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Das
Brandenburger Slawendorf
K. K. Bajun
Der Raum zwischen den Strömen
der Elbe und Oder hat bewegte Zeiten gesehen. Vielen Menschen war er Heimat,
hatte er die Grundlagen ihres oft nur dürftigen Lebens geboten. Völker
kamen, siedelten, gingen fort. Andere folgten, rangen dem kargen, eiszeitlich
geprägten Boden ab was zum Überleben nötig war, stahlen
hin und wieder bei den Nachbarn, gerieten mit ihnen in Konflikt. Raub-
und Heerzüge wogten hin und her. Burgen fielen, Dörfer brannten.
Aufstände versuchten die Ergebnisse zu korrigieren. Irgendwann scheiterten
auch sie. Die letzten Sieger hießen für Jahrhunderte „Deutsche“.
Fortan waren die Slawen als die Unterlegenen dieses großen Kulturkampfes
nurmehr Menschen zweiter Klasse, ausgegrenzt, ausgebeutet, gedemütigt.
Als in der Folge des Zweien Weltkrieges die von den Deutschen angegriffenen
Slawen das letzte, gewaltige Völkerringen für sich entschieden
und sich die Deutschen in der Position der einst von ihnen überrannten
Nachbarn wiederfanden, mußten sie in den Weiten Preußens,
der Neumark und Schlesiens ihre Koffer packen. Die Mittelmark, Sachsen
und Mecklenburg ließ man dem besiegten Volk der Welteroberer.
Unter der Rigide der fernen Moskauer Herrscher begann nun schrittweise
ein historisches Umdenken. Die slawischen Mütter und Väter wurden
aus der dunklen und verachteten Ecke des teutonischen Geschichtsbildes
herausgeholt; ihre Leistungen als Kulturvolk wissenschaftlich ergründet
und adäquat gewürdigt.
Um die Erkenntnisse breiten Kreisen der ansässigen Bevölkerung
und ihrer Gäste wirksam zu vermitteln, wurden über Jahre hinweg
slawische Siedlungen rekonstruiert und nachgebaut. Die Burg- und Dorfanlage
Groß-Raden in der Nähe von Schwerin entstand. Bei Cottbus grüßt
die mächtige Ringburg Raddusch die auf der nahen Autobahn vorbeifahrenden
Reisenden und lädt zu einem Abstecher ein.
Nun wartet die altehrwürdige Domstadt an der Havel mit einer ähnlichen
Attraktion auf. Und eines ist sicher: Man muß keinen Lokalpatriotismus
bemühen um in dieser Anlage die schönste von allen zu erkennen.
Was die städtische Arbeitsförderungs- und Strukturentwicklungsgesellschaft
BAS da geschaffen hat, läßt uns den Hut tief, sehr tief ziehen.
Wie trostlos sah noch vor wenigen Jahren das Gelände des ehemaligen
Stadtschulgartens zwischen Nikolaiplatz und Havel aus! Bis dann das Projekt
des Slawendorfes auf den Tisch kam… Es hätte in Brandenburg
nicht besser angesiedelt sein können. War doch die alte, im Winter
928/929 von König Heinrich I. erstürmte Slawenburg eine der
wichtigsten aller transelbischen Gaue. Nach der finalen Inbesitznahme
durch die Christen vor nunmehr 850 Jahren, am 11. Juni 1157 verschwand
die große ringförmige Burganlage buchstäblich unter der
Erde, wurde eingeebnet, überbaut. Die einstigen Herren des Landes
fanden sich plötzlich in urbanen Randlagen, sogenannten Kietzen und
ihren ärmlichen Dörfern wieder, entrechtet und entmachtet.
Nun entsteht ein solches Slawendorf auf’s neue. Zwischen den sogar
mit authentischen Werkzeugen gefertigten und best ausgestatteten Holzhäusern,
die alle denkbaren Gewerke der damaligen Zeit beherbergen, ziehen sich
Knüppeldämme hin, steht ein Ziehbrunnen, ein Holzkarren, Weiden
rauschen, kleine Teiche lassen das Schilf heranwachsen, das manchem Gebäude
als Dachdeckung dient. Eisen findet man nur spärlich. Die ein oder
andere Lanze, ein paar Brotmesser, Schildbeschläge, Ketten für
den schwenkbaren Wasserkessel… aber genagelt wurde mit – Holz!
Mächtige Palisaden schützen das Dorf, dem nun in den nächsten
Jahren eine kleine Ringburg im Westen zuwachsen soll. Drei Häuser
soll sie in sich bergen. Ein begehbarer Wachturm wird vor ungebetenen
Gästen warnen. Aber muß er das?
Gäste, so gewinnt man den Eindruck, sind herzlich willkommen. Der
brandenburgische Hauptgott, der dreiköpfige Triglaf, dessen drei
Gesichter die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, nach anderer
Lesart die Unterwelt, die Erde und den Himmel symbolisieren, grüßt
freundlich den Eintretenden, der sich dem Dorfe von Norden her, vom Gelände
des alten Zuchthauses am Nikolaiplatz nähert. Es ist als sei der
Gott, der noch bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein als besiegter Götze
diffamiert, in der Marienkirche auf dem Berge wie eine Trophäe gestanden
haben soll und dann nach Dänemark verhökert wurde, in sein angestammtes
Reich zurückgekehrt.
Der Besucher mäandert sodann durch eine Reihe sehr ansprechend gemalter
Schautafeln, die ihn Epoche um Epoche tiefer in die Abgründe der
Geschichte entführen. Immer wieder zeigen die Schaubilder wie ein
Panoptikum, wie sich die spätere Chur- und Hauptstadt dem Reisenden
der jeweiligen Ära darbot. Das letzte Bild umrundet, wird der Gast
in die Realität des Dorfes entlassen. Und der Anblick ist betörend!
Weiden rauschen, der Wind wiegt sich durch das Gras des Dorfangers und
das Schilf der kleinen Teiche, deren Wellen er kräuselt. Etwas untypisch
werden sie begleitet von fast einem Dutzend japanischer Fauleschen, von
denen niemand so recht weiß, wie sie dorthin gelangten.
Auch wenn das Dorf noch längst nicht fertig ist, der westliche Teil
noch immer eine Baustelle, so nimmt einen doch der überwältigende
Gesamteindruck schon gefangen. Das Betreten der lehmwandigen Häuser
ist gestattet, ja erwünscht. Welche Bautechniken die Alten verwendeten,
ist im Eingangsbereich anschaulich demonstriert. Blockbauweise, Flechtwerk,
Abdichtung der Dächer mit Holzschindeln und und und…
Obschon die Mütter und Väter kleiner von Wuchs waren, bekommt
man doch rasch einen Eindruck von der Enge der Wohnfläche, die der
Sippe Lebensmittelpunkt war. Hier wurde bei schlechtem Wetter gewoben,
geflachst, Korn zu Mehl gestampft, Hausrat geschnitzt und geschlafen.
Das Vieh teilte den Wohn- und Lebensraum, sorgte neben dem übel qualmenden
Herdfeuer für etwas Wärme.
Es sieht romantisch aus. Einladend sicher auch für die Schüler,
deren Erlebnis-Unterkunft auf dem Slawendorf nach Fertigstellung der drei
dafür vorgesehenen Hütten mit Betonfußboden in der Nordwest-Ecke
geplant ist. Doch soll man nicht versäumen den Schülern klar
zu machen, daß alles, was für sie ein Ferienabenteuer ist,
für ihre Ahnen knallharte und nicht eintauschbare Realität war.
Wurden die Slawen 40 Jahre alt, dann galten sie bereits als Graubärte.
Den größten Respekt aber nötigt uns ab, daß diese
Meisterleistung einer archäologisch und historisch brillanten Rekonstruktion
von den Laienhänden sogenannter Arbeitsloser geschaffen wurde. Arbeitslos?
Lachhaft! Diese Leute haben lange und schwer gearbeitet im Schweiße
ihres Angesichts und der Erfolg ihrer Arbeit steht wie ein Monument! Diese
Menschen, denen sich – wie man hier klar sehen kann – der
erste Arbeitsmarkt völlig zu Unrecht verschließt, haben enormes
Geschick und staunenswerten Fleiß, gepaart mit einem großen
Engagement bewiesen. Sie, die das schwere und zutiefst ungerechte Erbe
des Ausgegrenztseins von denen übernahmen, deren Leben sie so anschaulich
nachempfinden, beweisen für beide, für die Slawen und für
sich selbst, daß nur eine engstirnige und flachköpfige Gesellschaft
es sich leisten kann, auf solche Menschen in ihrer Mitte zu verzichten.
Das Leben im Slawendorf nachzuerfahren, bringt sicher auch den Historikern
und Archäologen wichtige Erkenntnisse. Vor allem aber bereichert
es gemeinsam mit dem im Herbst seine Pforten öffnenden Landesarchäologischen
Museum im St. Pauli-Kloster entscheidend die Reihe der überregional
beachteten Attraktionen dieser so geschichtsträchtigen Stadt.
Brandenburg an der Havel, die Chur- und Hauptstadt der Mark erarbeitet
sich so Stück um Stück die alten Ansprüche zurück,
das geistige und kulturelle Herz des Landes zu sein, dem es einst seinen
Namen lieh.
Wir ziehen nochmals den Hut vor den Alten, die das Land prägten und
wir ziehen den Hut vor unseren Zeitgenossen, die die Alten nicht der Vergessenheit
anheimfallen lassen, sie mit diesem wunderschönen Slawendorf gebührend
ehren und uns Brandenburgern einen Platz geschaffen haben, den wir mit
Stolz und Freude unseren Kindern und unseren Gästen zeigen können.
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