Baaks

zurück zum Landboten

 

zurück zur Stammseite "BÜCHER"

 

Spätfeudales Ränkespiel in herrschaftlichem Park
Heckentheater Rheinsberg gibt den Figaro

Kotofeij K. Bajun
Für Madame Colvert wird es die Überraschung des Abends gewesen sein. Da saß sie am Tische des einzig wahren und authentischen Fontane-Hauses zu Neuglobsow, noch ganz trunken vom Anblick der verzauberten Glasperle des Nordens, des unergründlichen Stechlin, als ihr das Couvert herüber geschoben wurde. Sie öffnete es und tremolierend entfuhr ihr der Ausruf: „Figaro“! Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden war ihr sicher. Billetts fürs Rheinsberger Heckentheater..., „Donnerwetter...!, „...na sieh mal einer an! Wahrscheinlich Berliner...“, Menschenskind, wo habt ihr die denn her? Beziehungen, was? „Ist doch für Normalsterbliche kein Rankommen...“ Ja, die Exklusivität der Veranstaltungen der Rheinsberger Kammeroper ist längst kein Geheimtipp mehr.
Jedoch den „Figaro" im Rheinsberger Heckentheater aufzuführen, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Beide berühmteste Hausherren des Schlosses aus dem Hause Hohenzollern wären im Dreieck gesprungen! Besonders Friedrich der Große, dessen Standbild als Kronprinz den Eingang des Schlossparks bewacht, hätte wohl die Windspiele auf die Truppe gehetzt: Nicht nur, dass Mozarts wohl bekannteste Opera buffa despektierlich den machtbesessenen und scheinheiligen Adel demaskiert, nein, da singt die Truppe auch noch in deutscher Sprache! Das hätte wohl dem Fass den Boden... Aber die anderen beiden, die Rheinsberg berühmt gemacht haben, Wölfchen und Claire, die hätten sich gefreut. Die wären selig gewesen. Unter den riesigen Parkbäumen, die in der sternenklaren Nacht angestrahlt, riesigen leuchteten Smaragden ähnelten, gaben in gewohnter Rheinsberger Manier junge Talente Proben ihres Schaffens und fügten ihrer beruflichen Vita einen respektablen Auftritt hinzu. Denn in Rheinsberg zu spielen, das bedeutet bereits Renommee. Man ist in der Oberliga angekommen. So war denn auch dieser Figaro ein Erlebnis für Aug' und Ohr. Die Kulisse verneigte sich, obgleich liebenswert übersichtlich und variabel in ihren einzelnen Elementen gestaltet, mit dem Zitat von Pesnes „Die Morgenröte vertreibt die Nacht“ vor dem benachbarten Schloss. Deutete dieses Deckengemälde zur Zeit seiner Entstehung den bevorstehenden Thronwechsel vom Soldatenkönig hin zu seinem Ältesten an, so war es auch im Kontext des Figaro geschickt gewählt. Mit der zurückgedrängten Nacht spielte das Bild auf die uralten und ungerechten Privilegien des Feudaladels, hier das sehr zweifelhafte ius primae noctis, an – die Morgenröte trat dem Publikum mit dem unterschwellig aufbegehrenden Dienerpaar Figaro (Manos Kia, Bassbariton) und Susanna (Lindsay Funchal, Sopran) entgegen, die gemeinsam dem lüsternen Ansinnen des Grafen Almaviva (Alec Avedissian, Bariton) trotzen. Hat sich dieser doch die verführerische Dienerin Susanna als Betthäschen erkoren, obschon diese just ihren Figaro heiraten will und von den schnöden Umwerbungen des Grafen nichts wissen will. Unterstützt werden die beiden Domestiken von Gräfin Rosina (Sarah Tuleweit, Sopran), welche ohne Zweifel den Part des ebenso betörenden, aber dennoch unerreichbaren Blickfangs einnahm. Und weil keine Opera buffa ohne den Harlekin auskommt, wurde die Hosenrolle des Cherubino von einer wirklich faunhaft-harlekinesk agierenden, allerliebst umherwuselnden Carolin Löffler mit einem bestrickenden Mezzosopran ausgefüllt. Dieses Mädchen war wirklich doll: Spiel mal als Frauenzimmer einen Mann, der sich als Frau verkleiden soll und gib dich dann maskulin unbeholfen in der eigenen, urtümlichen Rolle innerhalb der Rolle! Meisterlich, fürwahr!
Die Stimmen aller, die sie erhoben, waren geschult – Rheinsberg ist weiß Gott kein Podium für Debütanten – ausgebrochen und in Richtung des Parnass davon gestürmt ist jedoch keiner der Darsteller. Das war auf hohem Niveau grundsolide – und, bei Lichte besehen: Ist es nicht das, was wir Normalsterblichen erhoffen, wenn wir eine Mozartoper besuchen? Der Inhalt soll uns nicht verloren gehen, weil wir scharenweise in Ohnmacht sinken, sobald eine Weltklasse-Coloratursopranistin die Rache der Götter beschwört. Nein, die Botschaft des Stückes macht den Großteil seines Reizes aus – und der soll uns nicht als überkandidelte Häppchenkost serviert werden, nicht als aberwitzige Interpretation mit ihrer Persönlichkeitsfindung befasster Experimentalregisseure, sondern so, wie Mozart und Da Ponte es im Sinne hatten. Das hat der Rheinsberger Figaro in vollem Umfange geleistet. Und wer hat die Musik gemacht? Das soll gesungen, gepfiffen und getrommelt werden: Der Brandenburger GMD Michael Helmrath dirigierte die Brandenburger Symphoniker und wenn man die Hüte fliegen lassen wollte, dann hätte der Beifall für dieses Dirigat und diese Musik den geeigneten Anlass geboten. Man kann sagen was man will, aber dieser Klangkörper mit diesem Dirigenten ist das chur- und hauptstädtische Kulturexportgut Nummer Eins! Und dann kommt eine ganze Weile gar nichts! Wenn Helmrath zu „Ah, tutti contenti“ den Taktstock erhebt, wenn er das Ballett der Landleute zum „Ricevete, oh padroncina " musizieren lässt, dann ... – wie gut, dass es eine Stunde vor Mitternacht und stockduster ist und nur die Mücken gelegentlich das Ihre in die Geigen und Violinen hineinsirren: Muss ja niemand sehen, dass man sich mit dem Kavalierstüchlein verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel tupft. Wäre Dirigat eine olympische Disziplin, Rheinsberg hätte wohl den Michael Helmrath an London abtreten müssen, wo dieser ein unbedingter Medaillenaspirant gewesen wäre: Seine Leistung in der schwülen Sommernacht muss kalorienraubend gewesen sein.
Wenn neben Staatssekretär Martin Gorholt weitere Prominenz im Publikum saß, so hatte diese sich gut getarnt: Der Figaro schien in allererster Linie von denen angenommen worden zu sein, an die er einst adressierte: an 900 begeisterte, ganz einfache Leute aus allen Teilen der Republik, denen zu ihrer Zeit weder Friedrich der Große noch Prinz Heinrich von Preußen Zugang zu ihrem Park gewährt hätten. Allein der Umstand, dass die Rheinsberger ihren Besuchern feudale vier Euro für ein Programmheftchen aus der Tasche leierten, höhnte dem Impetus des aufklärerischen und dem einfachen Volke zugewandten Stückes! Die Aufführung selbst ließ die Gebeutelten diese wenig noble Geste jedoch bald vergessen. Das ausverkaufte „Haus“ war selig; sein vierminütiger Schlussapplaus zeigte an, das auch diese Inszenierung des Figaro 226 Jahre nach der Uraufführung im Burgtheater dem Geist seiner Entstehung gerecht geworden ist. Das Thema wird wohl nichts an Aktualität eingebüßt haben von der unsterblichen Schönheit der Musik ganz zu schweigen.

weitere Aufführungstermine

7., 8., 10., 11. August, 19.30 Uhr,

Heckentheater, Kammeroper Schloss Rheinsberg GmbH

Kavalierhaus

16831 Rheinsberg

Tel.: (03 39 31) 725-0 · Fax.: (03 39 31) 725-15

info@kammeroper-schloss-rheinsberg.de

 
B
11. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

06.08.2012