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Vom Leben trennt dich
Schloß und Riegel

Das Schicksal der Dichterin Edeltraud Eckert – aufgezeichnet von Jürgen Blunck

Michael L. Hübner
Eigentlich wollte sie nie etwas Besonderes sein, die junge Traudl Eckert. Es ist müßig zu fragen, ob die vielen ihr bis dato gewidmeten Publikationen sie mit Stolz erfüllt hätten. Drei Bücher, eine CD, ein Wikipedia-Eintrag, das ist nicht wenig. Nun soll sogar ein Film im Rahmen eines Schülerprojektes über sie gedreht werden. Wäre sie froh darüber gewesen? Nun, das ist alles Konjunktiv, Spekulation… Edeltraud Eckert ist tot.
Die junge Frau starb 1955 unter brutalen Umständen in der Leipziger Universitätsklinik. Was war geschehen?
1930 im schlesischen Hindenburg geboren, verschlug es die katholische Buchhändlerstochter und BDM-Scharführerin in den Kriegswirren nach Brandenburg an der Havel. Hier erlebte sie den Untergang des Tausendjährigen Reiches, wollte beim Aufbau einer neuen, besseren Zeit mithelfen, machte Abitur und engagierte sich in der FDJ.
Kinder wollte sie lehren, nahm ein Pädagogikstudium an der Berliner Humboldt-Universität auf. Irgendwann während dieser Monate im Jahre 1949 fiel ihr dann auf, daß die Fassade der neuen Idee Risse hatte, durch welche man bei genauerem Besehen altbekannte Muster wahrnahm. Dem Vernehmen nach wurden die sinnfälligsten Greuel der Nationalsozialisten, die Konzentrationslager, von den neuen Machthabern weiterbetrieben. Wieder wurden Menschen um einer Ideologie willen ins Elend getrieben, wieder wurde verhaftet, gefoltert, getötet, Feindbilder aufgebaut, Feindbilder propagiert, reale oder gedachte Feinde gequält und vernichtet.
Nein, so hatte sie sich das nicht gedacht, die Edeltraud Eckert. Und wie das so ist bei jugendlichen Schwarmgeistern, die noch nicht begriffen haben, daß die Welt sich nun mal nach Machiavellistischen Prinzipien organisiert, knallhart und der Schmus nur fürs blöde Volk: der Feingeist des jungen Mädchens drängte zu aktiver Tat.
Da gab es eine Truppe in Westberlin, das war eine ganz abgebrühte Einheit, die hatten der jungen DDR den erbitterten Kampf angesagt. Das war die KgU, die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit. Die wollten den geknechteten Brüdern und Schwestern in der „Sowjetzone“ helfen, sagten sie. Und so ließen sie von jungen Leuten Flugblätter verteilen und Bewegungen und Standorte der Roten Armee ausspionieren und nahmen dabei in Kauf, daß sie die jungen Idealisten in Teufels Küche schickten. Ab und zu sprengte die Kampfgruppe auch mal ganz menschlich S-Bahn-Brücken in die Luft und Industrieanlagen und diese hochherzigen Taten kosteten viele Unbeteiligte das Leben. Die CIA schöpfte die gewonnenen Informationen ab, unterstützte die KgU mit Geldern und überließ deren Fußvolk den bis aufs Blut gereizten Russen. Wußte Edeltraud Eckert all das, als sie sich entschloß bei der Verteilung von Flugblättern mit einem großen „F“ darauf in Rathenow mitzuwirken? So wie sie gestrickt war, ist davon eher nicht auszugehen. Sie war nicht der Typ Mensch, der sich mit dem Satan einläßt um den Beelzebub auszutreiben. Was sie wollte, das war Freiheit und Schönheit, was immer sie darunter verstand. Schlecht war es nicht, nur eben – unrealistisch, irreal, verschroben.
Woher wir das wissen? Dr. Jürgen Blunck, fünf Jahre jünger als Traudl, hatte sich Ende der Neunziger Jahre daran gemacht, die Biographie der jungen Frau zu ergründen. Denn Edeltraud Eckert stach unter all den jungen Leuten in gewisser Hinsicht hervor: Sie war eine ganz vorzügliche Lyrikerin. Musisch hochbegabt schrieb sie kleinere Gedichte, Musiken, träumte von den Wellen der Nordsee. Richtig produktiv wurde sie dann in der Haft, denn naturgemäß war es den profilierten Sicherheitskräften der DDR und der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland ein Leichtes, den dilettantischen Sperenzchen der jugendlichen Enthusiasten auf die Schliche zu kommen. 25 Jahre Haft wurden ihr wegen Spionage aufgebrummt. Sie und die Nachwelt konnten von Glück reden, daß es nicht „Tod durch Erschießen in der Ljubanka zu Moskau“ hieß. Also schlossen sich hinter der Zwanzigjährigen die Zuchthausmauern unter anderem von Hoheneck, dem berüchtigten Frauengefängnis. Sie war still, angepaßt, unauffällig, mustergültig. Also wurde ihr gestattet, ihre kleinen Gedichte zu Papier zu bringen. Sehr schöne Gedichte, Rilke’sches Format, 101 an der Zahl.
Schon 1969 brachte ein gewisser R. Jahn diese Gedichte im Münchener Türmer-Verlag heraus. Stramm rechts der Verlag; die Attitüde des Autors das Erinnern an die Opfer des roten Feindes zu betreiben – ein typisches Geistesprodukt des Kalten Krieges.
Nun machte sich also der Dr. Blunck an dem Leben der Traudl Eckert zu schaffen. Und er schuf recht gut. Etwa 150 Seiten flüssige und geschlossene Biographie, 86 Gedichte und sechs Gedankensplitter, dazu eine Zeittafel und ganz ordentlich bebildert ist das Büchlein auch. Eine Fleißarbeit mit wohlwollendem Tenor.
Was uns einzig irritiert ist das ansonsten sauber geführte Quellenverzeichnis. Manchmal kommen die Quellenangaben etwas oberflächlich einher: „Maschinenschriftlicher ‚Ärztlicher Abschlußbericht’ vom 28.4.1955 lesen wir da beispielsweise. Na, Herr Bibliothekarius, das wäre ja denn doch wohl etwas genauer zu benennen gewesen, oder? Woher bezieht man mehr als dreißig Jahre nach dem tödlichen Unfall, also etliche Jahre nach dem Enden der offiziellen Aufbewahrungsfristen solche Dokumente? Beim Belegen anderer Quellen ist Herr Dr. Blunck da schon präziser und macht vor, wie es geht. Aber das sind nur wenige Schwachstellen, Wermutstropfen. Man möchte sagen, vernachlässigbar.
Das Buch ist sehr empfehlenswert, wenn man sich mit Brandenburger Heimatgeschichte, exzellenter Lyrik, tragischen Schicksalen in der Frühzeit der DDR befaßt. Hat man die beiden Gedichtbände von R. Jahn oder Frau Professor Ines Geipel mal in die Hand bekommen, dann ist es als Ergänzung zum Lebenslauf der Dichterin nahezu essentiell.
Frau Eckert überlebte die ihr zugemessene Haftstrafe nicht. Kurz bevor sie in einer Amnestiewelle berücksichtigt hätte werden sollen, erlitt sie einen schweren Arbeitsunfall. Sie war eine „Politische“ und das übersetzte die Arbeiter- und Bauernmacht genauso wie ihre einstigen Peiniger: der letzte Dreck! Also tat man das, was man eben gerade tun mußte, nicht mehr; und als ein engagierter Arzt mehr tun wollte, war es zu spät. Die junge Dichterin starb einen grauenvollen Tod. Ein Opfer einer „besseren, humaneren Gesellschaft“, die nach eigener Aussage an einem lichten Morgen für den ausgebeuteten Menschen baute. Opfer wie diese waren das Kainsmal dieser „besseren Gesellschaft“, die sich mit weiteren Absurditäten wie dem Schießbefehl und der gegen das eigene Volk gekehrten Mauer Stück um Stück das eigene Grab schaufelte.
Man weinte zu DDR-Zeiten der Edeltraud Eckert und ihren Leidensgenossen keine Träne nach. Nun liegen die Dinge umgekehrt. Die DDR ist begraben und nur wenige Träumer trauern ihr hinterher. Dank Büchern aber, wie denn eines von Herrn Dr. Blunck geschrieben wurde, erinnert man sich der damals dem Vergessen Anheimgestellten. Und es sind weiß Gott bessere Erinnerungen, als wir sie an die staatlichen Weltverbesserer haben.

Vom Leben trennt dich Schloß und Riegel
Das Schicksal der Edeltraud Eckert
aufgezeichnet von Jürgen Blunck
Langen Müller
in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
ISBN 3-7844-2765-0
€ 17,50


B
4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007