zur
Restbevölkerung relativ geringzählig aus. Wenn man dieser Fraktion
ein Standardwerk schreibt, so ist das lobenswert, erfüllt jedoch
noch nicht die Forderung, welche eine Gesellschaft an seine Geschichtskundigen
in de aktuellen Zeit stellen muß.
Es sei noch einmal betont, was in den einleitenden Sätzen begründet
wurde: Ein historisches Standardwerk sollte keinen Selbstzweck von Historikern
und geschichtsverliebten Professoren krönen. Vielmehr erfüllt
es einen fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Auftrag, indem
es quasi einen wichtigen Teil der Grundlage für ein einheitlich orientiertes
Handeln aller Bürger und Schichten zum Wohle der gemeinsamen Heimat
bildet.
Natürlich verkennen wir nicht den gegenwärtigen Zwang, der sich
durch alle höheren Bildungseinrichtungen behauptet: An die Publikationen
wird eine Meßlatte gelegt, die sich zunächst an der möglichen
Kritik der Fachkollegen orientiert. Das muß in erster Linie eine
Seriosität auf hohem Niveau ausstrahlen. Als Antipoden mag man sich
Herrn Fernau vorstellen, der es jedoch – das sei an dieser Stelle
hervorgehoben – mit seinem launigen Plauderton vermochte, den Stammtisch
millionenfach für Dinge zu interessieren, die die Un- und Halbgebildeten
vorher bestenfalls marginal berührten.
Uns angelegen wäre da eher ein Mittel-, ein Königsweg zwischen
den Expressionen des Elfenbeinturmes und dem Zuschnitt auf das Fernau’sche
Klientel. Bruno H. Bürgel oder Professor Otto Tschirch könnten
mit ihren Werken einen Fingerzeig geben, wie man als Wissenschaftler unangefochten
und im Rufe unbeschadet dennoch breite Kreise erreicht.
Denn, ob man das akzeptiert oder nicht: die zur Masse der Bevölkerung
vergleichsweise wenigen umfassend gebildeten Historiker werden den Lauf
der Dinge schwerlich beeinflussen, wenn Lieschen Müller nicht zumindest
weiß, worüber die gravitätischen Herrschaften gerade reden.
Die Lieschens sind in der erdrückenden Überzahl und können
schon allein durch ihre schiere Masse den Kurs einer Gesellschaft determinieren.
Sie also gilt es, wir plädieren noch einmal nachdrücklich dafür,
nicht zu vernachlässigen, sondern beinahe bevorzugt zu erreichen
und zu interessieren. Doch das ist der eher politische Ansatz.
Wir selbst schätzen dieses Buch als ein hervorragendes Nachschlagewerk
und Arbeitsmaterial. Es freut uns besonders, daß die Herausgeber
Helmut Assing mit einem wichtigen Kapitel betrauten. Assing mußte
sich einiger unbequemer Thesen zum Gründungsdatum des Bistums Brandenburg
wegen böser Anfeindungen erwehren. Auch wenn wir nicht jedem seiner
Gedankengänge zu folgen vermögen, die „Brandenburgische
Geschichte“ beweist einmal mehr, daß es kein Vorbeikommen
an diesem renommierten Wissenschaftler gibt.
Die Kapitel selbst sind weder in Text noch in tabellarischen Darstellungen
überfrachtet und lesen sich sehr flüssig.
Hervorzuheben ist ein abschließendes Kapitel „Quellen zur
brandenburgischen Landesgeschichte“, ein großartiges, ja fulminant
zu nennendes Verzeichnis von Literaturhinweisen, sowie ein sehr passables
Namens- und Ortsregister. Wie gesagt, es macht Spaß mit dem Buche
zu arbeiten. Es vermittelt eine gewisse Sicherheit, dieses Werk zu den
Beständen der eigenen Handbibliothek zu zählen. Aus diesem Grunde
und weil wir den geschilderten Vorzügen geschuldet diesem Buche eine
größtmögliche Verbreitung wünschen, dürfen wir
es unserem verehrten Lesern wärmstens anempfehlen und hoffen darüber
hinaus, es möge einst, in achtzig, neunzig Jahren ebenso hoch gehandelt
werden, wie derzeit Tschirchens legendäre Erstausgabe der Geschichte
der Chur- und Hauptstadt aus dem Jahre 1928.
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